Corona-Tests im Verborgenen Lippeverband und Emschergenossenschaft messen Viren im Abwasser

Corona-Tests im Verborgenen: Kläranlagen untersuchen Abwasser
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Corona-Tests kommen aus der Mode. Immer weniger Menschen lassen sich noch testen. Dass Bürgerinnen und Bürger ab Montag (16.1.) auch für das Freitesten nach überstandener Infektion selbst in die Tasche greifen müssen (zum Beispiel 10 Euro in den Altstadtapotheken Lünen und Selm), wird ihre Zurückhaltung beim Testen noch steigern.

Doch ob sie wollen oder nicht: An einer Stelle geben alle preis, ob sie gerade Corona-positiv sind oder an einer anderen Infektion leiden - auf der Toilette. Das will sich der Staat zu Nutze machen für die Bekämpfung dieser Pandemie und ihrer möglichen Nachfolger. Emschergenossenschaft/Lippeverband (EGLV), die auch in Dortmund, Lünen, Selm und Werne Kläranlagen betreiben, arbeiten mit an einem bundesweiten Frühwarnsystem.

Toiletten liefern Informationen

Die Maskenpflicht in Bus und Bahn fällt zum Februar bundesweit weg. In Berlin hat sich das allgemeine Aufatmen mit Sorge gemischt. Denn mitten in die Ankündigung des Aus für den Mund- und Nasenschutz platzte die Nachricht vom Hochschnellen eines Messwerts des Infektionsgeschehens: nicht die Sieben-Tage-Inzidenz, die bundesweit im Sinkflug ist, sondern die Konzentration an Corona-Viren im Abwasser. In den letzten beiden Monaten des Jahres 2022 war sie extrem gestiegen. Schon mutmaßten der Tagesspiegel und andere Hauptstadtmedien über eine verdeckte Corona-Welle und eine stille Pandemie. „Verdeckt“ und „still“, weil die Betroffenen selbst wohl gar nichts mitbekommen von einer Ansteckung.

Das Klärwerk Lünen-Sesekemündung gehört noch nicht zu den Anlagen, die in eines der Pilotprojekte einbezogen sind, anders als eine Anlage In der Nachbarschaft.
Das Klärwerk Lünen-Sesekemündung gehört noch nicht zu den Anlagen, die in eines der Pilotprojekte einbezogen sind, anders als eine Anlage in der Nachbarschaft. © Lippeverband

Wer kaum Symptome hat, kommt erst gar nicht auf die Idee, zum Arzt zu gehen oder zum Testen. Woanders müssen aber alle hin, ob krank oder nicht: zum Klo. Ein Umstand, den sich andere EU-Staaten wie die Niederlande, Österreich und Griechenland schon lange zu Nutze machen. Während das deutsche Robert-Koch-Institut vor allem auf Daten der Gesundheitsämter angewiesen ist, nutzen sie bereits die Ergebnisse eines flächendeckenden Abwasser-Monitorings. Deutschland ist spät dran. Die EU-Kommission hatte ihre Mitgliedsländer aufgefordert, eigentlich schon bis spätestens zum 1. Oktober 2021 nationale Abwasserüberwachungssysteme aufzubauen. Inzwischen gibt es aber Bewegung - nicht nur in Berlin, sondern auch bei Emschergenossenschaft /Lippeverband.

Die drei EGLV-Pilotprojekte

„Wir sind insgesamt an drei Forschungsprojekten beteiligt“, sagt Pressesprecher Ilias Abawi nicht ohne Stolz und beginnt mit der Aufzählung:

1. „COVIDready“ misst Virusrückstände im Abwasser und sucht nach möglichen Virus-Varianten. Seit 2021 werden dafür zweimal die Woche von fünf Kläranlagen der Emschergenossenschaft und des Lippeverbandes Proben untersucht. Dabei handelt es sich um die Kläranlagen Emscher-Mündung, Duisburg-Alte Emscher, Bottrop, Dortmund-Deusen und Dortmund-Scharnhorst. Seit Ende November 2022 ist die Auswertung der Ergebnisse (Grundlage sind nicht nur die Daten der EGLV, sondern fünf weiterer Kläranlagen) beim Landeszentrum für Gesundheit NRW wöchentlich einsehbar.

