Im Januar erschütterte ein tödlicher Streit an der Käthe-Kollwitz-Gesamtschule den Stadtteil Lünen-Süd. Der Schulleiter kämpft nun mit einer neuen Idee dafür, dass wieder Normalität einkehrt.

Lünen

, 15.03.2023, 13:41 Uhr / Lesedauer: 4 min

Diesen Text haben wir ursprünglich am 9. Oktober 2018 veröffentlicht.

Manchmal, so ist das im Leben, muss erst etwas Schreckliches geschehen, damit etwas Großes entsteht. Zumindest soll das in dem sozial benachteiligten Stadtteil Lünen-Süd mit dem Projekt „Campus Lünen-Süd“ passieren. Die Idee dazu stammt von Reinhold Bauhus. Der 62-Jährige ist seit 2013 Leiter der Käthe-Kollwitz-Gesamtschule (KKG). Das ist nicht irgendeine Schule. Das ist die Schule, an der am 23. Januar 2018 ein 15-jähriger Junge einen 14-jährigen Mitschüler durch Messerstiche in den Hals tödlich verletzte.

Tödlicher Zwischenfall und Bildungsbericht

„Das war zwar eine Einzeltat, die überall passieren kann, aber trotzdem dazu führen muss, intensiv über Gewaltprävention nachzudenken“, sagt Reinhold Bauhus im Gespräch mit unserer Redaktion Ende September. Der tödliche Zwischenfall an seiner Schule und die, wie er weiter sagt, zeitgleiche Veröffentlichung des Bildungsberichts 2018 der Stadt Lünen, „haben mir keine Ruhe mehr gelassen“. Was tun?

KKG-Schulleiter Reinhold Bauhus in seinem Büro.

KKG-Schulleiter Reinhold Bauhus in seinem Büro. © Storks

Bauhus setzt sich an seinen Schreibtisch, treibt die Arbeit an seiner Idee vom Campus Lünen-Süd voran. Dabei greift er auch auf bereits vorhandene Pläne der Verwaltung zur Entwicklung des gebeutelten Stadtteils zurück. Am Ende steht ein ausgefeiltes Konzept, das er Bürgermeister Jürgen Kleine-Frauns und Lünens Technischen Beigeordneten Arnold Reeker noch vor den Sommerferien auf den Tisch legen wird.

„KKG besitzt wichtige Funktion auch für Gesamtstadt Lünen“

Ziel des Projektes ist die Schaffung eines virtuellen Raumes, eines Netzwerkes, bei dem unterschiedliche Akteure aus den Bereichen Bildung, Soziales, Kultur, Sport und Freizeit kooperieren. Hierbei spielt die KKG eine entscheidende Rolle: „Die Schule hat seit Jahren eine hohe Bedeutung für die Entwicklung des Stadtteils“, sagt Reinhold Bauhus: „Als Bildungsinstitution besitzt die KKG mit ihrem Angebot und 1000 Schülern sowie 90 Lehrern auch eine wichtige Funktion für die Gesamtstadt Lünen und die nördlichen Dortmunder Stadtteile.“

Schulleiter Reinhold Bauhus und die Schul-Sekretärinnen Susan Hercher (l.) und Tatjana Lemmler mit einer überdimensionalen Karte von Lünen-Süd. Die Karte gibt einen Überblick über verschiedene Institutionen und ihre Angebote in dem Stadtteil.

Schulleiter Reinhold Bauhus und die Schul-Sekretärinnen Susan Hercher (l.) und Tatjana Lemmler mit einer überdimensionalen Karte von Lünen-Süd. Die Karte gibt einen Überblick über verschiedene Institutionen und ihre Angebote in dem Stadtteil. © Storks

Zur Verbesserung der sozialen Lage in Lünen-Süd mit seinen rund 7800 Einwohnern, speziell aber für die laut Bildungsbericht benachteiligten Kinder und Jugendlichen, will sich die Schule noch weiter öffnen. Zum Beispiel für Kurse der Volkshochschule oder für die Einrichtung einer Musikinsel. Der Schulhof bekommt ein Facelift, und die Sporthalle wird, wenn schon nicht neu gebaut, wenigstens saniert. Nicht nur für die Schüler, gedacht ist auch an eine Nutzung durch ortsansässige Vereine.

Dazu heißt es in einer Mitteilung der Verwaltung vom 11. September für den Stadtentwicklungs-Ausschuss: „Der Campus Lünen-Süd könnte auf Basis erster Analysen räumlich zudem mit zwei Schwerpunktbereichen entwickelt werden: Der Schwerpunkt Bildung, Freizeit und Sport im Bereich der KKG und der Schwerpunkt Bildung, Soziales und Kultur im zentralen Bereich der Jägerstraße.“

Bürgermeister ist von der Idee fasziniert

Bürgermeister Jürgen Kleine-Frauns gerät förmlich ins Schwärmen, wenn man ihn auf Bauhus‘ Campus-Idee anspricht. „Aus unserer Sicht ist das ein ganz tolles Projekt“, sagt Kleine-Frauns. Die große Chance bestehe darin, dass man bei diesem Projekt in Zusammenhängen denke: „Hier soll nicht zwischen Schulzeit und Freizeit unterschieden werden. Die Planung soll ausschließlich an den Bedürfnissen der Entwicklung des Sozialraums orientiert sein und damit Grenzen von Politik und Verwaltung überwunden werden.“

Bürgermeister Jürgen Kleine-Frauns

Bürgermeister Jürgen Kleine-Frauns © Goldstein (A)

