Ihre ornithologischen Schatzkammern öffnen Museen selten, und wenn, dann nur mit Führung. Besucherinnen und Besucher tauchen in eine verborgene Welt: Tausende Vögel verharren auf Ästen, sie liegen aufgereiht in Schachteln und Kästen. Kein Vogelgezwitscher wird hier je zu hören sein: die Tiere sind tot, präpariert und katalogisiert. Schaurig, könnte man meinen. Doch so wirken die unzähligen Pirole, Spechte, Eisvögel oder Papageien in dem Vogel-Archiv nicht. Sie sind von morbider Schönheit und sinnlich ansprechend.
Viele Arten sind von der Bildfläche verschwunden. Wie einst die Dinosaurier. Nur in den alten Schränken der Museen gibt es die weltweit zusammengetragenen Vögel noch im Original. Allerdings konserviert. Die naturkundlichen Sammlungen dienen der Wissenschaft. Sie geben Aufschluss über die Evolution.

Dass dafür Vögel sterben müssen, ist vielleicht auf den ersten Blick schwer zu verstehen. Vor 200 Jahren gab es noch kein Fernglas, keine Fotokamera und kein Vogelbestimmungsbuch. Wollten Menschen Vögel aus der Nähe betrachten, haben sie sie aus dem Baum geschossen. Das klingt befremdlich. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass heute Millionen Vögel durch Wetterextreme oder Katzen umkommen, vor Autos oder Fensterscheiben fliegen. Allein in den letzten 50 Jahren ist der Weltbestand der Vögel um 50 Prozent gesunken.
Klaus Nigge (66), Naturfotograf und Lüner Kulturpreisträger, hat die Vögel der Museumswelt beobachtet. Mit der Kamera gibt er Einblick in die Vogelsammlungen der bedeutendsten Museen in Deutschland und Österreich. „Es war eine Entdeckungsreise, als wäre ich im Wald gewesen“, schildert er.
„Sinnliche Freude“
Einen Teil der Corona-Zeit, als keine Fotoreisen möglich waren, hat Klaus Nigge in den Sammlungen der Museen in Berlin, Wien, Frankfurt, Bonn und Köthen in Sachsen-Anhalt verbracht. „Atemberaubend“, sagt er zu den Archiven. Seine Fotos spiegeln „sinnliche Freude“ wider. Daraus entstand das Buch „Vogelwelten“, das Klaus Nigge mit Karl Schulze-Hagen, Spezialist für Wissenschaftsgeschichte, und dem Präparator Jürgen Fiebig gemeinsam herausbrachte.
Die Fotos des vielfach ausgezeichneten Wildlife-Fotografen Klaus Nigge sind ausdrucksstark. Porträts, aufgenommen vor perfektem Hintergrund, aus spannenden Blickwinkeln und im richtigen Licht. Der Lüner nahm Schubladen voller Vogelbälge vor die Linse, dazu Federn, Eier, Skelette oder in Gläsern konservierte Vögel. Die Fotos wirken wie Stillleben, teilweise wie Grafiken. Die in Alkohol eingelegten Vögel sehen zwar befremdlich aus, doch sie helfen der Wissenschaft, die so Organe und Gewebe von längst ausgestorbenen Vögeln nutzen kann.
Humboldts Papagei

Der bekannteste Vogel der Berliner Sammlung ist Humboldts Papagei aus Madagaskar. Klaus Nigge zeigt auch ihn. 30 Jahre lang lebte Jakob im Haus des Forschungsreisenden. Der unterhielt sich morgens mit ihm, wenn er nicht gerade unterwegs war. Auf Humboldts Frage, wer von ihnen zuerst sterben würde, antwortete Jakob: „Viel Zucker, viel Kaffee, Herr Seifert.“ Ein Satz, der für den Diener bestimmt war.
Humboldt übergab Jakob nach seinem Tod dem Naturkundemuseum Berlin. Als im Zweiten Weltkrieg eine Granate in den Vogelsaal einschlug, wurde der ausgestopfte Jakob stark beschädigt. Viel Aufwand war nötig, um ihn wieder herzurichten.

Das Buch Vogelwelten, Expeditionen ins Museum, von Klaus Nigge, Karl Schulze-Hagen und Jürgen Fiebig ist bei Knesebeck erschienen ist. Es kostet 40 Euro und hat 240 Seiten mit 220 farbigen Abbildungen. ISBN 978-3-95728-410-5
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