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Neuer SVH-Trainer Benjamin Siegert im Portrait: BVB-Pokalschreck und 7 Minuten Bundesliga
Fußball
Herberns neuer Trainer war ehemaliger U21-Nationalspieler und erzielte das schnellste Tor im deutschen Profifußball.
Über 300 Profispiele hat Benjamin Siegert auf dem Buckel. Da wirken die an die 60 Regionalligaeinsätze, die er auch noch absolviert hat, fast wie ein Beiwerk. Der 38-jährige Ex-Profi, der aktuell noch für den FC Nordkirchen spielt, wird im Sommer Trainer des Fußball-Landesligisten SV Herbern.
Vor einem halben Jahr stellte der FC Nordkirchen Siegert als hochkarätigen Neuzugang vor. „Jetzt ist es für mich wichtig, mit den Jungs auf Augenhöhe zu kommen, mit ihnen zu sprechen und alle Leute im Umfeld kennen zu lernen. Ein bisschen Abstand ist noch da, weil wir noch ganz am Anfang sind, aber ich gehe davon aus, dass es in den kommenden Wochen anders wird“, sagt Siegert damals, der erst im rechten Mittelfeld, dann nach der Umstellung von der Dreier- auf eine Viererkette hinten spielte.
Das Bayern-Trikot bei Sohn Jasper ist kein Zufall. Siegert ist Bayern-Fan und hatte Hasan Salihamidžić damals als Vorbild. „Den konntest du hinstellen, wo du wolltest. Er hat überall überzeugt“, sagt Siegert, der sich auch mit der aggressiven und kämpferischen Art identifiziert. Im DFB-Pokal spielte er sogar einmal gegen die Bayern. 2014 war das im Erstrundenmatch mit Preußen Münster. „Das saugt man auf und erzählt das irgendwann den Enkelkindern“, sagt Siegert.
Benjamin Siegert wächst in West-Berlin auf
Siegert verbringt seine Kindheit im geteilten Berlin. 1981 wird er geboren, lebt danach in West-Berlin, kickt beim Mariendorfer SV 06, dem FC Hertha 03 Zehlendorf, und Tennis Borussia Berlin. Der Kalte Krieg, die Berliner Mauer, der Konflikt zwischen Ost und West - das alles ist für Siegert als Kind weit weg und doch irgendwie Alltag. „Für mich war das nicht begreifbar“, sagt er heute, erinnert sich an Reisen in den Ostsektor, an Grenzkontrollen und stark bewaffnetes Grenzpersonal.

„Im Pokal kann man Großes schaffen. Die Euphorie bei unterklassigen Mannschaften ist ganz anders“, sagt Siegert. © Sebastian Reith
Er ist noch keine 18 Jahre alt, als er 2000 einen Profivertrag beim VfL Wolfsburg unterschreibt. 12. Mai 2001: Mit einer 3:0-Führung im Rücken wechselt Wolfsburgs Trainer Wolfgang Wolf Benjamin Siegert nach 83 Minuten ein. Die sieben Bundesliga-Minuten bleiben Siegerts einzige im Oberhaus. „Es schafft nicht jeder. Ich bin stolz darauf, einmal in der Bundesliga gespielt zu haben“, sagt er. Auf den Einsatz wird er noch heute oft angesprochen. „Ich sage jedoch immer gleich, dass es nur ein Spiel war. Aber das nimmt dir keiner.“
Akpoborie trainiert nur einmal, spielt dann - und trifft auch noch
Charles Akonnor und Jonathan Akpoborie nennt Siegert, wenn man ihn auf besonders gute Mitspieler anspricht. „Akpoborie war der einzige Spieler, der nur einmal trainieren musste, dann gespielt hat - und dann auch noch getroffen hat“, scherzt Siegert.
Aber auch Typen wie Stefan Effenberg begegnet er in Wolfsburg. „Als junger Spieler kommt eines Tages Stefan Effenberg zu dir und sagt, dass du seine Tasche in die Kabine tragen sollst.“ Benjamin Siegert trägt die Tasche. Auch, als Claudia Effenberg vor dem Vereinsgelände wartet und Siegert auffordert, ihrem Mann auszurichten, dass er sich beeilen soll, spielt Siegert den Boten. Also geht er zurück in die Kabine und richtete Effenberg aus, dass seine Frau auf ihn wartet. „Er hat nur abgewunken. Daraufhin habe ich seine Frau draußen angelogen: Jaja, er beeilt sich“, erzählt Siegert und lacht.
Der große Durchbruch bleibt aus - Sieger geht in die Regionalliga
In den vier Jahren beim VfL Wolfsburg gelingt Siegert nicht der große Durchbruch zum Bundesligaspieler. „Es waren 33 Spieler im Kader. Als junger Spieler konnte ich nicht so angreifen“, sagt Siegert, dem auch Reife fehlte, wie er heute andeutet. Mit dem Profivertrag in der Tasche ist Siegert erstmal zufrieden. Den nächsten Schritt verpasst er damals. Drei Jahre nach seinem Bundesliga-Debüt wechselt er zu Eintracht Braunschweig. Mit dem Regionalligisten steigt Siegert als Stammkraft in die 2. Bundesliga auf und zwei Jahre später wieder ab. Die ersten Zweitligaminuten hat er aber auf dem Konto.

