Am Dienstag (14. Januar) teilte die Stadt Lünen freudig mit, dass das Oberverwaltungsgericht NRW (OVG) im Rechtsstreit über die Durchführung der beiden Bürgerentscheide – die über die beiden geplanten Gewerbegebiete Klöters Feld und Derner Straße – entschieden hat, dass die Berufung abgelehnt wird.
Zuvor hatte das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen entschieden, dass bei den Entscheiden alles rechtmäßig abgelaufen ist. „In seiner Begründung erklärt das OVG, dass seitens der Stadt Lünen weder ein Verstoß gegen die Durchführungsverordnung für Bürgerentscheide noch eine ermessensfehlerhafte Festlegung der Abstimmungslokale vorgenommen worden ist“, schreibt die Stadt Lünen in einer Pressemitteilung.
Initiator der beiden Bürgerentscheide war die Bürgerinitiative „Gegen die Müllkippe“, zu der Leo Bögershausen gehört. Er kann die Entscheidung nicht nachvollziehen. „Das ist für mich zutiefst undemokratisch. Ich kann das also nach wie vor nicht verstehen“, sagt er im Gespräch mit der Redaktion. Das Ergebnis müsse man aber natürlich akzeptieren.
„Örtliche Gegebenheiten“
Grund für die Klage der Bürgerinitiative war, dass die Wahlbezirke anders aufgeteilt wurden, als es beispielsweise bei den anderen Wahlen der Fall ist. „Wenn man sich das jetzt mal vor Augen führt: Brambauer hat ungefähr 18.000 Einwohner und das übliche Abstimmungsverfahren sieht dort fünf Abstimmungsbezirke der Kommunalwahl. Es waren zwei bei den Bürgerentscheiden“, sagt Bögershausen. Marina Lorson, ebenfalls Mitglied der Bürgerinitiative, ergänzt: „Und die waren auch noch nahe beieinander.“
So gab es laut Bögershausen insgesamt 16 Wahllokale für den Bürgerentscheid in Lünen – normalerweise seien es 23. „Nur in diesen sieben Bezirken haben wir das Quorum nicht erreicht.“ Bögershausen und Lorson sind sich sicher: Wenn es die übliche Anzahl an Wahllokalen und -bezirken gegeben hätte, dann hätte man das Quorum von 15 Prozent für beide Bürgerentscheide erreicht. Das wird benötigt, damit ein solcher Entscheid rechtskräftig ist.
Denn nicht nur Brambauer sei durch die neue Auslegung der Wahlbezirke betroffen gewesen. So erzählen die beiden von der Bürgerinitiative, dass es in der Geist kein Wahllokal gegeben habe und die Anwohner in das Freiherr-vom-Stein-Gymnasium hätten gehen müssen, um abzustimmen. Sie vermuten, dass sich viele wegen des kalten Wetters am Tag des Bürgerentscheids nicht auf den Weg gemacht haben, um abzustimmen.

Ein weiterer Punkt, der Bögershausen stutzig macht, ist, dass es in anderen, teils benachbarten Kommunen anders geregelt wird. „Zum Beispiel in Dortmund und in Werne ist diese Sache anders geregelt. Da orientiert man sich an den Kommunalwahlen. In Lünen ist das nicht so gelaufen.“
Die Durchführung von Bürgerentscheiden wird durch die Bürgerentscheid-DVO geregelt. Paragraf sechs dieser Verordnung legt die Regelungen für die Abstimmungslokale fest. „Die Gemeinde legt die Orte und die Zahl der Abstimmungslokale nach Maßgabe der örtlichen Gegebenheiten sowie der Zahl der Stimmberechtigten je Stimmlokal fest“, steht dort geschrieben.
Diese „örtlichen Gegebenheiten“ sieht das OVG bei der Durchführung der Bürgerentscheide gegeben. Wörtlich steht in der Entscheidung des OVG: „Die von den Klägern vertretene Auffassung, die ‚örtlichen Verhältnisse‘ beträfen ‚die Siedlungsstruktur etc.’ und schlössen es aus, (auch) solche Umstände zu berücksichtigen, die einen Bezug zur Fragestellung des jeweiligen Bürgerentscheids aufwiesen, greift zu kurz. Vielmehr ermöglicht der weite Begriff der ‚örtlichen Gegebenheiten‘ eine Festlegung der Abstimmungslokale, die die konkreten Umstände in der jeweils betroffenen örtlichen Gemeinschaft berücksichtigt.“
Es ist nicht geregelt, wie die Stadt den örtlichen Gegebenheiten und der Anzahl an Stimmberechtigten Rechnung tragen muss. Die Gewichtung dieser Faktoren liegt bei den Gemeinden.
