Doussou (17) lernt laufen mit Prothese Auto zertrümmerte ihr Bein: „Bin glücklich und traurig“

Auto zertrümmerte ihr Bein: Doussou (17) lernt laufen mit Prothese
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Der Moment, in dem das Auto Doussou Kaba erfasste und an die Hauswand quetschte, ist ihr Schicksalstag. Sie verlor mit sieben Jahren ein Bein. Wegen innerer Verletzungen hat sie seitdem einen künstlichen Darmausgang. In ihrer Heimat Guinea, einem Staat in Westafrika, konnten die Ärzte zwar ihr Leben retten, für weitere Operationen fehlte aber das Geld.

Doussou, heute 17 Jahre alt, ist seitdem behindert. In Guinea ist das ein Makel. Betroffene gelten als verflucht. Sie werden verfolgt und beleidigt, mitunter angegriffen. Doussou traute sich kaum aus dem Haus. Sie erlebte eine Kindheit im Verborgenen. Obwohl in ihrer Heimat Kakao angebaut wird, hat sie Kakao-Bäume erst im Schokoladenmuseum in Köln gesehen, berichtet ihre Lehrerin Tatjana Franz. Doussou war auf Krücken geflohen. Weil der Vater das traditionelle Ritual der Beschneidung wollte, hat sie mit ihrer Mutter das Land verlassen. Sie kam nach Lünen.

Nur mit Gehhilfen kann sich Doussou bewegen. Das ist mühsam. Sie hat Schmerzen an Handgelenken, Schultern und im Rücken. Verschleiß durch ständige Belastung. Das alles hat Ogün Zorlu beobachtet, als er Doussou in der Lüner Fußgängerzone unweit der Persiluhr sah. Der Orhopädietechnikermeister der Firma Ortho Form Orthopädie und Rehasonderbau in Gahmen saß mit seiner Frau bei San Remo. Er hat nicht nur ein geschultes Auge, sondern auch ein großes Herz. Warum hat das Mädchen keine Prothese, fragte er sich, „es hat doch noch sein ganzes Leben vor sich.“

Ogün Zorlu zögerte nicht. Er sprach Doussou an. Für sie ein Glücksfall, der eine Wendung bedeutete. Obwohl es damals keine Zusage der Kostenübernahme seitens der Krankenkasse gab, setzte sich Ogün Zorlu ein, knüpfte Kontakte, organisierte und baute das wichtige Hilfsmittel. Doussou ist ein Spezialfall. Sie braucht eine Prothese, die nicht nur das Bein, sondern auch einen Teil der Hüfte ersetzen muss. Das kommt nicht häufig vor.

Doussou mit  Orhopädietechnikermeister Ogün Zorlu
Doussou Kaba mit Orthopädietechnikermeister Ogün Zorlu. Er hat sie einfach in der Fußgängerzone angesprochen. © Quiring-Lategahn

Wird nie das echte Bein sein

Inzwischen trainiert Doussou zweimal die Woche. Die Krankenkasse hat eine Interimsprothese genehmigt. Sie kostet etwa 18.000 Euro und ist aus Kunststoff. Die endgültige Prothese wird aus Carbon sein. Darüber entscheidet die Krankenkasse nach einem halben Jahr. Denn die etwa 50.000 Euro teure Prothese hat elektronisch gesteuerte Gelenke. Die verringern die Sturzgefahr.

Das Training macht Doussou sehr gut, sagt Ogün Zorlu. Sie darf bei Ortho Form mit dem Physiotherapeuten üben, weil es bei ihr Zuhause zu eng ist. Für Doussou ist es nicht einfach. Nach einiger Zeit hat sie Schmerzen, weil durch den Unfall ihre Haut vernarbt ist und direkt auf dem Knochen liegt. An den Druckstellen wurde die Prothese mehrfach gepolstert. Doussou hat sich eine Hose gekauft, bei der zum ersten Mal das Hosenbein nicht abgeschnitten wurde. Eigens für die Schritte mit dem Kunstbein später.

„Jedes Mal, wenn ich meine Beinprothese trage, fühle ich mich sehr glücklich und traurig zugleich“, sagt sie. Traurig, weil es nie das echte Bein sein wird. „Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, zwei Beine zu haben“, berichtet Doussou. Daran könne sie sich nicht mehr erinnern. Wohl aber an die Kinder, die wegen ihrer Behinderung nicht mit ihr spielen wollten und sie mit „schmerzhaften Worten verletzten“, wie sie sagt. Glücklich sei sie, weil sie bald wieder laufen könne. „Das ist es, was ich mir im Moment wünsche.“

Auf Krücken im Aquapark

Doussou mit Krücken und Prothese
Mit einer Prothese trainiert Doussou das Laufen. © Quiring-Lategahn

Doussou hat Pläne. Sie möchte Medizinische Fachangestellte werden. Ein Praktikum bei einem Hausarzt in Lünen hat ihr gut gefallen. Zurzeit besucht sie die zehnte Klasse der Ludwig-Uhland-Realschule. Doch die 17-Jährige muss weiter an ihren Deutschkenntnissen arbeiten. Sie spricht Französisch und die Stammessprache Malinko. Ihre Lehrerin, Tatjana Franz, und Schulleiter Benjamin Müller haben sie auf ihrem Weg begleitet und unterstützt. Im neuen Schuljahr wird sie zum Lippe Berufskolleg wechseln.

Doussou ist eine Kämpferin. Als ihre Klasse den Aquapark besuchte, hat sie sich mit den Gehhilfen die Treppen jeder Rutsche hochgearbeitet. Auch an einer Dachführung auf dem Kölner Dom hat sie teilgenommen. „Ich werde mein Bestes tun, um mit meinem neuen Bein gut zu laufen“, sagt sie.