Platz für 30 Geflüchtete in Lünen Brambauer Bürger fühlen sich übergangen und vergessen

Platz für 30 Geflüchtete: Brambauer Bürger fühlen sich übergangen
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Es gibt einfachere Termine für Mitglieder der Stadtverwaltung als die Informationsveranstaltung zur Unterbringung und Betreuung von Geflüchteten in Lünen-Brambauer. Dem Ersten Beigeordneten der Stadt Lünen sei klar gewesen, dass es hitzig werden würde, dass die Fragen und weiteren Diskussionsbeiträge weit über das angekündigte Thema hinaus gehen würden. Axel Tschersich soll Recht behalten, doch mit seiner Mahnung und Forderung nach Sachlichkeit und Wahrheit fängt er die Diskussion weitestgehend ein, wenn die Emotionen drohen überzukochen.

Ein Mann mit Mikrofon.
Wilfried Born, Kundencenterleiter der Vivawest Wohnen, wich keiner Frage der Bürger aus. © Hans-Georg Gottfried Dittmann

Bereits zu Beginn der Veranstaltung ist ordentlich Dampf auf dem Kessel. Beate Lötschert, Fachbereichsleitung Wohnen, Soziales und Inklusion, will zu Anfang mit einer Präsentation das Konzept der Stadt aufzeigen, wie sie mit Geflüchteten umzugehen, zu integrieren gedenkt. 36 Monate soll dieser Prozess dauern, in drei Schritten, bis die Geflüchteten in die Lüner Gesellschaft integriert sind.

Im ersten Schritt will die Stadt den Neuankömmlingen helfen, die Grundvoraussetzungen zu schaffen, um überhaupt mit der Integration beginnen zu können. Dazu gehört unter anderem, ein Konto einzurichten.

„Mit Verlaub, aber mir geht es heute nicht darum, wie die Stadt den Flüchtlingen hilft, ein Konto zu eröffnen. Mir geht um konkrete Probleme, die direkte Auswirkungen auf den Stadtteil Brambauer und meine Familie haben, wenn 30 Personen hier bei uns untergebracht werden“, fällt Ulrike Knerr Lötschert ins Wort. Die etwa 100 Anwesenden honorieren diesen Einwurf mit lautem Applaus.

Eine Frau stellt Fragen.
Als direkte Nachbarin der Unterkunft hat Ulrike Knerr (Mitte) viele Bedenken. Die stellte sie nicht nur aus dem Plenum, sondern sprach darüber auch lange mit einer Mitarbeiterin der Caritas unter vier Augen. © Hans-Georg Gottfried Dittmann

Als weitere Fragen den anwesenden Verantwortlichen entgegenschlagen, muss Stadtsprecher Daniel Claeßen eingreifen und mit lauterem Ton zur Contenance aufrufen. Es gelingt. Neben Claeßen, Lötschert und Tschersich sind Hildegard Jorch, Sozialbetreuung für geflüchtete Menschen in Brambauer, Wilfried Born, Kundencenterleiter der Vivawest Wohnen und Mitarbeiter des Caritasverbandes Lünen-Selm-Werne ins Pfarrheim der Herz-Jesu-Gemeinde gekommen, um die Anwohner der neuen Unterkunft zu informieren.

Denn es ist ein Informationsabend. Die Entscheidung, dass die 30 Geflüchteten im Haus der Vivawest Wohnen, das an der Ecke Friedhofsstraße/Auf dem Sudberg, ist längst gefallen. „Wir sind heute hier, um Ihnen mitzuteilen, was wir machen wollen und machen werden.“ Dieser Satz von Tschersich sorgt für lauten Unmut, am lautstärksten äußert sich Andreas Albrecht, der in der vordersten Reihe, keine zwei Meter entfernt vom Ersten Beigeordneten sitzt.

„Es ist also längst beschlossene Sache. Wir werden nicht gefragt. Das ist wieder typisch.“ Dazu behauptet er, dass Brambauer von der Politik nicht nur vergessen und übergangen werde, sondern die Verantwortlichen die Geflüchteten in überproportional in Brambauer unterbringen, nicht aber in den Stadtteilen, wo sie selbst wohnen.

