„Haben Sie schon einmal über eine Nierentransplantation nachgedacht?“ Als meine Nephrologin im Krankenhaus diese Frage stellte, musste ich mich erst einmal sammeln. Denn ich wusste, einer Spende geht die Dialyse voraus. Eine Behandlung, auf die ich alles andere als scharf war. Heute, gut ein halbes Jahr Abstand zu diesem Satz, bin ich sehr dankbar für die Blutwäsche. Vergangenen Dezember nicht.
Ich benötige eine Spenderniere. Denn meine eigenen Organe, die den Körper von Giftstoffen befreien und ihn entwässern, arbeiten nicht mehr. So wie mir geht es 8.500 Menschen in Deutschland. Sie alle warten auf ein Spenderorgan, die meisten auf eine Niere. Doch so viele Organe stehen nicht für Transplantationen zur Verfügung. Weil sie entweder in ihrer Qualität nicht ausreichend gut für eine Spende sind, und weil sich nicht genug Menschen entscheiden, einen Organspendeausweis zu tragen. Nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gab es 2021 nur 933 Organspenderinnen und Organspender, die nach ihrem Hirntod anderen Menschen ihre Organe geben. Da das Angebot an Organen deutlich geringer ist als der Bedarf, bedeutet das für die Betroffenen: warten, in einigen Fällen eine Ewigkeit. Etwa acht bis zehn Jahre warten Erkrankte, sagt Prof. Dr. Andreas Pascher, Direktor der Klinik für Allgemeine, Viszeral- und Transplantationsmedizin am Universitätsklinikum Münster (UKM).
Diät und wenig Flüssigkeit
Während der Zeit der Dialyse gibt es etliche Einschränkungen für die Patienten. Eine ist eine strenge Diät. Weil Stoffe wie Kalium oder Phosphat wegen der Niereninsuffizienz nicht ausreichend abgebaut und ausgeschieden werden können, in hohen Konzentrationen aber Herz-Rhythmus-Störungen auslösen können, müssen diese Stoffe größtenteils vom Speiseplan verschwinden. Und das bedeutet: Wenig Frischobst, kaum Gemüse ohne besondere, aufwendige Kochverfahren, Fleisch und Wurst am besten streichen, Weißmehlbackwaren statt Vollkorn. Und auf den ganzen Schreck ein Stück Schokolade für die Nerven? Fehlanzeige, auch darin ist zu viel Kalium. Die Liste der Lebensmittel, die nicht empfohlen sind, ist in meinen Ernährungsratgebern deutlich länger als die der empfohlenen Dinge.
Die zweite Einschränkung: Begrenzte Flüssigkeitszufuhr, denn die Nieren entwässern den Körper nicht mehr ausreichend. Dicke Beine hatte sicher jeder schon einmal, häufig an heißen Tagen. Bei nierenkranken Menschen ist das oft Dauerzustand, auch geschwollene Hände, Augenlider, ein sehr rundes Gesicht sind Zeichen der Überwässerung, der die Dialyse-Maschine Abhilfe verschaffen muss. Oft folgt auf die Überwässerung Kurzatmigkeit, denn das Wasser sammelt sich häufig im Bauch, rund um die Lunge. Ein Liter Trinkmenge pro Tag ist für viele Dialysepatienten schon großzügig.
Auch die Zeit ist etwas, das Dialyse-Patienten genau im Blick haben. Im Schnitt verbringen sie zwölf Stunden pro Woche in der Dialyse-Praxis. Dreimal in der Woche hängen sie für vier, manchmal fünf Stunden an der Maschine. Dabei wird nach und nach das Blut aus dem Körper gezogen, in der Maschine gefiltert und von sogenannten harnpflichtigen Substanzen und Wasser gereinigt. Mit Glück bieten Dialyse-Praxen Abendtermine an, sodass der Tag frei bleibt und man beispielsweise arbeiten kann, sonst bestimmt die Behandlung die Tagesplanung. Spontan wegfahren, weil ein langes Wochenende ansteht, ist auch nicht drin. Zwar sind Feriendialysen fast weltweit problemlos möglich, allerdings müssen diese etwa sechs Monate im Voraus gebucht werden. Eine Dialyse, die flexibler macht, ist die Bauchfelldialyse. Dabei wird eine Glucoseflüssigkeit über einen Katheter in den Bauchraum geleitet, die harnpflichtigen Substanzen gebündelt und nach einigen Stunden wieder abgelassen. Das lässt sich problemlos daheim oder am Arbeitsplatz machen. Der Wechsel dauert gerade einmal 20 Minuten und schenkt Unabhängigkeit vom Dialyse-Zentrum.