Kein demokratischer Vorgang
Mit seiner Meinung, dass diese Bürgerentscheide so nicht ganz demokratisch abgelaufen sind, ist Leo Bögershausen nicht alleine. Auch die Organisation „Mehr Demokratie“ kritisiert das Vorgehen der Stadt. So sei an dem Urteil juristisch nichts auszusetzen, im Fall der beiden Bürgerentscheide in Lünen handele es sich aber um eine demokratietheoretische Frage.
„Das Gesetz gibt Minimalanforderungen an die Durchführung eines Bürgerentscheids vor. Diese wurden erfüllt. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass hier auch ein gutes Verfahren stattgefunden hat“, erklärt Achim Wölfel, Landesgeschäftsführer von „NRW Mehr Demokratie“.
Genau das Gegenteil sei der Fall gewesen. Wölfel findet, dass das Verfahren mangelhaft war und dadurch bei den Menschen in Lünen Frust aufgekommen ist. Den Unmut der Lüner und der Bürgerinitiative kann Wölfel gut nachvollziehen. So nennt die Organisation drei wesentliche Punkte, die die Stadt hätte besser machen können:
- Es hätten wesentlich mehr Abstimmungslokale geöffnet werden sollen. Nur 16 Abstimmungslokale waren bei den Bürgerentscheiden geöffnet, bei einer normalen Wahl wären es 64 gewesen. Daran hätte sich die Stadt orientieren sollen. Abstimmungen sind keine Wahlen zweiter Klasse.
- Das Abstimmungsheft hätte zusammen mit den Abstimmungsunterlagen an alle Haushalte verschickt werden sollen. Weiterhin hätte das Abstimmungsheft auch deutlich mehr Informationen enthalten dürfen. So war es den Bürgerinnen und Bürgern kaum möglich, sich darüber gut zu informieren.
- Die Briefwahlunterlagen hätten automatisch und nicht erst auf Antrag an alle Abstimmungsberechtigten verschickt werden sollen. Die Abstimmungsbeteiligung wäre aller Voraussicht nach höher ausgefallen, das Zustimmungsquorum wäre voraussichtlich erreicht worden und der Bürgerentscheid damit gültig.

Minimalforderungen erfüllt
Wölfel ist sich jedoch sicher, dass die Auswirkungen der Entscheidung des OVG sich „in Grenzen“ halten werden. Denn zwar gibt es Mindestanforderungen, die – wie bei den Entscheiden in Lünen – zwar gegeben sein müssen, allerdings muss „jede Stadt selbst entscheiden, ob sie darüber hinausgehend den Anspruch hat, auch ein gutes Verfahren durchzuführen, bei dem sich möglichst viele Bürgerinnen und Bürger auch ernst- und mitgenommen fühlen“, so der Landesgeschäftsführer von „Mehr Demokratie“.
Kampf geht weiter
Doch nicht nur das Verhalten der Stadt Lünen in Bezug auf die beiden Entscheide sorgt für Unmut bei der Bürgerinitiative. Sondern auch das generelle Verhalten bei den Planungen des Bebauungsplans. So hatten Bürgerinnen und Bürger zwar drei Wochen, nach einer Informationsveranstaltung in der Käthe-Kollwitz-Gesamtschule, Zeit, ihre Anliegen an die Stadt zu senden. Allerdings wurde dieser Zeitraum genau in die Vorweihnachtszeit gelegt – was Lorson und Bögershausen kritisieren.
Trotzdem sollen rund 180 Anliegen an die Stadt gesendet worden sein.
Aufgeben wollen die beiden nicht. „Die beiden Felder Klöters Feld und Derner Straße liegen uns weiter am Herzen und wir setzen uns für den Erhalt ein“, gibt sich Bögershausen kämpferisch. Man müsse nun erst einmal abwarten, wann die jeweiligen Gutachten für die beiden geplanten Gewerbegebiete fertiggestellt werden, so Lorson. Danach soll es laut der Bürgerinitiative ein weiteres Beteiligungsverfahren geben.
Naturbrücke nach Dortmund
Doch warum sind der Initiative diese beiden Grünflächen so wichtig? Lorson und Bögershausen erklären, dass die Belastung im Lüner Süden schon so groß sei. „Daher kann ich die Abwägung der Politiker nicht verstehen. Nach dem Motto: Die letzten grünen Ecken machen wir euch auch noch weg.“
Eine Versiegelung der Flächen hält Bögershausen für nicht ratsam und verweist auf die neuen Garagen in der Nähe der geplanten Baufläche Derner Straße. Dort entstand am Wochenende durch Regenfälle ein kleiner See auf der Fläche. Der Lüner hat eine andere Idee, was an dieser Stelle statt weiterer Gewerbegebiete entstehen könnte: eine Grünbrücke über die Autobahn. „Eine großzügige Erholungsfläche im Grünen für die Bürger schaffen. Es darf nicht nur den Cappenberger Wald und See geben. Oder auch die wunderschönen Grünbereiche im Bereich Selm. Wir in Lünen wollen auch leben.“