Die Pantoffeln, die Michael Thews (60) trägt, als er die Haustür öffnet, sind beigefarben. Und nicht rot wie die Schuhe, mit denen er immer draußen unterwegs ist: ob in seinem Wahlkreis Hamm/Unna II oder in Berlin, wo er seit 2013 etwa ein Drittel seiner Zeit verbringt als direkt gewählter Abgeordneter für die 322.000 Menschen aus Lünen, Selm, Werne und Hamm.
Heute ist einer der Tage, an denen er zu Hause ist in seiner weißen, schlichten Doppelhaushälfte in Lünen-Brambauer, die direkt an die seines 38-jährigen Sohnes grenzt. Eine parlamentarische Woche, die in die Geschichte der Bundesrepublik eingehen wird, liegt gerade hinter ihm und die Bundestagswahl am 23. Februar nur noch wenige Tage vor ihm, als Thews an den Frühstückstisch lädt.
Es wird eine Schicksalswahl werden. Für Deutschland, dessen politische Mitte tief zerstritten ist. Für das Revier, das längst nicht mehr so tiefrot ist wie Thews Straßenschuhe. Für den Wahlkreis, der immer in SPD-Hand war. Für die Stadt Lünen, aus der alle bisherigen Direktkandidaten stammten (und nicht etwa aus dem größeren Hamm). Und natürlich für Michael Thews selbst.
„Schwarzer Tag für Demokratie“
„Zack-zack-zack-zack.“ Die Messerklinge fliegt nur so durch die Schlangengurke. Während die letzten schwarzen Kaffeetropfen in die heiße Milch tropfen, schneidet Michael Thews noch schnell etwas Gemüse. Die Vielfalt mache es aus, meint er. Auf dem Teller. Und in der Politik. Das sei das Wesen der Demokratie: sich viele Meinungen anhören und Kompromisse finden, „und nicht friss oder stirb rufen“. Da ist es: das Thema, das die deutsche Öffentlichkeit gerade elektrisiert wie kein anderes.
Friedrich Merz, der Kanzlerkandidat der CDU, hatte SPD und Grünen Gespräche angeboten über einen schärferen Kurs in der Migrationspolitik, ihnen gleichzeitig aber klargemacht, es im Zweifel auf eine Mehrheit mit der AfD ankommen zu lassen. So ist es auch gekommen. Thews schüttelt den Kopf, während er die zwei dampfende Gläser Latte Macchiato und das Brettchen mit Tomaten und Gurken zum Tisch balanciert. „Das war ein schwarzer Tag für die Demokratie.“
148 Mio. Euro Fördergeld für Wahlkreis
Mit einem AfD-Mitglied im FC Bundestag zu kicken oder ein Bier trinken zu gehen, kommt für ihn nicht in Frage. Mit der in Teilen rechtsextremistischen Partei Politik zu machen, erst recht nicht, sagt er und schneidet ein Brötchen auf. Thews ist seit dieser Wahlperiode Haushälter, also Mitglied in einem der größten und wichtigsten Ausschüsse des Bundestags, der berät, wie viel Geld der Bund ausgibt und wofür. In der zurückliegenden Wahlperiode waren es laut Thews allein 148 Millionen Euro Fördergelder für Projekte in Hamm/Unna II: etwa für die bevorstehenden Freibadsanierungen in Lünen und Selm oder für den Bau einer neuen Zweifachsporthalle in Werne. Wer so nah an den Fördertöpfen sitzt, wird gerne umschmeichelt, auch von AfD-Mitgliedern. Thews lächelt. „Ich sage denen dann aber nur: Tritt doch aus dieser Partei aus, dann können wir auch vernünftig miteinander reden.“
Hersteller zahlen für Einwegprodukte
Das Bewusstsein zu schärfen für die Brandmauer, findet Thews richtig. Nicht aber, nur noch darüber zu reden. Das verstelle den Blick vor den Erfolgen. „Wer hätte etwa gedacht, dass wir einmal so ein Deutschland-Ticket bekommen würden“, sagt er, lacht und beißt beherzt ins Schinkenbrötchen. Über einen anderen Erfolg freut er sich noch mehr. Denn daran war der Lüner nicht nur als einer von 733 Abgeordneten beteiligt, sondern als maßgeblicher Akteur.
Einwegkunststofffondsgesetz: Der Zungenbrecher - erst recht an einem Frühstückstisch mit vollem Mund - hat Abgaben auf bestimmte Einwegprodukte eingeführt wie Zigaretten mit kunststoffhaltigen Filtern oder Getränkebecher: „Alles Sachen, die man oft in der Natur liegen sieht“, sagt Thews. Seit Inkrafttreten des Gesetzes haben die Hersteller in den Fonds einzuzahlen: Geld, das den Kommunen zur Verfügung gestellt wird, die den Müll beseitigen müssen. Zu einer Reform des Verpackungsgesetzes, die zu weniger und nachhaltigerer Verpackung führen soll - auch so ein Herzensanliegen von Thews - sei es aufgrund der vorgezogenen Neuwahlen dagegen nicht mehr gekommen.

Pünktlich zur zweiten Brötchenhälfte ist Thews damit angekommen bei einem seiner Lieblingsthemen: Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit. Seine Eltern betrieben in Bremerhaven eine Tankstelle und eine Gastwirtschaft. Das prägt den leidenschaftlichen Hobbykoch zwar bis heute. Beruflich schlug er aber einen anderen Weg ein und wurde Diplom-Chemieingenieur. Zuletzt war er Prokurist und Umweltbeauftragter beim Klärschlammverwerter Innovatherm in Lünen. Ein Job, den er liebte. „Als Profi in die Politik einzusteigen, hatte ich nie vor.“ Bis sein Vorgänger im Bundestag, Dr. Dieter Wiefelspütz, ihn davon überzeugte, dass das Parlament gerade Ingenieure, also gelernte Problemlöser mit Praxiserfahrung, brauche. Eine glückliche Fügung, sagt Thews. Auch privat.
Chefin des SoVD ist Thews Ehefrau
Thews hat im Bundestag seine Parteifreundin Michaela Engelmeier kennen und lieben gelernt. 2024 haben beide geheiratet. Zusammen haben sie drei Kinder und drei Enkel, davon einen in Berlin. „Manchmal hole ich ihn von der Kita ab“, sagt Thews. Denn seine Frau hat seit ihrem Ausscheiden aus dem Parlament 2017 eher mehr als weniger zu tun. „Michaela ist Vorstandsvorsitzende des SoVD, des Sozialverbandes Deutschland“, sagt er. Dass ihn das stolz macht, ist nicht zu überhören.
Der Lüner greift zum Handy. Nicht um zu telefonieren, sondern um den Ladestatus seines E-Autos zu überprüfen. Nach dem Frühstück hat er einen Termin in Hamm. Die Fahrt dorthin wird ihn vorbeiführen an dem größten Batteriespeicher Deutschlands in Werne-Stockum und an dem Standort für das wasserstofffähige Gaskraftwerk gleich nebenan. Das seien sichtbare Schritte, wie sich Industriearbeitsplätze sichern ließen. Thews will für die Region auch die nächsten mitgehen - in seinen roten Schuhen. Das geht nur als direkt gewählter Abgeordneter. Über die Liste abgesichert war er noch nie.