„Wir werden uns schlanker aufstellen müssen“ Axel Tschersich (SPD) über seinen Plan und Christoph Tesche

„Wir werden uns schlanker aufstellen müssen“
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Hätten WhatsApp-Nachrichten ein Gewicht, würde Axel Tschersichs Handy an diesem Morgen vermutlich eine Tonne wiegen. Der 58-Jährige wischt durch Glückwunsch-Meldungen zu seiner Kandidatenkür. Viel Zuspruch erreiche ihn auch von außerhalb seiner Partei, der SPD, sagt er. Noch gelte es, den Nominierungsparteitag Ende Oktober abzuwarten. Doch diese Hürde scheint eine rein formelle zu sein. Axel Tschersich ist der erste offizielle Recklinghäuser Bürgermeisterkandidat für die Kommunalwahl am 14. September 2025. Das hat sich – auch durch unsere Berichterstattung – schon herumgesprochen in der Stadt. Isaac Tourgman, Kantor der jüdischen Gemeinde, erblickt den Tisch mit Axel Tschersich und seinem Interviewer in einer ruhigeren Ecke des Cafés. Überschwänglich schüttelt er Tschersichs Hand, wünscht ihm viel Erfolg. Es fällt das Wort „Unterstützung“.

Axel Tschersich ist bekannt in Recklinghausen. Das ist einer seiner Trümpfe. Sein Großvater war Hauer, der Vater Polizeibeamter. Tschersich selbst arbeitete seit 1985 bei der Stadt Recklinghausen, absolvierte ein duales Studium, machte im Rathaus Karriere. Viele Jahre leitete der gebürtige Suderwicher den Fachbereich Wirtschaftsförderung. 2022 wechselte er als Dezernent und Erster Beigeordneter nach Lünen. 2025 könnte der Vater zweier erwachsener Söhne als Bürgermeister an seinen alten Arbeitsplatz zurückkehren.

Herr Tschersich, wann haben Sie sich zum ersten Mal ernsthaft mit dem Gedanken beschäftigt, Bürgermeister von Recklinghausen werden zu wollen?

Zwischen Anna Kavena, der Vorsitzenden, und mir gibt es schon länger einen entsprechenden Plan. Anlass, ihn umzusetzen, war im Grunde nach einem Zeitungsbericht vor einigen Wochen bei Ihnen, in dem mir Ambitionen nachgesagt wurden. Darauf habe ich viele positive Reaktionen bekommen. Nicht nur aus Reihen der SPD.

Hat es bei Ihrer Entscheidungsfindung geholfen, dass Sie nun nicht gegen Ihren alten Chef Christoph Tesche antreten werden?

Ja, für mich war es immer unlogisch, gegen Christoph Tesche anzutreten, vor allem zu der Zeit, als ich selbst noch Leiter der Wirtschaftsförderung war. Ich hätte dann ja alles bekämpfen müssen, was ich selbst zuvor unterstützt und teilweise auch mit angestoßen und umgesetzt habe. Und über Christoph Tesche kann ich nichts Schlechtes sagen. Er hat viel für die Stadt gemacht und mich stark gefördert. Ohne ihn wäre ich nicht Fachbereichsleiter Wirtschaftsförderung geworden. Er hat wie Wolfgang Pantförder nicht aufs Parteibuch geguckt und gesagt: „Sie machen gute Arbeit. Das allein zählt.“

Axel Tschersich, SPD-Bürgermeisterkandidat aus Recklinghausen, und seine Frau Regina knien auf einem Rasen. Zwischen ihnen sitzt ein Hund mit flauschigem Fell.
Familienmensch: Axel Tschersich in seinem Garten mit Ehefrau Regina und Hund Richard. © Jörg Gutzeit

Herr Tesche und Sie siezen sich auch nach all den Jahren?

Ja. Das Du hat sich bei uns nicht ergeben. Das ist aber auch nicht schlimm, und ich habe das nie als merkwürdig empfunden.

Sie gelten als Kandidat und Verwaltungsexperte, der über Parteigrenzen hinweg Zustimmung erfährt. Dennoch sind Sie seit 1984 SPD-Mitglied. Was an Ihnen ist denn sozialdemokratisch?

Manche Einstellungen bei mir sind sozialdemokratisch, andere aber konservativ. Ich war schon als Juso kein linker Juso. Mein Leitbild war immer, dass die Verwaltung den Menschen dienen muss, die sie finanziert. Das ist der Servicegedanke. Anfangs habe ich im Recklinghäuser Sozialamt gearbeitet. Da war ich am Ende für Anliegen von Ausländern zuständig. Die wurden früher noch geduzt und mussten im Amt stehen. Ich habe das „Sie“ eingeführt und Sitzgelegenheiten sowie eine Ampelschaltung an den Türen. Diese einfachen Maßnahmen haben die Situation damals spürbar entspannt.

Was macht Ihre konservative Seite aus?

Die sehe ich vor allem in der eigenen Familie. Ich bin verheiratet, habe zwei Kinder, lebe Werte wie Pünktlichkeit und Ehrlichkeit, will authentisch sein. Gleichzeitig respektiere ich, wenn jemand anders leben möchte. Das ist das Schöne in unserem Land und soll auch so bleiben.

Was ist Ihr Wesenskern?

Man sagt mir nach, dass ich ausgleichend bin. Man hat mich auch schon gefragt, ob ich nicht in der Diplomatie gut aufgehoben wäre. Das ist wichtiger denn je in Zeiten, in denen die Gesellschaft tief gespalten ist.

Braucht es zumindest im Wahlkampf nicht aber auch die Abteilung Attacke, wenn Sie das Rathaus erobern wollen?

