Das Bekanntwerden des Geheimtreffens von rechten Aktivisten mit Politikern von AfD und CDU in Potsdam, bei dem es um die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland ging, hat eine große Protestwelle im Land losgetreten - und die Forderung nach einem Parteiverbot laut werden lassen. Ist das gerechtfertigt, sinnvoll und auch machbar? Daran scheiden sich auch in der Lüner Politik die Geister, wie eine Umfrage kurz vor der großen Demonstration gegen Rechts in Dortmund (Samstag, 20.1., 15 Uhr) zeigt.
„Wir zweifeln kein bisschen daran, dass diese Alternative eine Gefahr für Deutschland ist“, sagt Norbert Janßen, der Vorsitzende des SPD-Stadtverbandes. Das nunmehr aufgedeckte Geheimtreffen von Vertretern dieser Partei mit anderen Rechtsextremisten, Neonazis und den Identitären sei nur ein weiterer Beleg dafür, heißt es in der schriftlichen Antwort, die Stadtverband und Fraktion miteinander abgestimmt haben.
„Wir sind mittlerweile an einem Punkt angelangt, an dem die schweigende Mehrheit unseres Landes dies nicht mehr hinnehmen will und sich in großen Demonstrationen dagegen erhebt. Und das ist gut so“, so Janßen. Und was heißt das für ein mögliches Verbotsverfahren? „Wohlwissend, dass mit einem solchen Verfahren auch immer Risiken verbunden sind, gilt: unsere Demokratie muss sich gegen Angriffe kraftvoll verteidigen, sie muss beweisen, dass sie wirklich eine wehrhafte Demokratie ist“, sagt Rüdiger Billeb, Vorsitzender der größten Fraktion im Lüner Rat. „Eines ist aber auch klar: ein solches Verfahren dauert sehr lange. Aber jeder lange Weg beginnt mit einem ersten Schritt.“ Dieser erste Schritt sei die intensive Prüfung des Verbotsverfahrens.
SPD: Intensive Prüfung
Inzwischen gibt es Rufe, rechtsextremen Politikern wie Björn Höcke nach Artikel 18 des Grundgesetzes Grundrechte zu entziehen und damit die Wählbarkeit abzuerkennen. Wie steht die SPD dazu? „Wer die Möglichkeiten, die die Grundrechte ihm bieten, missbraucht, um die freiheitlichdemokratische Grundordnung zu bekämpfen oder sie gar abzuschaffen, verwirkt diese Rechte“, schreiben Rüdiger Billeb und Norbert Janßen.

Von der Lüner Stadtgesellschaft wünschen sich die beiden, „dass sie sich genauso wie in anderen Städten erhebt, dass sie Stellung bezieht – im privaten Rahmen, aber auch im öffentlichen Diskurs.

CDU: Sehr kritisch
Die CDU als zweitgrößte Fraktion im Lüner Rat, steht „einem Verbotsverfahren sehr kritisch gegenüber, da die Aussicht auf Erfolg nicht zwingend gegeben sein könnte“, wie der CDU-Fraktionsvorsitzende Christoph Tölle sagt. Denn ein erfolgloses Verbotsverfahren würde die AfD nur unnötig weiter erstarken lassen. Auch einen möglichen Grundrechtsentzug und damit der Aberkennung der Wählbarkeit einzelner AfD-Politiker wie Björn Höcke sieht die Lüner CDU kritisch. Bislang habe kein Verfahren zum Erfolg geführt.: „Wir sind der Auffassung, dass es viel sinnstiftender ist, Herrn Höcke und seine Thüringer AfD inhaltlich zu stellen.“ Die Lüner Stadtgesellschaft dürfe nicht wegschauen.
Tölle: Demo auch in Lünen
Tölle und seine Parteikolleginnen und -kollegen unterstützen nicht nur - wie auch der von Rainer Schmeltzer koordinierte Lüner Arbeitskreis gegen Rechts - den Demo-Aufruf in Dortmund. „Wir sind ebenfalls in die Planung für eine Demonstration und Kundgebung auf dem Lüner Rathausplatz eingestiegen und hoffen auch auf eine große Teilnahme aus der Lüner Bevölkerung und dem gesamten Kreis Unna.“ Einen Termin hat Tölle dafür noch nicht genannt.

GFL: Weiterhin beraten
Prof. Dr. Johannes R. Hofnagel, Vorsitzender der Wählergemeinschaft „Gemeinsam für Lünen“ (GFL) macht klar, „dass wir uns ablehnend zur AfD positioniert haben“. Die AfD sei in den Grundzügen eine rechtsradikale Vereinigung. „Hierzu müssen wir klare Gegenpositionen beziehen und die AfD in der politischen Kontroverse stellen. Wir gehen mit der AfD keine Kooperationen ein.“ Ob ein Parteienverbot der richtige Weg ist, um die Bedrohung von Rechts zu stoppen, ist für Hofnagel und seine Mitstreiter nicht so eindeutig. „Bekanntlich ist ein Partei-Verbotsverfahren nicht leicht umzusetzen. Von daher muss dieser Schritt wohl überlegt sein und ist letztendlich ein Fall für die Gerichte. Die GFL-Gremien werden sich zu dieser Thematik weiterhin intensiv beraten und positionieren.“