Diese Aussage versucht Lötschert mit der aktuellen Statistik zu widerlegen. Tatsächlich liegt Brambauer nach diesen Zahlen im städteweiten Durchschnitt. Demnach liegt der Anteil der Geflüchteten an der städtischen Gesamtbevölkerung bei 1,3 Prozent, in Brambauer bei 1,2 Prozent. Spitzenreiter ist Gahmen mit einer Quote von 5,2 Prozent, gefolgt von Alstedde mit zwei Prozent. Die wenigsten Geflüchteten leben – gemessen an der Einwohnerzahl – in Niederaden mit 0,2 Prozent und Wethmar mit 0,3 Prozent.

Ein Mann regt sich auf.
Andreas Albrecht beteiligte sich lautstark und häufig an der Diskussion. Er fühlt sich als Einwohner des Stadtteiles Brambauer von der Politik und Verwaltung vergessen und übergangen. Bereits während der Eröffnungspräsentation von Beate Lötschert, Fachbereichsleitung Wohnen, Soziales und Inklusion (links oben), ging es im Pfarrheim hoch her. © Hans-Georg Gottfried Dittmann

Gefühlte Realität

Schnell wird klar, dass es nicht um Statistiken oder Modelle geht, sondern um das, was die Menschen vor Ort fühlen, was sie wahrnehmen – und das geht weit über die Frage, wo 30 Geflüchtete wohnen sollen, hinaus.

Da geht es um die Sicherheit. „Warum gibt es in Brambauer keine Polizeistation mehr? Seitdem die Wache geschlossen ist, fühlt man sich hier nicht mehr sicher“, ruft Benno Krautstrung durch den Raum, nachdem Tschersich ihm das Wort erteilt hat. „Immer mehr wird hier zurückgefahren, ihr lasst den Stadtteil verkommen“, pflichtet ihm eine Stimme aus dem Plenum bei. Gemeint sind neben den Verwaltungsmitarbeitern, die Tschersich an diesem Abend repräsentiert, auch die lokalen Politiker.

Ein Mann hört zu.
Benno Krautstrung ergriff während der Informationsverstaltung das Wort, um seiner Sorge um den Stadtteil Brambauer zu verdeutlichen. © Hans-Georg Gottfried Dittmann

Letztere Aussage verwundert den Ersten Beigeordneten. „Die Zahlen sagen etwas anderes. In keinem Stadtteil stoßen wir mehr Projekte an, investieren mehr Geld als in Brambauer.“ Dass es mit dieser Aussage nicht getan ist, sieht Tschersich direkt ein. Wenn dies nicht in der Wahrnehmung der Stadtteilbewohner ankomme, müsse dies noch mehr kommuniziert werden.

In der Kritik stehen nicht nur Verwaltung und Politik, sondern auch der Eigentümer der neuen Unterkunft Vivawest Wohnen. Es seien mehrere Nachbarn bekannt, die versucht hätten, das Objekt zu kaufen, werfen anwesende Bürger ein. Dass letztlich die Stadt den Zuschlag bekommen habe, sei verwunderlich. Mehrmals fällt der Begriff der „Mauschelei“. Belegen kann dies aus dem Plenum aber niemand, die Verantwortlichen weisen diesen Vorwurf aufs Schärfste von sich.

Zum Mietvertrag äußert sich Stadtsprecher Claeßen am Mittwoch (21. August) wie folgt: „Genaue Zahlen können wir aus Rücksicht auf unsere Vertragspartner nicht nennen. Die Stadt Lünen wird eine Quadratmeter-Miete zahlen, die sich sowohl an der ortsüblichen Miete orientiert, als auch Vorleistungen des Vermieters, wie in solchen Fällen üblich, mit einem Aufschlag von 20 Prozent berücksichtigt.“

Ein Laptop vor einer Gruppe Menschen.
Dass ihnen eine permanente Ansprechpartnerin der Caritas zur Verfügung steht, reicht vielen Bürgern in Brambauer nicht aus. © Hans-Georg Gottfried Dittmann