Martin Fricke und einer seiner Söhne schauen zu dem herüber, was von Steag-Kraftwerk übriggeblieben ist.

© Sylvia vom Hofe

Ein Leben mit dem Kraftwerk: „Das ist heute für uns kein einfacher Tag“

rnSprengung in Lünen

Ein Kilometer liegt zwischen den Lüner Kraftwerken. Für Martin Fricke bilden sie jedoch eine Einheit: „Meine Lebensgeschichte.“ Davon fehlt jetzt ein ganzes Stück. Aber weniger als gedacht.

Lünen

, 28.03.2021, 20:20 Uhr / Lesedauer: 3 min

Als Martin Fricke ein kleiner Junge war, wollte er Gärtner werden. Oder Chemiker. An eine Arbeit auf dem Steag-Kraftwerk hatte er da noch nicht gedacht, obwohl er mit seinem Rädchen aus Brambauer regelmäßig dorthin gefahren ist: „Dieses riesige Gebäude hat mich geradezu angezogen“, sagt der 62-Jährige: Ein Abenteuerland der Fantasie für das Kind. Ein Einstieg ins Berufsleben für den Auszubildenden. Und eine Karriereleiter für den Ingenieur, der auf dem zweiten Bildungsweg studiert hatte und heute Technischer Leiter des Trianel-Kraftwerks ist.

Seit Sonntag, kurz vor 12 Uhr, ist von seiner alten Wirkungsstätte nur noch eine große Staubwolke übriggeblieben. „Das ist ein Teil meines Lebens“, sagt Fricke, als sich die Wolke etwas verzogen hat. Und er wieder sprechen mag. Dass er vorher erst einmal kräftig schlucken musste, sah man sogar hinter der weißen FFP-2-Maske. „Mein Bruder hat auf der Steag-Steinfabrik gearbeitet.“ Ein Sohn hat auf dem Kraftwerk eine Lehre gemacht. Ein anderer ein Praktikum. Und Sohn Mark, der einzige, der nie selbst dort tätig war, steht jetzt neben seinem Vater. „Auf dem Kraftwerk habe ich meine Familie aufgebaut.“ Diese Basis von einem Moment auf den anderen in einen Schutzberg verwandelt zu sehen, „ist nicht gerade einfach“.

Als Bergleute am Kraftwerk einfuhren

Auch nicht für seine ehemaligen Kollegen. Fricke selbst steht auf dem Balkon des 2013 ans Netz gegangenen Trianel-Kraftwerks, gleich gegenüber des 80 Jahre alten Steag-Kraftwerks. Viele seiner Wegbegleiter guckten sich die Sprengung auch live an: von der Kanalbrücke, vom Lippedamm, oder von anderen Standorten. Der eine oder andere sei aber auch lieber zu Hause geblieben. Weil er es nicht mit ansehen wolle

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Denn auch wenn schon zwei Jahre seit der Werksschließung vergangen sind und Lünen jetzt dabei sei, ein neues Kapitel aufzuschlagen in der Wirtschaftsgeschichte, wie es an diesem Tag sowohl Minister Andreas Pinkwart als auch Bürgermeister Jürgen Kleine-Frauns sagen: „Für uns ist das heute kein Freudentag.“ Eine Ära gehe zu Ende. Noch eine.

Da stand noch der Lange Lulatsch: der 250 Meter hohe Schornstein. Martin Fricke kurz vor der Sprengung seiner langjährigen Arbeitsstätte.

Da stand noch der Lange Lulatsch: der 250 Meter hohe Schornstein. Martin Fricke kurz vor der Sprengung seiner langjährigen Arbeitsstätte. © Sylvia vom Hofe

Fricke kann sich noch gut daran erinnern, wie er als junger Mann auf dem Kraftwerksgelände eingefahren ist.

Tatsächlich habe ein Förderturm der Zeche Achenbach auf dem Gelände gestanden: Schacht 6. Das Förderrad sei nicht weithin sichtbar gewesen, weil die Anlage eingehaust war. Aber dort konnten Kumpels einfahren, und es kam Kohle raus, die direkt zum Kesselhaus gelangte.

„Der Vater meiner damaligen Freundin war Fahrsteiger.“ Der habe ihn mitgenommen. Kontakt zu Bergleuten habe er ohnehin gehabt. Wegen seiner Mutter.

Mutter hatte Kneipe Rose in Brambauer

Die hatte eine Kneipe in Brambauer: Haus Rose“: ein beliebter Treffpunkt der Kumpels der Region. In den Semesterferien habe er oft geholfen und Rentnergedecke serviert: „Ein Klarer und ein Durchgezapftes für eine Mark.“ Am Tresen hörte er von den Alten die stolzen Geschichten von Aufstieg und Wachstum der Bergbaus, draußen erlebte er die Sorgen der aktiven Bergleute angesichts hoher Förderkosten und mangelnder Wettbewerbsfähigkeit. Ende der 1980er-Jahre schloss Schacht 6, 1992 die gesamte Zeche. Ein Vorgeschmack auf das, was folgen sollte.

Fricke und sein Sohn sind nicht die einzigen Zuschauer der Sprengung auf dem Trianel-Balkon. Auch Stefan Paul ist da, der Geschäftsführer von Trianel Lünen. Er hat seinen zwölfjährigen Sohn Luis dabei. Das Steag-Kraftwerk nebenan, sagt er, sei jetzt Geschichte. Steag-Mitarbeiter gebe es aber immer noch. „Wir haben die Steag bei uns unter Vertrag als Betriebsführer für unser Kraftwerk“, sagt er. Rund 70 Leute sorgten für den laufenden Betrieb und die Instandhaltung. Auch am Sonntag.

Trianel war wegen Wind vom Netz

„Wir brauchten unser Kraftwerk nicht vorsorglich vom Netz zu nehmen“, sagt Paul. Produziert habe es am Sonntag aber trotzdem nicht. Weil es so windig. war. Und die Windräder ausreichend Strom produziert haben. Kohlekraftwerke sichern die Energieversorgung, wenn Flaute ist - bis spätestens 2038.

„Ich dachte, dass nicht so viel stehen bleiben würde“, sagt Fricke , als er sich umdreht zum Gehen. Und dass es lauter knallen würde. Die Erschütterung hallt trotzdem nach. Innerlich.

Trianel-Lünen-Geschäftsführer Stefan Paul und sein Sohn Luis haben auch die Sprengung vom Balkon des Trianel-Gebäudes aus verfolgt.

Trianel-Lünen-Geschäftsführer Stefan Paul und sein Sohn Luis haben auch die Sprengung vom Balkon des Trianel-Gebäudes aus verfolgt. © Sylvia vom Hofe

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