Die Initiative, rechtsextremen Politikern wie Björn Höcke nach Art. 18 GG Grundrechte zu entziehen sei in den GFL-Gremien noch zu beraten, so Hofnagel: „Ich persönlich begrüße diese Initiative ausdrücklich“, ergänzt er. Sie könne im Erfolgsfall als gute Möglichkeit gesehen werden, die Aktivitäten der AfD zu begrenzen. Er selbst habe eine entsprechende Unterschriftensammlung auch bereits unterzeichnet. Zusammen mit dem „Lüner Bündnis gegen Rechtsextremismus“ unterstützt die GFL Aktionen gegen Rechtsradikale. Hofnagel, GFL-Ratsfraktionsvorsitzender Andreas Dahlke und andere Mitglieder der Wählergemeinschaft wollen an der Demo am Samstag in Dortmund teilnehmen.
Grüne: Wählbarkeit aberkennen
Für die viertgrößte Gruppe im Lüner Rat, die Grünen, antwortet Volker Hendrix. „Verfassungswidrige Parteien sollte man verbieten“, sagt er. „Je mehr Zulauf, desto dringlicher.“ Wichtig sei nur die Frage, ob das erfolgreich sein könne. Dass das auf Bundesebene gelingen kann, glaubt Hendrix eher nicht: „Da ist die AfD noch kreidefressend.“ Bei einzelnen Landesverbänden sei die Sache dagegen eindeutig. Sie sollten aus Sicht der Grünen verboten werden. Ein Aberkennungsverfahren der Wählbarkeit einzelner Rechtsextremisten befürwortet er ebenfalls nachdrücklich: „Höcke sollte man die Grundrechte zu entziehen suchen, auch wenn die historischen Erfahrungen mit diesem Vorgehen nicht ermutigend sind.“ Vor Ort wüscht er sich, dass die Menschen Flagge zeigen und demonstrieren: „Die AFD und ihre Supporter müssen wissen: Es gibt keine schweigende Zustimmung.“

FDP: Brandmauer funktioniert nicht
Für Karsten Niehues, Vorsitzender der FDP-Fraktion, kommt die Frage eines Parteienverbots nicht überraschend. „Die etablierten Parteien sind offenkundig nicht in der Lage, sich mit den Themen der AfD rechtsstaatlich auseinanderzusetzen und den Ideen und Programmen dieser Partei entgegenzutreten“, schreibt er. Ein Verbotsverfahren sieht er skeptisch. Das Bundesverfassungsgericht habe zu Recht festgestellt, dass politische Parteien sich der öffentlichen Auseinandersetzung mit fragwürdigen Parteien zu stellen hätten. „Doch müssen wir uns der Frage stellen, ob dies aktuell tatsächlich geschieht.“
Die Brandmauer gegen rechts sei „eine Idee der etablierten Parteien gewesen, um sich mit deren Thesen nicht auseinandersetzen zu müssen. Sie wirkt jedoch nicht so, dass die AfD in den Wahlumfragen darunter leidet“, meint der Sprecher der Liberalen, die bei der Lüner Ratswahl 2020 3,45 Prozent der Stimmen erzielt hatten. Für ihn steht daher fest: „In Lünen werden wir uns thematisch mit rechtsgerichteten Themen, die in den Lüner Stadtrat eingebracht werden, auseinandersetzen.“

Ein Verbotsverfahren „macht nur dann Sinn, wenn es als sicher anzusehen ist, dass dies erfolgreich sein wird“. Das sei aber ungewiss. Niehues stellt fest, „dass das ausgesprochen fragliche Gedankengut bereits aus der AfD in andere zumindest parteinahen Gruppierungen übergeschwappt ist. Der Dammbruch ist da.“ Die Verantwortung einem Gericht zu übertragen, reiche nicht aus.
Linke: Verbot sofort
Mustafa Kurt, Fraktionsvorsitzender der Linken-Fraktion Lünen (3,16 Prozent der Stimmen) und Sprecher vom Ortsverband Lünen-Selm, ist eindeutig: „Ein Verbotsverfahren für die AfD ist erforderlich“ - sofort, wie er ergänzt. „Die AfD gefährde schließlich die Demokratie. „Ihre Politiker diskriminieren einen Teil der Bevölkerung“: „Wir müssen Menschen vor den Lügen und demokratie- und menschenfeindlichem Verhalten der AfD warnen.“ Dafür eigneten sich etwa Demonstrationen und Kundgebungen.

NWL und AfD äußern sich
6,79 Prozent der Lüner Wählerinnen und Wähler hatten bei der Kommunalwahl 2020 ihre Stimme der AfD gegeben. Die damals gewählten Ratsmitglieder haben sich inzwischen aufgeteilt auf zwei Fraktionen. Peter und Constanze Pasternak haben die Fraktion „Nachhaltigkeit und Wohlstand für Lünen“ gegründet. Friederike Hagelstein steht der verbliebenen AfD vor. Beide Gruppierungen äußern sich erwartungsgemäß verhalten bis kritisch gegenüber einem Verbotsverfahren.
„Wir urteilen über so etwas erst, wenn wir die genauen Hintergründe kennen“, schreibt Constanze Pasternak, Fraktionsvorsitzende der NWL. Es sei fraglich, ob bei der besagten Veranstaltung die Meinung aller AfD-Mitglieder wiedergegeben wurde. Die Forderung, einzelnen Rechtsradikalen die Grundrechte abzuerkennen, lehnt Pasternak ab. Pasternak wünscht sich in Lünen „ergebnisoffene Diskussionen“.

Friederike Hagelstein, die auch Kreissprecherin der AfD ist, äußert sich deutlicher: „Die Opposition zu diffamieren, mit Verbotsforderungen zu überziehen und politisch legitime Debatten abzuwürgen, ist ein Skandal.“ Die AfD sei eine demokratische Partei.