2. Ein noch junges Forschungsprojekt ist ESI-CorA, bei dem ebenfalls die Viruslast im Abwasser untersucht wird. Einer der 20 Pilotstandorte bundesweit ist die Kläranlage Dinslaken. Das Projekt läuft bis März 2023. Dann soll es Empfehlungen geben, wie viele Kläranlagen künftig mitmachen - eventuell also theoretisch auch die in Lünen, Selm und Werne. Rein technisch sei die Probenentnahme dort kein Problem. Die zurzeit gewonnenen Daten werden laut Robert-Koch-Institut (RKI) den jeweiligen Gesundheitsämtern und Krisenstäben der beteiligten Standorte zur Verfügung gestellt, um die Lage vor Ort umfassender bewerten zu können. Sie fließen zwar in die Bewertung durch das RKI ein, werden aber nicht einzeln veröffentlicht.

3. Als drittes Projekt sind EGLV am Forschungsvorhaben SARS-GenASeq mit der Universität Darmstadt beteiligt. Das Team will über die Sequenzierung des Erbguts der Viren die Verbreitungswege von Varianten verfolgen, um die Dunkelziffer an Infektionen besser bestimmen zu können. Daran wirken die Kläranlagen Emscher-Mündung, Bottrop, Duisburg Alte Emscher und Dinslaken.

Die Forschungsergebnisse der drei Pilotprojekte dienen nicht nur für eine bessere Beurteilung der gerade ausklingenden Corona-Pandemie. Sie können auch als Frühwarnsystem bei künftigen Seuchen dienen, deren virale Erreger ebenso im Abwasser nachzuweisen sind wie antibiotikaresistente Bakterien oder auch Medikamente und Drogen.

Regen verwässert Ergebnis

Wie hoch ist die Virenlast in Dortmund-Scharnhorst und wie hoch in Deusen? Ist die Lage an der Ruhr entspannter als am Rhein? Darauf gibt der EGLV-Sprecher keine Antwort. „Da sich das Projekt zurzeit im Forschungsstadium befindet, dürfen wir leider keine Auskunft erteilen“, sagt er. Genau solche Aussagen könnten aber demnächst möglich sein. Eines lässt sich jetzt schon feststellen. Anzeichen für eine verdeckte Corona-Welle, wie sie in Berlin ausgemacht wurde, liefern die Abwasserwerte aus NRW derzeit nicht, wie das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales mitteilt.

Die Kläranlage in Dortmund Deusen: Der komplizierten Prozess der Wasseraufbereitung ist auch für Gäste interessant. Bald werden sie auch erfahren können, wie sich Covid in der braunen Brühe messen lässt. Praktiziert wird das dort schon.
Die Kläranlage in Dortmund Deusen: Der komplizierte Prozess der Wasseraufbereitung ist auch für Gäste interessant. Bald werden sie auch erfahren können, wie sich Covid in der braunen Brühe messen lässt. Praktiziert wird das dort schon. © Foto: Stephan Schütze

„Nach einem deutlichen Anstieg der durchschnittlichen Viruslast im September zeigt die Gesamtschau aller einbezogenen Abwasseranlagen für den Oktober und November mehr oder minder stagnierende Werteniveaus.“ Ein danach auch hier zu beobachtender sprunghafter Anstieg lasse keine direkten Rückschlüsse auf die allgemeine Infektionsentwicklung zu.

Denn auch die praktischen Corona-Tests im Verborgenen, für die sich niemand mit Wattestäbchen durch Rachen und Nase fahren lassen muss, haben ihre Schattenseiten: „Regenereignisse können zunächst überhöhte (,Spülstoß‘) und dann verringerte Werte (,Neusedimentation‘) zur Folge haben, bevor sich der Messwert wieder stabilisiert.“