Ich habe nicht vor, Mitbewerber verbal anzugreifen. Ich will die Wähler von mir als Person überzeugen, mit meiner Kenntnis von Recklinghausen und meiner Erfahrung in der Führung einer Verwaltung. Ich scheue aber auch nicht vor Konflikten zurück. Neulich hatten wir in Lünen-Brambauer eine hitzige Bürgerinformationsveranstaltung zur Errichtung einer Flüchtlingsunterkunft. Ich hatte tatsächlich auch Spaß an der Auseinandersetzung dort. Da musste ich auch mal Tacheles reden.

Warum haben Sie Recklinghausen zumindest beruflich 2022 in Richtung Lünen verlassen?

Ich habe mit damals Mitte 50 eine neue Herausforderung gesucht. Mir war klar, dass ich als SPD-Mitglied bei den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen in Recklinghausen nicht weiter nach oben kommen könnte. Als Erster Beigeordneter habe ich nun in Lünen schon den Alltag eines Bürgermeisters als dessen Stellvertreter aus eigener Erfahrung kennengelernt.

Haben Sie nicht mal darüber nachgedacht, die Partei zu wechseln?

Nein, das war nie ein Thema für mich. Auch heute nicht, obwohl mich die aktuelle Parteispitze in Berlin durchaus irritiert. Ich denke, dass die Kommunalwahl letztendlich hier vor Ort entschieden wird. Es müssen halt 20.000 bis 22.000 Recklinghäuserinnen und Recklinghäuser ihr Kreuz bei Axel machen.

Wofür stehen Sie inhaltlich?

Ein Schlüsselfeld für mich ist die Wirtschaft. Daher sage ich: Das Geld, dass wir für Soziales oder Kultur ausgeben, muss erst mal verdient werden. Wir müssen zunehmend auch alte Flächen für Gewerbe vermarkten. Ferner sehe ich auch meine Stärken im sozialen Bereich, wenn es um z.B. um die Herausforderungen des offenen Ganztags oder Kindergartenplätze geht. Ich möchte eine Stadt entwickeln, in der sich sowohl junge als auch Menschen mit verdienter Lebensleistung sicher und wohl zu Hause fühlen.

Als langjähriger Wirtschaftsförderer der Stadt stehen Sie auch für das Gewerbegebiet Blumenthal. Dessen Vermarktung läuft eher schleppend und ist keine Erfolgsgeschichte.

Zunächst einmal möchte ich negieren, dass Blumenthal keine Erfolgsgeschichte ist. Ich sage damals wie heute: Wir müssen sorgsam mit diesen wenigen Gewerbeflächen umgehen, die wir überhaupt haben. Blumenthal ist eine der letzten Flächen. Aber natürlich müssen wir weiter an den Kriterien arbeiten für Betriebe, die sich dort ansiedeln wollen.

Axel Tschersich, SPD-Bürgermeisterkandidat aus Recklinghausen, mit Schal im voll besetzten Ruhrstadion.
Fußballerisch ist Axel Tschersich Bochumer und Besitzer einer Dauerkarte fürs Ruhrstadion. © Axel Tschersich/Facebook

Es hieß immer, dass die Stadt diese Auflagen vorgeben müsse, da sonst keine Fördergelder für die Sanierung der Fläche geflossen wären.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir in Recklinghausen mit breiter Zustimmung der Politik und nach einem Workshop unter Beteiligung der IHK, Handwerkskammer aber auch Unternehmensnetzwerken mehr Auflagen draufgesattelt haben als der Fördergeber vorgegeben hat, da wir die beste Ansiedlung für die Stadt erreichen wollten. Über diese Definition „beste“ müssen wir heute neu nachdenken, auf den Markt reagieren.

Was werden Sie im Falle eines Wahlsieges anders machen als Ihre Vorgänger?

(lacht) Ich werde zum Beispiel mehr mit dem Fahrrad ins Rathaus fahren. Und mein Büro ist tatsächlich weitgehend papierlos. Auch müssen wir das Thema Homeoffice neu denken. Ich bin selbst kein Homeoffice-Typ, ab und zu mache ich aber auch jetzt in Lünen einen Arbeitstag zu Hause, weil ich ein Vorbild sein will. Wir müssen wegen des Kräftemangels als Arbeitgeber flexibler und damit attraktiver werden. Ebenso sehe ich mich heute noch mehr in der Verantwortung, diese Stadt nicht nur zu verwalten, sondern gemeinsam mit den großen Potenzialen in Wirtschaft und Bürgerschaft auch zu gestalten.

Welches ist die größte Herausforderung, die Sie auf die Stadtverwaltung zukommen sehen?

Wir werden uns schlanker aufstellen müssen, schon weil wir die vielen Leute gar nicht mehr haben werden. Und ohnehin ist die Digitalisierung eine gewaltige Herausforderung. Das Arbeiten im Projektmanagement statt in klassischen Strukturen ist bei Vorhaben der Wirtschaft, aber ebenso im Sozialbereich, Sport, etc., heutzutage ein Schlüssel für den Erfolg von Projekten.

Gefällt es Ihnen eigentlich nicht mehr in Lünen oder warum arbeiten Sie an Ihrer Rückkehr nach Recklinghausen?

Nein, ich bin in Lünen gut aufgenommen worden. Die Arbeit dort macht mir Spaß. Ich habe in Lünen nicht nur zur SPD, sondern auch zu CDU, Grünen und starken Bürgerinitiative gute Kontakte. Aber im Herzen bin ich Recklinghäuser. Die Chance, dieses Amt in meiner Heimatstadt ausüben zu können und die zahlreichen Projekte, deren Start ich gestalten durfte, zu beenden, ist einfach nicht zu toppen.