Auf die Frage, wie es kommt, dass die Verwaltung die Idee von Schulleiter Reinhold Bauhus so schnell aufgreift und umsetzen will, antwortet Bürgermeister Kleine-Frauns: „Die Verwaltung erkennt hier keine besondere Schnelligkeit, sondern sieht das zügige Aufgreifen der Idee von Herrn Bauhus als Beleg für verantwortungsvollen Umgang mit bürgerschaftlichem Engagement.“

Lüner Delegation im Düsseldorfer Schulministerium

Auch wenn, wie der Bürgermeister sagt, die Idee des Campus Lünen-Süd „sehr gut in das ohnehin bestehende Integrierte Handlungskonzept Lünen-Süd (passt) und als Ausprägung dieses Handlungskonzeptes zu sehen (ist)“, dürfte es nicht allzu oft vorkommen, dass sich die Verwaltungsspitze kurzerhand um einen Termin im Düsseldorfer Schulministerium bemüht und diesen auch bekommt. Sehr zur Freude von KKG-Schulleiter Reinhold Bauhus. „Ich war schon überrascht, dass das Ganze so schnell Fahrt aufgenommen hat“, sagt Bauhus. In Anwesenheit des Bürgermeisters, des Technischen Beigeordneten Arnold Reeker und dem Leiter des Bürgermeisterbüros Matthias Bork, stellt Schulleiter Reinhold Bauhus NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer am 27. August dieses Jahres seine Idee höchstpersönlich vor.

NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) im Düsseldorfer Landtag

NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) im Düsseldorfer Landtag © dpa (A)

„Die Präsentation fand großes Interesse. Es wurden unterschiedliche Fördermöglichkeiten beziehungsweise Zugänge aus Stiftungen oder aus anderen Ministerien erörtert, die zu überprüfen sind“, sagt Bauhus. Und dass Ministerin Gebauer, die schon am Tag nach dem tödlichen Zwischenfall im Januar die Schule besucht, das Projekt „begrüßt und flankiert“. Außerdem habe sie einen Ortsbesuch zugesagt. Spätestens im kommenden Jahr. Dann soll die Schule für rund 5,8 Millionen Euro mit Fördermitteln des Landes energetisch saniert und barrierefrei umgebaut werden.

Wie ein Sprecher des Schulministeriums auf Anfrage sagt, habe es sich um ein gutes Gespräch gehandelt. Zu dessen Inhalt und etwaigen Fördermöglichkeiten durch das Schul- oder das Wirtschaftsministeriums beispielsweise, macht der Sprecher keine Angaben. Was am Ende dabei herauskommt, ob Düsseldorf die Idee vom Campus Lünen-Süd finanziell unterstützt, bleibt abzuwarten.

Ein Schritt in diese Richtung könnte der vom Düsseldorfer Schulministerium ins Leben gerufene und vom Landeskabinett im Juli beschlossene „Schulversuch Talentschule“ sein. „Die Ministerin hat mir geraten, dass sich unsere Schule dafür bewirbt“, sagt Bauhus - und dass er das auf „jeden Fall macht“.

Land NRW startet 2019 Schulversuch

Im Rahmen des Schulversuchs soll ab dem Schuljahr 2019/20 an 60 ausgewählten „Talentschulen“, an 45 allgemeinbildenden und 15 berufsbildenden Schulen erprobt werden, „ob die Leistungen und Erfolge von Schülern an diesen Schulen durch besondere unterrichtliche Konzepte, zusätzliche Ressourcen und Unterstützung bei der Schulentwicklung nachweisbar gesteigert werden können“. Dafür stellt das Land mehr als 400 Lehrerstellen bereit: 100 an berufsbildenden Schulen, 315 an allgemeinbildenden Schulen.

Außerdem fließt mehr Geld an die „Talentschulen in Stadtteilen mit großen sozialen Herausforderungen“. Zu diesen Stadtteilen zählt Lünen-Süd mit vergleichsweiser hoher (Jugend-) Arbeitslosigkeit, einem hohen Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund und überdurchschnittlich vielen Empfängern staatlicher Leistungen nach Einschätzung der Verwaltung auf jeden Fall. Das zeigt ein Blick in den Sozialbericht der Stadt Lünen aus dem Jahre 2017 und in den Bildungsbericht aus diesem Jahr.

In Lünen-Süd gehen viele Grundschüler später zur Hauptschule

In dem steht unter anderem, dass Lünen-Süd mit einer Übergangsquote von der Grundschule in die Hauptschule von etwa 10 Prozent eine überdurchschnittliche Quote aufweist. Stadtweit liegt dieser Wert bei 8,5 Prozent, landesweit bei 4 Prozent. Daraus leitet die Verwaltung einen Zusammenhang zwischen der sozialen Lage der Familien (Wohnort) und dem Bildungserfolg ab.

Für Reinhold Bauhus ist das alles nicht neu, über den Bildungsbericht verliert der Schulleiter kein Wort. Die Sache mit den Talentschulen, die „finde ich super, die erheblichen zusätzlichen Personalressourcen können uns enorm helfen“.

Ansonsten baut er darauf, dass die Verwaltung am Ball bleibt und schnellstmöglich - wie angekündigt - ein externes Büro mit der Klärung organisatorischer und wirtschaftlicher Fragen beauftragt. Oder, wie es der Schulleiter und Vater drei erwachsener Kinder am Ende seiner in Wort und Bild festgehaltenen Präsentation auf der Homepage der Schule sagt:

„Wir sind auf dem Weg und haben viele schützende Regenschirme dabei. Was uns fehlt, ist das schützende Dach (...)“

- der Campus Lünen-Süd?