Mehr Risikofaktoren, mehr Dialyse
60.000 Menschen in Deutschland sind von einer Dialyse abhängig. Dr. Michael Drees, Nephrologe, betreut Nierenkranke und Dialyse-Patienten im Nephrologicum Westfalen in Brambauer und am Standort in Werne. Der Bedarf an Organen werde in den nächsten Jahren steigen, da auch die Risikofaktoren für Nierenerkrankungen zunehmen. „Zum einen sind das Diabetes und Bluthochdruck, zum anderen werden die Menschen immer älter, haben Herzleiden, die ebenfalls Nierenerkrankungen bedingen“, erklärt der Mediziner. Auch die Ernährung spiele eine große Rolle. Welcher Dialysepatient für eine Nierentransplantation infrage kommt, muss individuell erörtert werden. Denn der allgemeine Gesundheitszustand der Betroffenen muss so gut sein, dass sie eine mehrstündige Transplantations-OP überstehen können. „Einige Menschen sind zu alt für eine Transplantation, sie würden vielleicht die Wartezeit nicht überleben. Viele haben auch noch andere schwerwiegende Erkrankungen“, sagt Dr. Michael Drees. Er habe viele Patienten zwischen 60 und 70 Jahren, einige seien aber auch deutlich jünger.
Pro Widerspruchslösung
Im Uniklinikum Münster (UKM) gehören Transplantationen zu Routine-Operationen. 119 Organtransplantationen wurden 2022 durchgeführt. Auch hier warten die meisten Patienten auf eine Niere: 334 sind es, wie UKM-Sprecherin Anja Wengenroth erklärt. 81 auf eine Leber, vier auf eine Bauchspeicheldrüse und neun auf einen Dünndarm. Die Bereitschaft zu spenden sei lange nicht so hoch, wie der Anspruch im Krankheitsfall selbst ein neues Organ zu bekommen, kritisiert Prof. Dr. Andreas Pascher. „Über 95% der Menschen wollen im eigenen Erkrankungsfall prinzipiell transplantiert werden, um gesund zu werden oder, vielmehr, um zu überleben“, sagt Pascher. Doch nur gut 40 Prozent der Deutschen besitzt einen Organspendeausweis. Für diese Diskrepanz sieht er im Kern nur eine Lösung: Verbindlichkeit. Denn Transplantationen basieren auf einem solidarischen Prinzip, wie auch die Krankenversicherung. „Ich spreche mich ganz bewusst und deutlich für die Widerspruchsregelung aus“, erklärt er.
Eine Regelung, die auch die Politik debattiert. So ist jeder Mensch per se Organspender und muss dem aktiv widersprechen. Länder, die nach diesem Prinzip arbeiten, weisen deutlich höhere Organspenderzahlen auf. In Spanien kommen auf eine Million Menschen 38 Organspender, in Deutschland elf. Um aber im derzeitigen System mehr Menschen zum Tragen eines Organspendeausweises zu bewegen, sei Aufklärung nötig. Dabei sollen vor allem Hausärzte der erste Ansprechpartner sein, sagt Dr. Michael Drees. Prof. Dr. Andreas Pascher setzt früher an und fordert Aufklärung schon in den Schulen, damit mit Eintritt ins Erwachsenenalter direkt verbindliche Entscheidungen getroffen werden können.

Bessere Option: Lebendspende
Neben der Totspende können bei Leber und Niere auch Lebendspenden durchgeführt werden. Spenden können Partner, nahe Verwandte und enge Freunde, wie es das Transplantationsgesetz regelt. Der Vorteil: Diese Organe arbeiten oft länger, wie Dr. Michael Drees betont. Denn die Operation ist besser geplant und die Organe sind eine kürzere Zeit außerhalb eines Körpers. Durch den Fortschritt der Medizin ist es mittlerweile möglich, auch Organe unabhängig passender Blutgruppen zu transplantieren. Doch auch hier müsse nachgebessert werden, da auch diese Spenden den Bedarf nicht decken können. Im Schnitt arbeiten die transplantierten Nieren 15 Jahre.
So sei es wichtig, dass „Deutschland gängige Verfahren in vergleichbaren und benachbarten Ländern wie die Überkreuzspende bei nicht verwandten Spender-/Empfängerpaaren endlich zulässt“, so der Mediziner. Hinzu kommt eine bessere „Würdigung und finanzielle und gesundheitliche Versorgung der Lebendspender“. Und auch hier sei eine bessere Aufklärung enorm wichtig.