Von einer Besorgnis erregenden Entdeckung berichtet eine Lünerin, die sich über den anonymen Briefkasten an die Redaktion gewandt hat. In einem öffentlich zugänglichen Papiermüllcontainer einer Hausgemeinschaft in Lünen fand sie sensible Patientendaten einer benachbarten Arztpraxis. Sie waren grob zerrissen. Es handelt sich um Schnipsel von Rezepten, Krankschreibungen und Labor- und Untersuchungsergebnissen. Darunter ein Entlassbrief einer Patientin aus dem St. Marien Hospital mit Name, Adresse, Geburtsdatum und ausführlicher Diagnose. Auch Zettel mit um die 144 Patientennamen finden sich in der öffentlich zugänglichen Mülltonne. „Ich bin auch Patientin in dieser Praxis und - milde ausgedrückt - entsetzt. Das darf doch nicht sein“, schildert die anonyme Hinweisgeberin.
Direkt am nächsten Morgen hat die Redaktion diese Angaben überprüft. Inzwischen war weiterer Papiermüll dazugekommen. Die nur grob zerrissenen Patientendaten lagen aber noch da.

„Davon weiß ich nichts“
Angesprochen auf den Vorfall, sagt der Arzt: „Davon weiß ich nichts.“ In seiner Praxis würden Papiere und Patientendaten vor der Entsorgung in einer Maschine geschreddert. Warum das in diesem Fall nicht passiert sei, müsse er mit seinen Mitarbeitenden klären. Es könne sein, dass ein Praktikant, dem er eine Chance zum Lernen gebe, dies nicht beachtet habe. Er werde mit seinen Mitarbeitern reden, das solle nicht wieder vorkommen.
Der Mediziner vermutete, dass es sich um Patientenakten noch von seiner Vorgängerin handeln könnte. Nach und nach würden sie jetzt zehn Jahre später entsorgt. Auf den Unterlagen ist aber eindeutig der aktuelle Praxisname zu lesen. Sie stammen teilweise vom 26. Juni und 1. Juli 2024. Auch drei Stunden nach dem Telefonat hat die Redaktion die Schnipsel noch im Container gefunden. In einem weiteren Gespräch mit der Redaktion kündigte der Arzt an, einen Anwalt einzuschalten und gerichtlich gegen eine Berichterstattung vorzugehen.
Berufsordnung der Ärzte
Ob den Arzt persönlich eine Schuld trifft, ist zu diesem Zeitpunkt unklar. Generell, so heißt es seitens der Ärztekammer Westfalen-Lippe, müssen Ärzte mit patientenbezogenen Daten große Sorgfalt walten lassen. Der Datenschutz sei so zu beachten, dass Fremde diese Daten nicht einsehen können. Ohne speziell den Lüner Einzelfall zu kennen, erklärt Pressesprecher Volker Heiliger: Daten im Papiermüll seien keine Bagatelle.
Er nennt die Berufsordnung für Ärzte. Dort heißt es in Paragraph 9, dass Ärztinnen und Ärzte über das, was ihnen in Ausübung ihres Berufs anvertraut oder bekannt geworden ist – auch über den Tod der Patientin oder des Patienten hinaus – zu schweigen haben. Dazu gehören auch schriftliche Mitteilungen der Patientin oder des Patienten, ärztliche Aufzeichnungen, Röntgenaufnahmen und sonstige Untersuchungsbefunde.
Der Paragraph 10 regelt die Dokumentationspflicht. Danach haben auch nach Aufgabe der Praxis Ärztinnen und Ärzte ihre ärztlichen Aufzeichnungen und Untersuchungsbefunde gemäß Absatz 3 aufzubewahren oder dafür Sorge zu tragen, dass sie in gehörige Obhut gegeben werden. Werden bei einer Praxisaufgabe oder Praxisübergabe ärztliche Aufzeichnungen über Patientinnen und Patienten in Obhut gegeben, müssen diese Aufzeichnungen unter Verschluss gehalten werden. Sie dürfen nur mit Einwilligung der Betroffenen eingesehen oder weitergegeben werden.
Von Rüge bis Geldstrafe
Die Ärztekammer überwacht die Berufspflichten von Ärzten. Generell ging sie bei Kenntnis von Verstößen der Sache nach, erläutert Volker Heiliger. Der oder die Betroffene erhalte ein Schreiben des Präsidenten, in dem er oder sie auf die rechtliche Lage hingewiesen werde, mit der Bitte um Stellungnahme.
Anschließend entscheide der Präsident oder in schwererem Fall der Vorstand, wie weiter verfahren werde. Das kann von einer Rüge des Präsidenten bis hin zur Rüge mit Geldstrafe reichen.
Gebe es strafrechtliche Untersuchungen, warte die Ärztekammer, bis der Fall abgeschlossen sei. Sie überprüfe dann anschließend, wie er berufsrechtlich zu ahnden sei.