Hell erleuchtet sind die Fenster des alten Backsteinbaus an der B54. Stimmengewirr dringt gedämpft nach draußen. Ab und zu ein Lachen. Wer jetzt noch Einlass bekommen möchte, muss im Vorfeld reserviert haben. Sonst gibt es keinen Platz mehr im Greif. Bis zum 5. Dezember ist alles ausgebucht. Seitdem bekannt ist, dass der Rock’n’Roll-Landgasthof „schweren Herzens am 19. Dezember 2022 die Weltbühne verlässt“, wie es auf der Greif-Homepage heißt, ist die Nachfrage nach einem letzten Bier zwischen Whisky-Bar und Musikbühne noch mehr gestiegen als ohnehin schon. Genauso wie die Anstrengungen, den Treffpunkt vielleicht doch noch zu erhalten. Die Greif-Guerillas wirken dabei aber nicht mehr in der ersten Reihe mit.
Klicki macht Gesprächsangebot
„Goodbye“ sagt die Unterstützergruppe auf Instagram. Ende August, als sie sich gegründet hatte, stand dort noch „Greif bleibt“. Damals war gerade bekannt geworden, dass der Eigentümer das mehr als 100 Jahre alte Gebäude verkaufen möchte. Sowohl der Weiterbetrieb der 274 Quadratmeter großen Gaststätte zuzüglich der Wohnung darüber als auch ihr Abriss sind seitdem denkbar. Die 1554 Quadratmeter große Fläche zwischen Bundestraße und Oststraße gilt laut Verkaufsanzeige als „ein potenzielles Baugrundstück für ein Mehrfamilienhaus“. „Unser Ansinnen war es, alle an einen Tisch zu holen, um über die Optionen zu sprechen“, sagt Leonie Schulte, Mitinitiatorin der Greifguerilla. „Damit sind wir gescheitert.“ Fürs Greif sei es jetzt zu spät. „Und für unsere Initiative sehen wir keine Grundlage mehr“ - für Gespräche aber durchaus.
Während der Sitzung des Kulturausschusses im Lüner Rathaus, als ihr Bürgerantrag Thema war, hatte sich das ergeben, das sich Schulte und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter schon ein Vierteljahr eher gewünscht hätten: die Einladung zu einem runden Tisch. Auch wenn sie „schlicht zu spät“ gekommen sei, um das von Bob Michaels geführte Greif zu retten, werde sie sich nicht konstruktiven Gesprächen verschließen, sagt Leonie Schulte. Mitmachen werde sie aber nur als Privatperson, nicht mehr als Greif-Guerillera. Bei diesem Gespräch wird um die Lüner Gastroszene insgesamt gehen.
2023 wieder Kneipennacht
Christian Klicki, der neue städtische Beigeordnete, der auch für Kultur zuständig ist, macht klar: „Niemand von uns möchte, dass unsere Stadt ihren Charakter verliert, weil Gastronomen und Gastronominnen und Kulturtreibende sich infolge der Krisen zurückziehen und nur noch Verödung übrigbleibt.“ Eine Szenerie, vor der die Greif-Guerilla eindringlich gewarnt hatte. „In Zeiten, in denen das ehrenamtliche Engagement abnimmt, können wir es uns als Stadt nicht erlauben, kreative und tatkräftige Zusammenschlüsse wie die Greif- Guerillas links liegen zu lassen.“ Deshalb möchte er eine Initiative starten.
Mit Jochen Gefromm von Getränke Gefromm will Klicki 2023 die Gastronomien und Wirte an einem Tisch holen, „um auszuloten, ob die Lüner Kneipennacht im Jahr 2023 wieder ins Leben gerufen werden kann. Das wäre ein großartiges Signal für eine lebendige Kneipenszene in unserer Stadt.“ Auch ehrenamtlich Aktive wie etwa aus dem Kreis der ehemaligen Greif-Guerillas sollen in das Organisationskomitee kommen. Diese Gesprächsrunde soll nach Klicki der „Startschuss sein für einen dauerhaften Stammtisch“. Die Grenzen des Machbaren sind dabei aber klar definiert.

„Wir bei der Stadt sehen weder finanzielle noch personelle Ressourcen, um eine Gaststätte zu kaufen und zu betreiben. Gastronomie ist auch nicht unsere Kernkompetenz.“ Wenn es aber eine Initiative gebe, die das Greif kaufen und bewirtschaften wolle, „werden wir versuchen, sie zu unterstützen“: eine Zusage, die für die Greif-Guerillas, die sich gerade aufgelöst haben, zu spät kommt. Andere werden sie aber mit Interesse hören.
Genossenschaft im Gespräch
In Wethmar laufen gerade Gespräche über ein Genossenschaftsmodell. Die Idee: Interessierte können Genossenschaftsanteile erwerben. Das ist die Voraussetzung für die Mitgliedschaft. Die Höhe der Anteile legt jede Genossenschaft selbst fest. Mit diesem Geld, so die Idee, könne die Immobilie gekauft und als Treffpunkt weiter Betrieben werden. Bundesweit gibt es Beispiele, wie Bürgerinnen und Bürger so Dorfläden und Dorfkneipen gerettet haben. Gleich an zwei Stellen in Wethmar hat die Idee Fuß gefasst. Bevor die Initiatoren an die Öffentlichkeit treten, wollen sie erst miteinander die Möglichkeiten ausloten und das Gespräch mit dem Eigentümer suchen.
Versehen im Ausschuss
Dass die Greif-Guerillas das nicht getan hatten, war bei der Eigentümerfamilie bitter aufgestoßen. Das hatte ein Familienmitglied während der jüngsten Kulturausschusssitzung, als Leonie Schulte Bürgerantrag Thema war, angemerkt: ein Statement, das eher aus Versehen möglich wurde. Besucherinnen und Besucher der politischen Sitzungen haben bei den einzelnen Tagesordnungspunkten kein Rederecht. Warum das in diesem Fall anders war, beschreibt Stadtsprecher Daniel Claeßen so: „Der Vertreter der Eigentümerfamilie hatte in der letzten Reihe des Plenums Platz genommen und sich gemeldet. Der Sitzungsleiter hat ihm irrtümlich das Wort erteilt, da er ihn für ein Ausschussmitglied hielt. Allerdings waren alle Anwesenden daran interessiert, Informationen aus erster Hand zu bekommen.“
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