Schmerzgrenze. Im Gespräch mit Landwirt Gerhard Lategahn fiel das Wort fast so nebenbei. Tatsächlich hat der Mühlhausener Milchhof gerade schwer damit zu kämpfen, dass Aldi und Lidl, Edeka und Rewe darum wetteifern, wer die Tüte Milch am günstigsten im Kühlregal anbietet. Diese unsichere Ertragslage sorgt dafür, dass es kaum noch Milchviehhaltung in der Region gibt.
Lategahns Milchhof ist im Bestand nicht gefährdet. „Wir können ein bisschen querfinanzieren“, beruhigt Gerhard Lategahn. Und es gab ja auch bessere Zeiten. Vor einem Dreivierteljahr bekamen Lategahns für jeden Liter konventionell produzierter Milch 60 Cent. „Das war auskömmlich“, sagt Gerhard Lategahn.
30 Cent kommen beim Bauern an
Von den 99 Cent beim Discounter landen heute nur noch 30 Cent beim Bauern.
Und für 30 Cent kann kein Landwirt Milch kostendeckend produzieren. Die Familie Lategahn, übrigens nachweislich seit 1486 in Unna-Mühlhausen ansässig, ist das Auf und Ab der Milchpreise gewohnt. Eine Weile kann es mal unter die Schmerzgrenze gehen, aber eben nur eine Weile. Ausgleichszahlungen gibt es gar nicht.

Die Nachfrage nach Milch ist nicht immer gleich. Aktuell gibt es ein Überangebot, also können die Discounter den Preis Richtung talwärts diktieren. Laut Milchbauernverband wird in der zweiten Jahreshälfte mit größerer Nachfrage gerechnet - im Jahresschnitt könnte es also noch mal gutgehen mit den Einnahmen für die produzierenden Landwirte.
- Im Mai 2023 hat es in den nurmehr 4670 nordrhein-westfälischen Betrieben mit Milchkühen 378.939 Tiere gegeben; das waren 0,7 Prozent weniger als ein Jahr zuvor (damals: 381 574 Milchkühe).
- Im Jahr 2017 gab es noch 5949 landwirtschaftliche Betriebe mit Milchviehhaltung. Von 2022 auf 2023 verringerte sich die Zahl der Milchviehhaltungen um 3,9 Prozent.
- Rein rechnerisch kamen damit Anfang des Jahres 2023 durchschnittlich 81 Milchkühe auf jede Milchkuhhaltung (2022: 79).
- Jeweils etwa ein Viertel der Milchkühe in NRW wurde im Mai 2023 in den Haltungen der Regierungsbezirke Düsseldorf (100.596) und Münster (93.192) gehalten. Im Kreis Kleve gab es mit 401 Milchkuhhaltungen und insgesamt 53.664 Tieren die meisten Milchkühe. Die meisten Milchkuhhaltungen lagen im Kreis Borken (496 Haltungen mit 38.846 Milchkühen).
- Die Gesamtzahl der Rinder in NRW verringerte sich binnen Jahresfrist um 0,3 Prozent auf 1,26 Millionen Tiere.
- Die am weitesten verbreitete Milchkuhrasse in NRW ist die „Holstein-Schwarzbunte”; ihr Anteil am gesamten Milchkuhbestand lag im November 2022 bei 71,8 Prozent. Die Rasse „Holstein-Rotbunt” kam auf einen Anteil von 16,0 Prozent, das „Fleckvieh” auf 4,5 Prozent.
(Quelle: IT.NRW.de als Landesamt für Statistik)
Was aber, wenn sich die Discounter weiter im Preiskrieg ausgerechnet mit frischer Milch unterbieten wollen? Dann muss eingegriffen werden. „Wir können unsere 120 Milchkühe nicht von heute auf morgen trocken stellen und den Stall in Pferdeboxen umbauen“, sagt Gerhard Lategahn.
„Milchpreise gehören nicht an die Börse“
Die Milch muss die Molkerei täglich holen. Muss. Und die Molkerei liefert ja die Milch auch nicht nur in Tüten für die Supermärkte. Da wird noch Yoghurt, Butter, Speiseeis, Milchpulver und vor allem Käse produziert. „Käse und Pulver kann man lagern, Milch nicht.“
So einfach ist das? Gerhard Lategahn warnt immer wieder davor, im Umgang mit vor Ort produzierten Lebensmitteln zu spekulieren. Milchpreise oder Weizenpreise gehören für ihn nicht an die Börse, da müsse ein Höchstmaß an Verlässlichkeit gewährleistet sein. Andernfalls werde die Zahl der Milchbauern immer weniger.

Immer mehr Hoferben überlegen sich, ob sie das Milchvieh behalten. Investitionen in so moderne Ställe wie beim Milchhof kann sich dann keiner mehr leisten.
Im florierenden, überregional bekannten Mühlhausener Hofladen kostet die Milch übrigens konstant 1,50 Euro je Liter, ob aus dem Regal oder rund um die Uhr aus der Milchhof-Tankstelle am Straßenrand.
Milch ist Preisschwankungen ausgesetzt
Bei Aldi in der Stadt sind gerade 99 Cent fällig. Bei Lategahns gehen nur 20 Prozent der erzeugten Milch in die Direktvermarktung, das Meiste ist also den Preisschwankungen ausgesetzt. Die können Lategahns nicht beeinflussen.

Lategahns haben nur noch eine kleine Schweinemast, bauen ihr Futter für die Tiere zu 90 Prozent selbst an. Auf Schwankungen beim Milchverbrauch könnten sie auch nicht so ohne weiteres reagieren. Soll der Bauer den Kühen sagen: „Eure Milch schmeckt den Leuten nicht mehr?“
Und andersherum: Wenn es immer weniger Milchbauern gibt – Lategahns könnten ihre Produktionsmenge nicht einfach erhöhen. „Unsere Flächen mit guter Bodenqualität sind ausgereizt, es wird ja auch hier in der Region immer mehr landwirtschaftliche Fläche bebaut.“ Ohne die Äcker zum Futteranbau kann keine Herde kostendeckend gehalten werden.
Deutschland hatte, so Lategahn, einen Selbstversorgungsgrad von 120 Prozent bei Milch. Aktuell sind es wohl 108 Prozent.