Früherer Chefarzt Prof. Wolfram Wilhelm aus Lünen Als Flottillenarzt im Indopazifik

Früherer Chefarzt Prof. Wilhelm: Als Flottillenarzt im Indopazifik
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Er hätte es anders haben können. Weiterhin im gewohnten Alltag als Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin am St. Marien Hospital Lünen. Doch Prof. Wolfram Wilhelm (63) suchte eine neue Herausforderung. Raus aus der Komfortzone. Er fand sie bei der Bundeswehr, wo er bereits nach seinem Medizin-Studium vier Jahre tätig war - im Bundeswehrkrankenhaus Koblenz, auch als fliegender Notarzt, und anschließend bei der Marine, zuständig für Seenotrettung.

Diesmal allerdings ging es für ihn ins Schiffslazarett an Bord eines Flottenverbands, bestehend aus der Fregatte Baden-Württemberg und dem Einsatzgruppenversorger Frankfurt am Main. Für zwei Monate übernahm Wolfram Wilhelm von Oktober bis Dezember 2024 die Facharztbesetzung des Marineverbands. Untergebracht war er mit einem Chirurgen in einer Zwei-Mann-Kabine und schmalem Doppelstockbett. Eine neue Erfahrung.

Vor zwei Jahren verließ Wolfram Wilhelm, damals auch Ärztlicher Direktor, das Krankenhaus an der Altstadtstraße. Dessen größte Fachabteilung, die er 20 Jahre geleitet hatte, übergab er an seine Nachfolgerin, Privat-Dozentin Dr. Christine Meyer-Frießem. Sie machte für ihn den Weg frei zum Sprung ins kalte Wasser: als Flottillenarzt bei der Bundesmarine.

Höhepunkt seiner 20 Monate dauernden Dienstzeit in Uniform, während der er größtenteils in der Notaufnahme des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg behandelte, waren die neun Wochen an Bord. Tausende Seemeilen von der Heimat entfernt. Ein eigener Kosmos mit insgesamt rund 300 Besatzungsmitgliedern, unterwegs im Indopazifik.

Blick in den OP an Bord
Der OP des Rettungszentrums an Bord, für den der Lüner Anästhesist Wolfram Wilhelm zuständig war. © privat

Dreimal hat die Deutsche Marine in ihrer Geschichte bisher die Welt umrundet. Diese dritte Tour dauerte sieben Monate und war auch Teil des weltweit größten Manövers unter Leitung der USA. Wolfram Wilhelm gehörte dazu - auf der Etappe von Singapur bis Wilhelmshaven. Neun Wochen einer militärisch und diplomatisch exakt geplanten Seereise, auf der nicht nur Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock aufs Schiff kamen, sondern auch der indische Verteidigungsminister und lokale Botschafter. Am Äquator erlebte der Arzt aus Lünen die traditionelle Taufe. Es gab Empfänge an Land und sehr viele Übungen auf See, auch mit anderen Nationen.

Training „Mann über Bord“

Dass ein Reservist die Bordfacharztaufgabe übernimmt, ist eher ungewöhnlich. Der militärische Abschirmdienst interessierte sich für ihn, umfangreiche Sicherheitsüberprüfungen standen an. Dazu ein Gesundheitscheck. 15 Impfungen, sogar gegen japanische Enzephalitis, „nie gehört“, wie Wolfram Wilhelm sagt, sollten ihn vor Erregern schützen.

Einkleidung, ABC-Schutzmasken-Einweisung - es gab ein strammes Programm an zu erlernenden Regeln, die im Ernstfall das Überleben auf einem Kriegsschiff sicherten. Der Mediziner trainierte Brandabwehr in voller Schutzmontur, Leckabwehr, falls Wasser ins Schiff eindringt, und probte Mann-über-Bord mit Schwimmweste und Rettungsinsel. Szenarien, die übrigens täglich an Bord wiederholt wurden.

Praktikum als Zahnarzt

Wolfram Wilhelm gab den Seesack mit Montur zur Fracht auf und bestieg in Hamburg den Flieger nach Singapur, zusammen mit einem Chirurgen und einem Anästhesiepfleger. Sie waren das Team des Marine-Einsatz-Rettungszentrums, das mit zwei OPs, Intensivstation, Schiffslazarettsverbandsplatz, Labor und Apotheke ausgestattet ist. Um auf See jedem medizinisch helfen zu können, hatte der Anästhesist aus Lünen sogar ein Praktikum beim Zahnarzt absolviert.

Einsatzbereitschaft war rund um die Uhr. Obwohl Wolfram Wilhelm auch Bluttransfusionen an Bord hätte durchführen können, war das zum Glück nicht nötig. Es ging eher um Handgelenks- und Fußverletzungen, eine herausgesprungene Kniescheibe und darum, den Transport eines Soldaten in die Heimat zu organisieren. Bevor der Lüner aufs Schiff kam, mussten Marinesoldaten mitten im Pazifik am Blinddarm operiert werden.

Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock besuchten die Deutsche Marine im Indopazifik.
Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock besuchten die Deutsche Marine im Indopazifik. © privat

Manöver in der Oberlausitz

Neues kennenlernen, sich in fremde Teams und Organisationen einfügen, auf Komfort zu verzichten: Wolfram Wilhelm schätzt dies außerordentlich: „Eine einmalige Erfahrung – fernab der Heimat.“ Bevor der ehemalige Chefarzt die Indopazifik-Tour startete, hatte er an einem großen Manöver in der Oberlausitz teilgenommen. Geübt wurde, eine Zeltstadt mit Rettungszentrum für die Verletzten von der Front aufzubauen. Dabei ging es vor allem um Abläufe und Organisation. In Anbetracht des Einsatzes von Drohnen, wie im Ukraine-Krieg, sind Zeltstädte angreifbar und nicht mehr das Mittel der Wahl. Mobilere Konzepte sind nötig und werden erprobt.

Am Ende seiner Dienstzeit bei der Bundeswehr freute sich Wolfram Wilhelm wieder auf seine Familie und sein Zuhause. Auch auf das Gitarrespielen und den Besuch des Fußballstadions. Seit Januar ist der ehemalige Chefarzt in Lünen im Einsatz: als Notarzt im Rettungsdienst. Gemeinsam mit Christine Meyer-Frießem schreibt er an einer Neuauflage seines 1128 Seiten starken Fachbuches „Praxis der Anästhesiologie - konkret, kompakt, leitlinienorientiert.“

Wolfram Wilhelm packt den Rucksack
Wolfram Wilhelm bei der Übung in der Oberlausitz, wo ein Rettungszentrum aufgebaut wurde. © privat