Atommüll-Transport durch Lünen Ausnahmesituation, Sperrungen und Proteste im Frühjahr 1998

Atommüll-Transport durch Lünen: Ausnahmesituation, Sperrungen und Proteste im März 1998
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Lünen erlebte vor 25 Jahren den zu damaligen Zeiten „größten Einsatz von Sicherheitskräften seiner Geschichte“. Polizei, Bundesgrenzschutz-Einheiten, Motorradstreifen und sogar Wasserschutzbeamte waren einberufen worden, um genau eine Sache abzusichern: die Gleise und Bahnhöfe in der Lippestadt. Dieser Ausnahmezustand am 19. und 20. März galt dem Castor-Transport, welcher im Frühjahr 1998 aus Süddeutschland ins Zwischenlager nach Ahaus unterwegs war.

Insgesamt waren an der Strecke 30.000 Beamte eingesetzt, die sich 10.000 Demonstranten entgegenstellten - davon rund 3.500 Menschen an der Endhaltestelle in Ahaus. Für einige kam der Transport am dritten Märzwochenende überraschend, war der Zug aus dem Süden doch erst sechs Tage später für den 25. März 1998 geplant gewesen. Bereits am 19. März wurden die Castoren, jeweils drei Stück aus dem baden-württembergischen Neckarwestheim und dem bayerischen Grundremmingen, zum Weitertransport zusammengekoppelt. Der Zug hatte im Anschluss eine gut 700 Kilometer lange Strecke vor sich.

Während im Süden von Deutschland noch umgeladen wurde, formierte sich in Lünen der erste Protest. Am Abend des 19. März 1998 gingen Mitglieder der Grünen auf die Straße, um zu demonstrieren. Auf ihren Schildern liest sich eine klare Botschaft: „Castor Alarm - Auch nicht in Ahaus“, „Energie nur strahlenlos“ und „Castor: Annahme verweigert, Return to sender“. Um sie herum Beamte der Polizei. Die waren nämlich bereits am Nachmittag in Lünen mit weiteren Bundesgrenzschutz-Einheiten angekommen und hatten sich in einem Gebäude an der Bahnhaltestelle Preußen eine „Stabstelle“ eingerichtet.

Im Bericht der Ruhr Nachrichten vom 20. März 1998 heißt es über den Tag vor der Ankunft des Transportes: „Hundeführer kontrollierten das Gelände. Motorradstreifen observierten den Umkreis des Bahnhofes, auf dem die Waggons mit den ausgedienten Brennelementen sehr wahrscheinlich umrangiert und auf die Strecke Richtung Selm-Coesfeld-Ahaus geleitet werden. Auch auf dem Lüner Hauptbahnhof warfen die Beamten im Laufe des Tages mehrfach ein wachsames Auge, wie überhaupt die starke Polizeipräsenz an neuralgischen Punkten in der Stadt niemandem verborgen blieb. So sicherte zum Beispiel die Wasserschutzpolizei die Eisenbahnbrücke über den Kanal in Beckinghausen.“

Man war gut vorbereitet auf den Transport nach Ahaus mit den abgebrannten Brennelementen aus den zwei Atomkraftwerken. Am Freitagmorgen (21. März 1998) wurde der Theaterplatz in der Innenstadt von den Sicherheitskräften gesperrt. Dort stand Mannschaftswagen an Mannschaftswagen, eine Gulaschkanone war für die Verpflegung bereit.

Große Krawalle blieben in Lünen jedoch aus. Am Ankunftstag formierte sich lediglich eine kleine Gruppe am Bahnhof in Lünen-Süd, die „friedlich ihren Protest zum Ausdruck brachte“. Polizei und Bundesgrenzschutz brauchten so gut wie „nicht handfest eingreifen“, heißt es im RN-Bericht vom 21. März 1998.

Nur zwei Personen fielen negativ auf. Kurz vor Ankunft des Castor-Transports im Bahnhof Lünen-Süd durchbrachen ein 53-jähriger Drensteinfurter und eine 27-jährige Frau aus Mölln die Polizeiabsperrung und legten sich auf das Gleis. Sie wurden sofort festgenommen.

Mit dem Eintreffen des Castor-Transportes sperrten die Sicherheitskräfte die Bahnübergänge weiträumig ab. Gegen 14.50 Uhr erreichte der Atommüll dann den Bahnhof in Lünen-Süd. 20 Minuten später fuhr der Vorzug mit winkenden Beamten am Hauptbahnhof vorbei. Keine Viertelstunde danach kam endlich der Castor-Transport. Links und rechts der Gleise hatten sich immer mehr Passanten eingefunden – einige mehr oder wenig freiwillig wegen der Sperrungen.

Es sollte der erste und letzte Transport von sogenannten CASTOR-V-Behältern nach Ahaus bleiben. Nach der Anlieferung der sechs Atommüllbehälter aus den Atomkraftwerken Neckarwestheim und Gundremmingen beschloss die Bundesregierung den Bau von dezentralen Zwischenlagerhallen an den AKW-Standorten, die Errichtung einer zweiten Lagerhalle in Ahaus unterblieb.