
© Julian Preuß
Eines der ältesten Gebäude in Lünen: Zeitreise bis ins 17. Jahrhundert
Fachwerkhaus
In den letzten Wochen restaurierten Spezialisten das alte Fachwerkhaus an der Mauerstraße 93 in Lünen. Das Haus ist ein stummer, aber vielsagender Zeuge aus einer längst vergangenen Zeit.
Zwei Weltkriege und zahlreiche Unwetter hat das Fachwerkhaus an der Mauerstraße 93 überstanden. Seit mehr als drei Jahrhunderten bietet das Gebäude Menschen Zuflucht, Schutz und ein Zuhause. Zu diesem Zweck hatte es Diderich Schnider 1651 gebaut. Das geht aus einer mehrzeiligen Inschrift rechts der doppelschlägigen Tür hervor.
Damit gehört das Fachwerkhaus zu den ältesten Gebäuden in der Lünen. Und die Inschrift erzählt noch mehr zur Entstehung des Hauses. „Ich habe gebawet aus Noth und grosse Gefahr“, steht dort überwiegend mit Großbuchstaben ins Holz geritzt.
In den Geschichtsbüchern findet sich schnell ein Hinweis darauf, auf welche Gefahr und welche Not sich Erbauer Diderich Schnider bezogen haben könnte: Der 30-jährige Krieg (1618 bis 1648) war erst drei Jahre vorüber. In ihm entluden sich die religiösen Spannungen zwischen Katholiken und Protestanten. Gleichzeitig kämpften verschiedene Staaten um Macht in Europa.
30-jähriger Krieg forderte viele Menschenleben
Während der Kriegsjahre ging die Bevölkerung auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands - dem damaligen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation - rapide zurück. Schätzungen zufolge fielen 20 bis 40 Prozent der Landbevölkerung den Kämpfen und Seuchen zum Opfer. Erst die Verträge des Westfälischen Friedens beendeten 1648 den Krieg.
Das Team um den Restaurator Wilfried Knepper hat dazu beigetragen, dass die Inschrift in der Gegenwart als kleines Fenster in die Vergangenheit fungiert. Als sie die alten Teeranstriche entfernt haben, legten sie das Textstück wieder frei. Der Maurermeister und Zimmerer hat sich mit seinem Betrieb mit Sitz in Dortmund auf ökologisches Bauen und Restaurieren spezialisiert.

Restaurator Wilfried Knepper erklärt die Besonderheiten des Fachwerkhauses an der Mauerstraße 93 in Lünen. © Julian Preuß
Im Auftrag von Gebäudeeigentümer Thomas Reuß verhilft er dem Fachwerkhaus an der Mauerstraße zu neuem Glanz - ohne dabei auf moderne Bautechniken zurückzugreifen. „Wir entfernen an den Balken und den Gefachen die Altanstriche“, erklärt Knepper. Zur Aufarbeitung verwenden sein Team und er alte Handwerksverbindungen und Denkmalschutz-konforme Materialien. Beispielsweise Holz, Kalk und Lehm.
Auf Nägel oder Schrauben verzichten die Restaurateure komplett. „Das tragende Gerüst, also die Holzkonstruktion, besteht aus Zapfen und Zapfenlöchern“, sagt er. Holznägel halten die Verbindungen, zu denen auch Blattverbindungen gehören, zusammen.
Fachwerkhaus erlitt nur punktuelle Schäden
Der Zustand des Fachwerkhauses sei gut, findet Knepper. Es gebe lediglich punktuelle Schäden. Beispielsweise haben die Handwerker ein Stück eines Holzpfosten aus Eiche ausgetauscht. Es sei durch Tierbefall beschädigt worden. „Die Kunst dabei ist, dass man möglichst wenig von der alten Substanz schädigt“, erläutert Knepper, der ein Fachmann auf diesem Gebiet ist. Etwa 270 vergleichbare Objekte habe er mit seinem Team bereits restauriert.

Im Inneren des Hauses führt eine verzierte Holztreppe auf die Etage unter dem Dach. © Julian Preuß (A)
Dabei bekomme er immer wieder kleine Besonderheiten zu sehen. So wie Schnitzereien, die die Holzbalken des Grundgerüstes zieren. Dem Eigentümer sind weitere Eigenarten aufgefallen. „Die Balken sind nummeriert, wie bei einem Steckkastensystem. Des Weiteren müssen einzelne Balken schonmal anders verwendet worden seien, bevor sie zum Bau des Hauses genutzt wurden“, sagt Thomas Reuß. Im Inneren deutet er auf einen Deckenbalken zwischen der ersten und zweiten Etage. In ihm befindet sich mittig ein Loch, wie von einer vorherigen Holzverbindung.
Gebäude liefert wichtige Hinweise über den Grundriss der Stadt
Reuß ist fasziniert von dem Gebäude, hat sich in dessen Details vertieft und in die Geschichte eingelesen. Dokumentiert hat diese das Archiv der Stadt Lünen. So heißt es beispielsweise in einem entsprechenden Eintrag in der Denkmalliste: „Das Fachwerkhaus ist bedeutend für unsere Kenntnis vom Stadtgrundriß des 17. Jahrhunderts und für die damaligen Bauweisen.“
So müsse die frühere Stadtmauer direkt südlich des Hauses verlaufen sein. Mit drei Toren und vier Türmen sei die Mauer gesichert gewesen, steht in einem Sonderdruck der Zeitschrift „Westfalen“ von 1994. Sie nimmt Bezug auf alte Zeichnungen aus den 1670er Jahren.
Noch heute erinnert der Name „Mauerstraße“ an ihren Verlauf. Die Stadtmauer habe sogar die rückwärtige Wand des Hauses gebildet. Nach deren Schleifung im siebenjährigen Krieg (1756 bis 1763) musste diese neu aufgebaut werden.

Neben einer modernen Gasheizung sorgt im Winter ein Kamin für wohlige Wärme im Fachwerkhaus. © Julian Preuß (A)
Stadtarchiv dokumentiert frühere Bewohner
Ebenfalls im Archiv hinterlegt sind einige der früheren Bewohner. Die Liste reicht bis ins Jahr 1900 zurück. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Invalide Wilhelm Langenbach in dem Fachwerkhaus gewohnt, ehe ab 1907 der Schlosser Friedrich Sperken dort hinzog.
Die Familie Sperken trat Jahrzehnte später nochmal in Erscheinung. Am 2. Dezember 1970 berichteten die Ruhr Nachrichten, dass Johanna Kühne, Sperkens Tochter, ihren 100. Geburtstag gefeiert hat. Es sind also die Fäden großer und kleiner Geschichten, die im Laufe der Jahre im Fachwerk des Hauses an der Mauerstraße 93 verwoben worden sind. Die Restaurierung erhält all diese Erinnerungen an vergangene Zeiten. So bleibt das Haus auch nach 370 Jahren als stummer Zeitzeuge bestehen.
Geboren in der Stadt der tausend Feuer. Ruhrpott-Kind. Mag königsblauen Fußball. Und Tennis. Schreibt seit 2017 über Musik, Sport, Wirtschaft und Lokales. Sucht nach spannenden Geschichten. Interessiert sich für die Menschen und für das, was sie bewegt – egal in welchem Ort.