Weißer Rauch ist nicht über dem Fritz-Husemann-Haus gesichtet worden, und der Begriff Krönungsmesse wäre zweifelsfrei zwei Regalbretter zu hoch gegriffen, aber sicher ist trotzdem: Es geht ein Ruck durch die Recklinghäuser SPD, wie man ihn lange nicht erlebt hat. Was Co-Parteichefin Anna Teresa Kavena dann auch dazu inspirierte, von einem „historischen Moment“ zu sprechen. Denn: „Wir haben nach 25 Jahren wieder die Chance, das Rathaus zu erobern.“ Und das liegt eben nicht zuletzt an: Axel Tschersich, aktuell (noch) Beigeordneter in Lünen.
Tatsächlich diente die Zusammenkunft der Recklinghäuser Sozialdemokraten in Hochlarmark zunächst vor allem einem Zweck: Die Kandidatur von Axel Tschersich als Bürgermeister-Kandidat sollte offiziell gemacht werden. Und der 58-Jährige selbst, der sich seiner Sache als alleiniger Anwärter und einstimmiger Favorit des Stadtverbandsvorstands ziemlich sicher sein durfte, hatte ebenfalls nur eines im Sinn: Er wollte erklärtermaßen mit seiner Rede vor allem die Genossen hinter sich versammeln, gewissermaßen die erste Motivationsinjektion und Impulsgabe im über zehn Monate langen Wahlkampf.

Und das ist ihm mit einem klar strukturierten Auftritt offensichtlich gelungen: Um 20.07 Uhr wurde am Mittwochabend (30.10.) bekannt gegeben, dass 86 Prozent der stimmberechtigten Anwesenden für Axel Tschersich votiert hatten, oder genauer: Von 78 Delegierten haben 67 das Ja angekreuzt. Das sind keine nordkoreanischen Verhältnisse, aber Altmeister Jochen Welt gewährte zur besseren Einschätzung einen Blick in die Historie: „So gute Werte hatte ich damals nie.“
Der Saal quittierte das Resultat mit weitgehend stehendem Applaus, Axel Tschersich kommentierte es mit spürbarer Erleichterung: „Wir sind eine Partei, in der man auch anderer Meinung sein darf. Ich finde die Zahlen genial.“
„Der Axel ist kein abgezockter Typ“
Eine knappe Stunde vorher hatte der designierte Kandidat noch wesentlich zartere Zuversicht versprüht, selbst ein leichter Hauch von Nervosität war unverkennbar. Davor schützt dann auch eine 40-jährige Parteizugehörigkeit nicht, eine Rede von dieser Länge und Tragweite hatte Axel Tschersich nach eigenen Angaben eben noch nicht gehalten. Sein intimstes Umfeld war jedoch keineswegs überrascht: „Der Axel ist ja kein abgezockter Typ.“
Aber dennoch ein selbstbewusster: Was folgte, war eine rasante Hatz durch den gesamten lokalpolitischen Raum, bei der Tschersich natürlich seine ureigensten Stärken ausspielte. Beispiel Wirtschaft: „Die Forderung, für Recklinghausen mehr Gewerbefläche auszuweisen, ist absurd. Die Gewerbeflächen in der Stadt sind endlich, Wirtschaftsförderung kann nur im Bestand erfolgen.“ Beispiel Bildung: „Die Kita- und OGS-Beiträge müssen weg, sie müssen komplett abgeschafft werden.“ Wohl wissend, dass das nicht im Recklinghäuser Rathaus entschieden wird: „Das Land muss zahlen, es ist eine Frechheit, was die Landesregierung da betreibt.“

Aber Tschersich gewährte auch tiefere persönliche Einblicke: „Ich bin ein Siedlerjunge, ich kann Fliesen legen und anderes.“ Sein Schwiegervater habe ihm den wertvollen handwerklichen Tipp gegeben: „Nach fest kommt ab.“ Und das gelte nicht nur für Schrauben, sondern auch für Menschen und die Menschenführung. Er sei definitiv ein „Teamplayer und kein Sonnenkönig“, doch er sagt auch: „Ich bin kein Zauberer.“
Unverhohlen gelte seine Sympathie zwei Altkanzlern: Willy Brandt, dessen Aussage „Jeder Jugendliche soll das Abitur machen können“ seine eigene Schullaufbahn entscheidend mitgeprägt habe, und Helmut Schmidt, von dem er gelernt habe, dass man „von der Lösung her denken muss“. Entscheidend sei stets die Frage: „Wie kriegen wir es hin?“ Und obendrein sei Schmidt auch der Beleg dafür, „dass es mal tolle Kanzler aus Hamburg gab.“ Was man durchaus als Ausladung an Olaf Scholz für den bevorstehenden Wahlkampf verstehen darf.
Und selbstverständlich skizzierte Axel Tschersich noch einmal seine Rundreise durch alle Spielarten der Verwaltungstätigkeiten, die er letztlich mit einer rhetorischen Frage-Antwort-Kombination beendete: „Warum ich Bürgermeister werden will? Weil ich’s kann.“ Doch über allem stehe: „Soziale Marktwirtschaft und soziale Gerechtigkeit liefert nur die SPD.“