Viele Stunden hat Emad Aryan aus Lünen vor dem Fernseher verbracht. Gebannt verfolgte er jede Nachricht aus seinem Heimatland. Dort überschlugen sich die Ereignisse. Rebellen der islamistischen Miliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS) hatten die Stadt Homs eingenommen und dann auch die Hauptstadt Damaskus erobert. Diktator Bashar al-Assad wurde gestürzt.
Bei den Fernsehbildern kamen Emad Aryan die Tränen. Endlich ist der Mann, der so viel Leid über Syrien gebracht hat, weg. Doch die Freude ist für den Lüner, der 2014 vor dem Krieg nach Deutschland flüchtete, nicht ungetrübt. „Es gibt große Hoffnung, aber wir wissen nicht, was in den nächsten Tagen passiert“, sagt er. Der 35-Jährige wünscht sich, dass die Menschen in Syrien ohne Krieg und Diktatur so leben können wie in Europa. In Freiheit und Demokratie. „Durch Diskutieren eine Lösung für ihre Probleme finden“, das stellt er sich vor, sowie ein friedliches Zusammenleben der Religionen.
Gleichzeitig ist er tieftraurig. Darüber, wie der Diktator gegen die Menschen in Syrien vorgegangen ist. Über 300.000 habe er ins Gefängnis geworfen, in unterirdische Keller, viel weitere wurden getötet. „Das kann ich nicht vergessen“, sagt Aryan. Assad lebe an seinem Fluchtort weiterhin in Luxus, auf Kosten der Syrer und Syrerinnen. Er müsse vor einem Gericht zur Verantwortung gezogen werden, so Emad Aryan.
Zwischen zwei Welten
Er telefoniere mit vielen Landsleuten. Dabei gehe es immer um Syrien. Emad Aryan, der seine Ausbildung in Deutschland im Jahr 2019 erfolgreich als Rechtsanwalts- und Notarfachangestellter abgeschlossen hat und eine Zulassung als Rechtsdienstleister im ausländischen Recht besitzt, war zuvor in Syrien als Anwalt tätig. Heute arbeitet er in seinem eigenen Unternehmen EAC Rechtsberatung. Er verspürt eine tiefe Sehnsucht. Nach seinen Eltern, die er elf Jahre nicht mehr gesehen hat. Seine neun Monate alte Tochter kennt ihre Großeltern nicht. Er hofft, seine Familie in Syrien besuchen zu können.
Emad Aryan kommt aus Amude in Nord-Syrien an der Grenze zur Türkei und zum Irak. Ob er zurückmöchte? Für eine solche Entscheidung sei es noch zu früh, sagt er. Inzwischen sei auch Deutschland seine Heimat geworden. Im Treffpunkt Neuland, dem Verein in Lünen, der sich um Geflüchtete kümmert, hat er dessen Gründer Dr. Wolfgang Andree kennengelernt. Über ihn habe er beruflich Fuß fassen können. Ein Kontakt, der ihm etwas bedeutet.
Emad Aryan lebt zwischen zwei Welten. Dennoch: Sollte sich in Syrien die Lage Richtung Freiheit und Demokratie entwickeln, kann er sich ein Leben dort vorstellen. Erstmal möchte er aber abwarten, wie viele seiner Landsleute. „Einfach ist die Entscheidung nicht“, sagt er.