Anwohner fordern Baustopp auf Victoriabrache in Lünen Stadt: Keine akute Gesundheitsgefahr

Anwohner fordern Baustopp: Stadt sieht keine akute Gesundheitsgefahr
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Gefahr im Verzug sehen die Anwohnerinnen und Anwohner der Viktoriasiedlung in Lünen. Sie wohnen direkt neben dem ehemaligen Gelände der Zeche Victoria. Auf dem 40 Hektar großen Areal wurde ein halbes Jahrhundert lang Kohle gefördert. 1960 war damit Schluss. Die benachbarte Kokerei schloss vier Jahre später. Das Erbe der Industriegeschichte hat im Boden Spuren hinterlassen. Jahrelang lag die Fläche brach, jetzt soll sie zum Landschaftspark werden. Die Internationale Gartenausstellung 2027 (IGA) und der Bau der Forensik sind dort geplant. Rodungen und Bodenbewegungen sind die Folge.

Seit Bagger und Raupen auf dem Gelände unterwegs sind, macht sich die Nachbarschaft Sorgen. Je nach Witterung nehmen die Anwohner eine ungewohnte Geruchsbelästigung wahr. Inzwischen sei es auch zu gesundheitlichen Auffälligkeiten gekommen. Bei einem Nachbarn seien im Blut erhöhte Blei- und Quecksilberwerte gefunden worden. Die Siedlung ist alarmiert. Vor der Ratssitzung hatte die Wählergemeinschaft GFL dazu bereits Fragen gestellt, die der Technische Beigeordnete Arnold Reeker dort beantwortete. Fazit: Belegte oder belegbare Fakten für eine Gesundheitsgefährdung gebe es nicht.

Victoriabrache mit Baufahrzeugen und Häusern im Hintergrund.
Die Sanierungsarbeiten auf der Victoriabrache haben begonnen. © Quiring-Lategahn

Metallischer Geschmack im Mund

Nils Märtin ist Vorsitzender der Siedlergemeinschaft Barbara. Er vertritt auch die Anwohner und Anwohnerinnen der Viktoriasiedlung. In einem Brandbrief an den Landrat, den Regierungspräsidenten und an NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst fordert er einen dauerhaften Baustopp und umfangreiche Sanierungsmaßnahmen. Er sieht einen Zusammenhang zwischen den Bodenarbeiten und dem ungewöhnlichen Geruch wie auch zu den gesundheitlichen Auffälligkeiten. „Einige Anwohnende berichten von Symptomen wie metallischem Geschmack im Mund und Reizung der Atemwege, was zu erheblichen Sicherheitsbedenken geführt hat“, schreibt Märtin.

Die Stadt hatte die Anwohner am 11. April zu einer Infoveranstaltung eingeladen. Das Ergebnis durchgeführter Messungen sei unauffällig, hieß es. Eine Antwort, mit der sich die Anwohner nicht zufriedengeben. „Die wenigen Staubmesspunkte, die nach einer Testphase mit überwiegendem Regen mit unauffälligem Ergebnis ausgewertet wurden, bieten aufgrund der Wetterlage keine aussagekräftigen Daten“, schreibt Märtin in seinem Brief. Die installierten Messpunkte seien zudem sehr nah am Boden angebracht und erfassten nicht den durch Windböen hochgewirbelten Staub. Überdies sei an der Stelle des stärksten Geruchs noch gar kein Messpunkt installiert gewesen. Der folgte erst, als der größte Bereich bereits abgedeckt war.

Die Anwohner verstehen nicht, warum der Kreis Unna keine Ergebnisse von Bodenproben veröffentliche, sondern auf Akteneinsicht vor Ort bestehe. Sie fordern ein umfassendes Biomonitoring mit Blutuntersuchungen auf zahlreiche Metalle und Verbindungen.

„Ergebnisse unauffällig“

Auf Nachfrage der Redaktion erklärt Arnold Reeker, dass nach den Vorgaben des verbindlichen Sanierungsplans unter Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften gearbeitet werde. Er bestätigt Geruchsauffälligkeiten. Durch die schweren Baumaschinen und Schwankungen der Umgebungstemperatur sei es zu einer Mobilisierung von kokereispezifischen Inhaltsstoffen in der Bodenluft gekommen. „Eine gesundheitsgefährdende Konzentration, eine länger anhaltende Exposition oder gar eine lokale Schadstoffanreicherung in der Luft (wie teilweise berichtet) wird allerdings von allen beteiligten Behörden und Sachverständigen ausgeschlossen“, teilt Reeker mit.

Staubverwehungen nehme die Stadt ernst und ergreife dagegen Maßnahmen. Eine Analyse auf kokereitypische Stoffe im Staubniederschlag habe noch nicht durchgeführt werden können, da in den nahe der nördlichen Anliegergrundstücke aufgestellten Sammlern noch nicht genug Staub gesammelt werden konnte. Reeker schließt daraus, dass die Staubbelastung an der Grenze zu den Nachbargrundstücken bisher sehr gering war. „Alle bisher vorliegenden Untersuchungsergebnisse bezogen auf die analysierten Luftschadstoffe (kokereispezifische Parameter) sind absolut unauffällig (unterhalb der Nachweisgrenze)“, heißt es in der Stellungnahme der Stadt.

Unterschiedliche Messstellen

Nach den Beschwerden sei in Abstimmung mit der Bodenschutzbehörde ein Teil des Bergematerials aus dem Baufeld Forensik zur Abdeckung von höher belasteten Flächen im Bereich des zukünftigen Landschaftsparks eingesetzt worden. Von diesem Boden seien, ebenso wie von dem in den Mieten aufgesetzten Boden, Proben genommen und chemisch analysiert worden. Die Ergebnisse hätten die Grenzwerte gemäß Sanierungsplan deutlich unterschritten.

Nach bauseitiger Einschätzung seien im südwestlichen Bereich der Bearbeitungsfläche die größten Geruchsauffälligkeiten festgestellt worden. „Zur weiteren Eingrenzung der Situation hat die Bodenschutzbehörde in diesem Bereich weitere Untersuchungen und eine gutachterliche Stellungnahme eingefordert. Daran wird aktuell gearbeitet“, berichtet Reeker.

Es gebe zurzeit drei Messstellen mit Passivsammlern sowie drei zur Ermittlung von Staubniederschlag und eine Referenzmessstelle südlich der Lippe. Die Stadt werde die bei der Info-Veranstaltung zugesagten Maßnahme weiter verfolgen. Ende August sollen die Anwohner zu Beginn des Bauloses 2 erneut bei einem Treffen informiert werden.