Jürgen Kleine-Frauns, Bürgermeister von Lünen, wird sich vorerst nicht in einem Hauptverfahren vor Gericht verantworten müssen. Das hat das Amtsgericht Lünen am 17. April entschieden. Wie berichtet, hatte die Staatsanwaltschaft Dortmund im Februar 2025 Anklage gegen Jürgen Kleine-Frauns erhoben. Die Ermittler warfen Kleine-Frauns die Verletzung eines Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht vor. Der Bürgermeister hatte seinem damaligen ehrenamtlichen Stellvertreter eine E-Mail weitergeleitet und sie dann in den Papierkorb verschoben. In dieser E-Mail war Kleine-Frauns darauf hingewiesen worden, dass Daniel Wolski sexuelle Kontakte zu Minderjährigen hatte. Ein Vorwurf, der sich später als wahr herausstellte – den Kleine-Frauns aber für unvorstellbar hielt: „Über die E-Mail werde ich mit niemandem sprechen. Ich sende sie Dir zu Deiner Information. Glückauf“, hatte Kleine-Frauns an Wolski geschrieben.
Das Amtsgericht sieht diesen Sachverhalt anders als die Staatsanwaltschaft: Die Ablehnung erfolge „aus tatsächlichen Gründen“, wie es in einer Pressemitteilung des Amtsgerichts Lünen heißt. Das bedeutet, dass ein Antrag auf Eröffnung des Hauptverfahrens aufgrund fehlender Beweise oder Zweifel an der Schuld abgelehnt wird. „Das Gericht geht davon aus, dass die Weiterleitung des Textes einer E-Mail nicht als Verletzung des Dienstgeheimnisses zu werten ist“, schreibt Dr. Niklas Nowatius, Direktor des Amtsgerichts. Die E-Mail habe „keinen ausreichend substantiierten Kern“ enthalten, „der notwendig geeignet war, bei dem Beschuldigten eine hinreichend konkrete Vorstellung in Bezug auf einen Sachverhalt hervorzurufen, dessen Überprüfung in Bezug auf den Wahrheitsgehalt mit den Mitteln des Beweises möglich war“.
Meinung statt Tatsache?
Das heißt: Der Inhalt der E-Mail sei nicht konkret genug gewesen, er habe nicht nur als Tatsachen-Mitteilung, sondern auch als Meinungsäußerung bewertet werden können, „dass der stellvertretende Bürgermeister Wolski sich in strafrechtlich relevanter Weise in Bezug auf ein Strafdelikt mit sexuellem Bezug einem minderjährigen Mädchen genähert habe“, wie es in der Mitteilung heißt. Daher könne beim Bürgermeister kein Vorsatz erkannt werden. Kleine-Frauns‘ Aussage, er habe den Inhalt der E-Mail als „unwahre Diffamierung“ eingestuft, lasse sich nicht widerlegen. Aus der Weiterleitung des Inhalts an Wolski „könne nicht auf eine Verschleierungsabsicht geschlossen werden“.
Der Wortlaut der E-Mail aus dem Januar 2023 liegt der Redaktion vor. Er lautet: „Sehr geehrter Herr Kleine-Frauns, ich möchte Ihnen mitteilen, dass Herr Wolski Kontakt mit einer damals 15-, jetzt 16-Jährigen hat. Sie hat uns alle Chatverläufe zukommen lassen. Verführung Minderjähriger ist strafbar. Das sollte er wissen. Wir werden es zur Anzeige bringen. Wir haben außerdem einen Zeugen, der bestätigt, dass Herr Wolski am vergangenen Wochenende dem besagten Mädchen 100 Euro persönlich überreicht hat, um ein späteres Treffen zu ermöglichen. Alles andere wird die Polizei dann mit Herrn Wolski klären.“ Die E-Mail ist nicht unterschrieben, wurde aber von einer E-Mail-Adresse nach dem Muster Vorname.Nachname@ versendet. Kleine-Frauns hatte immer angegeben, die Mail sei „unter falschem Namen“ versendet worden und hatte die Nachfragen der Redaktion dazu nicht beantwortet.
Die Staatsanwaltschaft kann gegen diese Entscheidung Beschwerde einlegen. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft erklärte gegenüber der Redaktion, dass eine solche Beschwerde momentan geprüft werde.
Kleine-Frauns‘ Verteidiger Peter Wehn äußerte sich in einer Stellungnahme: „Diese Entscheidung ist richtig. Die Hoffnung in die Unabhängigkeit und Genauigkeit des Amtsgerichts hat sich damit bestätigt. Zu beanstanden bleibt indes, dass die Staatsanwaltschaft Dortmund bei sorgfältiger juristischer Prüfung das Verfahren erst gar nicht einleiten durfte und schon längst hätte einstellen müssen.“
Zusätzlich zu dem strafrechtlichen Verfahren hatte der Kreis Unna ein Disziplinarverfahren gegen Kleine-Frauns eingeleitet, das aber ruhend gestellt. Nach Ende des Strafverfahrens soll dort geprüft werden, ob und wenn ja welche disziplinarrechtlichen Maßnahmen zu treffen seien.
Daniel Wolski war im Frühjahr 2024 zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt worden. Er hatte den Besitz von Kinderpornos gestanden, auch, dass er Minderjährige für Geschlechtsverkehr bezahlt hatte. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Wolskis Revision hatte Erfolg, das Urteil wurde teilweise aufgehoben. Es wird neue Prozesstage vor dem Landgericht Bochum geben.