In der Caritas-Wertstatt in Lippholthausen herrscht seit Montag (26.6.) wieder reger Normal-Betrieb. Alle Beschäftigten sind an ihre Arbeitsplätze zurück gekehrt.

© Kristina Gerstenmaier

Endlich die Tagesstruktur zurück: Behinderten-Werkstätten öffnen wieder

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Schwere Monate liegen hinter den Caritas-Werkstätten. Seit 28. Juni sind sie wieder im Normalbetrieb. Für das Befinden der Beschäftigten ist das wichtig. Aber es gibt einen weiteren Grund.

Lünen, Selm

, 02.07.2021, 09:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Der geregelte Tagesablauf war es, der am meisten fehlte. Und natürlich die Kontakte untereinander, die bei Menschen mit Behinderung oft mehr noch als bei anderen, in der Werkstätte stattfinden. „Jetzt kommt langsam wieder Normalität rein“, fasst Simon Krumpelmann, die Lage zusammen. „Der Alltag muss doch irgendwie weiter gehen.“ „Die sozialen Kontakte sind einfach weggebrochen“, ergänzt Christina Gabriel.

„Als Corona kam, haben wir uns dann gegenseitig versucht aufzufangen. Zum Beispiel hatten wir eine WhatsApp-Gruppe, in der wir morgens schon gefragt haben, was es so zum Frühstück gab. Irgendwie war immer Sonntag“ „Ja, das hier ist eine wichtige soziale Anlaufstelle“, fügt Sanja Hetke hinzu. „Durch Corona hat sich alles zerrissen.“

Alle drei arbeiten in der Behindertenwerkstätte des Caristasverbandes Coesfeld in Lünen-Lippholthausen: Simon Krumpelmann im Lager, wo er für den Ein- und Ausgang der Waren zuständig ist, Christina Gabriel ist an der Herstellung von physikalischen Lernboxen für Schulen beteiligt und Sanja Hetke arbeitet in der Hauswirtschaft. Außerdem sind alle drei im Werkstattrat aktiv.

Hin und Her im Betrieb

Sie sind 3 von etwa 370 Beschäftigten in den beiden Werkstätten am Standort Lippholdhausen. Hier arbeiten Menschen mit psychischer Erkrankung, geistiger Behinderung und Körperbehinderung. Etwa 15 Industriekunden lassen hier für die Bereiche Montage und Verpackung, Elektromontage oder Metallverarbeitung produzieren.

Dazu kommt ein Bereich Floristik und die Abteilung die die Experimentierboxen für Physikklassen zusammenstellt. Außerdem gibt es Privatkunden, die ihre Aufträge an die Werkstätte herantragen. Insgesamt betreibt der Caritasverband Coesfeld sieben Behindertenwerkstätten: neben vier in Lünen, weitere in Nordkirchen und Lüdinghausen.

Hinter den Beschäftigten liegen schwere Monate, die ein ähnliches Hin und Her boten, wie das, mit dem Schüler konfrontiert waren: Von Ende März bis Ende April 2020 waren die Werkstätten komplett geschlossen. „Zu dieser Zeit waren wir auch alle sehr verunsichert“, berichtet Werkstatt-Leiter Gerd Hötzel. „Und es brauchte Zeit, die Corona-Verordnungen umzusetzen.“

Danach gab es für drei Wochen eine Notbetreuung. „Viele Angehörige rechnen ja auch damit, dass ihre Verwandten tagsüber bei uns gut aufgehoben sind. Dem mussten wir in dieser Form nachkommen“, erklärt Hötzel. Anschließend gab es bis Mitte August ein wöchentlich rotierendes System, um die Abstands-Regeln einhalten zu können. Danach konnten die Beschäftigten wählen, ob sie in die Werkstatt kommen oder lieber zu Hause bleiben wollten.

Im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes, einem Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen, wurden Arbeit und Bildungspakete ab jetzt auch nach Hause gebracht: Arbeit und Bildungspakete. Für Behinderten-Wohnhäuser wurden Mitarbeiter eingeteilt, die dann dort unterstützten. „Unser Auftrag war es, die Teilhabe weiter zu ermöglichen“, sagt Hötzel.

„Teilweise war das schwierig, weil zum Beispiel die Wohnhäuser gar nicht darauf ausgelegt sind, dass die Bewohner den ganzen Tag zu Hause sind.“ Auch zu anderen suchten die Sozialarbeiter immer wieder den Kontakt. „Irgendwann hatte es sich bei etwa 50 Prozent, die zu Hause blieben und 50 Prozent, die in die Werkstatt kamen eingependelt“, resümiert Hötzel.

Impfung brachte die Wende

Eine betriebsweite Impfaktion unter der Federführung von Dr. Arne Krüger - an der nach Schätzung Hötzels etwa 98 Prozent der Beschäftigten teilnahmen - hat Ende März die große Wende gebracht. „Danach wurde die Stimmung eindeutig besser“, erinnert sich Sanja Hetke. „Vorher waren alle sehr ängstlich.“ Sie selbst war schon im Januar in den Betrieb zurück gekehrt. „Ich brauchte einen freien Kopf“, sagt sie, „mein Rhythmus war total im Keller, so ohne zu wissen, wann man aufstehen soll.“ Allerdings sei das dann eine sehr arbeitsintensive Zeit gewesen: Sie hatte die Arbeit der Abwesenden mit erledigen müssen.

Carsten Conrad (l) und Peter Boibur arbeiten auch wieder vor Ort.

Carsten Conrad (l) und Peter Boibur arbeiten auch wieder vor Ort. © Gerstenmaier

Während von anderen Behinderten-Werkstätten bundesweit berichtet wurde, dass sie aufgrund der Pandemie, den Beschäftigten die Löhne nicht mehr hatten zahlen können, sei das beim Caritasverband Coesfeld nicht der Fall gewesen. Trotzdem habe es aufgrund der Situation massive Produktionsausfälle gegeben. „Es war nicht mehr alles leistbar“, denkt Werkstattleiter Gerd Hötzel zurück.

„Es fällt eben einfach auf, wenn einer nicht da ist. Den kann dann auch kein anderer so einfach ersetzen.“ Teilweise hatten sogar festangestellte Mitarbeiter bestimmte Produktionsschritte übernommen. „Aber wir haben ganz klar weniger Geld erwirtschaftet und manche Kunden mussten sich zeitweise anderweitig orientieren.“ Aber kein Kunde sei langfristig verloren gegangen. Und die Ausfälle konnten aus Rücklagen ausgeglichen werden.

Seit Montag, 28. Juni, sind alle Werkstätten nun wieder im Vollbetrieb, alle Beschäftigten in den Betrieb zurückgekehrt. Allerdings fehlt es an FSJlern, vier Stellen sind unbesetzt. „Die Aufträge sind da“, sagt Hötzel, „die Rückstände aufzuholen wird aber nicht möglich sein.“

Der wichtigste Unterschied zu anderen Betrieben sei, sagt er, dass es hier ein Verständnis für das Handicap des jeweiligen Beschäftigten gebe. Die Werkstatt sei oft die letzte Anlauflaufstelle, um berufliche Teilhabe zu ermöglichen.

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