Benjamin Siegert fühlt sich fit genug für die Bezirksliga und neue Aufgaben mit dem FC Nordkirchen. © Sebastian Reith
Schnellstes Tor im deutschen Profifußball
Deshalb geht Siegert, der sich zu einem passablen Zweitligaakteur entwickelt hat, zum SV Wehen Wiesbaden, wo ihm am 5. Oktober 2007 beim Auswärtsspiel bei Greuther Fürth Historisches gelingt. Bereits nach acht Sekunden trifft Siegert - bis heute das schnellste Tor im deutschen Profifußball. Siegert erinnert sich: „Wir haben damals Anstoß bekommen und haben den Ball immer weit auf die rechte Seite geschlagen. Bevor der Schiedsrichter angepfiffen hat, bin ich schon losgelaufen und hatte schon einen Meter geklaut. Dann kam der Flugball, ich habe den Ball mit der Brust angenommen, geschossen und Sascha Kirschstein auf dem falschen Fuß erwischt.“ Tor! Bei seinem Jubel rennt Siegert zur Bank - doch Trainer und Co-Trainer waren noch im Spielertunnel. Videoaufnahmen des Tores sucht er bis heute vergebens. „Ich habe es zweimal gesehen und dann nie wieder“, sagt er.
Benjamin Siegert ist ein Pokalschreck
Beim VfL Osnabrück stößt Siegert drei Jahre später mit seiner Mannschaft bis ins Viertelfinale vor. Er trifft beim Zweitrundenerfolg gegen den Hamburger SV und auch beim Achtelfinalsieg über Borussia Dortmund. Der BVB ist bis heute ein Lieblingsgegner für Siegert. 2001 kegelt er den BVB mit Wolfsburg aus dem DFB-Pokal. 2005 dann mit Eintracht Braunschweig. 2009 wiederholt er das Kunststück mit Osnabrück. Drei DFB-Pokalpartien, in denen Siegert immer spielt. Und immer fliegt Schwarzgelb raus.

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„Im Pokal kann man Großes schaffen. Die Euphorie bei unterklassigen Mannschaften ist ganz anders“, sagt Siegert. Auch er war immer besonders motiviert in Pokalschlachten. „Wenn es eine Pokalliga gegeben hätte, wäre ich vermutlich Weltklasse“, scherzt er. Erst im Viertelfinale gegen den FC Schalke war damals Endstation für Osnabrücks Pokalhelden. „0:1. Kevin Kurányi“, weiß Siegert noch heute. Mit Osnabrück steigt Siegert im gleichen Jahr in die Zweite Liga auf.
Publikumsliebling bei Preußen Münster
Das Kapitel Osnabrück endet mit Siegerts Wechsel zu Drittligist Preußen Münster. In die Stadt verliebt sich Siegert. In die alte Heimat Berlin zieht es ihn nach einer Saison bei den Sportfreunden Lotte noch für ein kurzes Intermezzo bei Tennis Borussia. „Die Familie wohnt noch in Berlin“, sagt er. Die Wahl-Heimat ist aber Münster. „Das ist eine schöne Stadt. Berlin ist zu stressig“, sagt Siegert. Mit seiner Frau und den zwei Kindern wohnt er in Hiltrup. In Münster mutierte er zum Publikumsliebling. Die lockere Art kam an. Der vereinsinterne Sender Nullsechs.TV hat im Netz eine Interview-Zusammenfassung des Spaßvogels und Interview-Crashers hochgeladen.
Nach der Profikarriere hat Siegert dann beim SC Münster gespielt und eine Umschulung zum Automobilkaufmann begonnen. Dann kam Nordkirchen. „Ich möchte gerne noch etwas spielen und später eine Trainerlaufbahn einschlagen. Aber so lange mich Knie und Kopf tragen, möchte ich spielen. Ich fühle mich sehr fit. 38 sieht man mir zwar an, aber von der Fitness her ist es noch ganz gut“, sagte er im Sommer.
Sportler durch und durch, der auch für alle Sportarten außerhalb des Fußballs viel übrig hat. Von Hause aus Leichtathlet, mit einer Faszination für Extremsportarten, die er nie ausprobieren würde. Gebürtig aus Schwerte, hat volontiert in Werne, Selm, Münster und Dortmund.
