
© Sebastian Reith
Patrick Fritsch stand vor einer großen Karriere - mit 19 ist er Sportinvalide beim BVB
BVB-Talent
Patrick Fritsch stand vor einer großen Fußball-Karriere. Thomas Tuchel nahm das Riesentalent bereits in den Euro-League-Kader. Dann reißt das Kreuzband. Mit 19 wird Fritsch Sportinvalide.
Nun ist alles anders im Leben von Patrick Fritsch. Noch vor drei Jahren war er einer der jungen Wilden, die sich bei Borussia Dortmund aufdrängten. Der Traum von der Profikarriere, einem Spiel im ausverkauften Dortmunder Stadion - er lebte auch in dem jungen Borker Patrick Fritsch. Als der damalige Dortmunder Trainer Thomas Tuchel den erst 16-Jährigen 2015 mit auf die Europa-League-Reise zu PAOK Saloniki mitnahm, schien der Durchbruch greifbar. Zuvor hatte Fritsch in einem Testspiel mitgewirkt. „Patrick Fritsch hat das im Test gegen St. Pauli gut gemacht, hatte Zeit und ist fit - deswegen ist er dabei“, sagte Tuchel damals.
Patrick Fritsch erhält eine bittere Diagnose
Zweieinhalb Jahre später ist der Traum ausgeträumt. Patrick Fritsch sitzt kurz im Januar 2018 mit zwei lädierten Knien zur Routineuntersuchung beim Doktor, will sich eigentlich nur eine Spritze abholen. Der Arzt fertigt auch neue MRT-Bilder an. Die offenbaren eine niederschmetternde Diagnose. „Obwohl ich außer Joggen fast nichts gemacht habe, sind die Abnutzungserscheinungen so viel schlimmer geworden, dass es unverantwortlich gewesen wäre, wenn ich weitermache. Das war der Moment, in dem mir klar war, dass es jetzt vorbei ist“, erzählt Fritsch. Für ihn war das ein Riesenschock. Erst zwei Wochen vorher hatte er seinen 19. Geburtstag gefeiert. Jetzt weiß er, dass seine Menisken und ein kaputter Knorpel einer Profikarriere für immer im Wege stehen. „Es hieß: Einmal die Woche Schwimmen reicht dann auch.“

Im September 2017 riss das Kreuzband von Patrick Fritsch auch im rechten Knie. © Sebastian Reith
Wir treffen Patrick Fritsch im August 2018, fast zwei Jahre nach seinem zweiten Kreuzbandriss, in einem Café am Phoenixsee. In unweiter Nähe hatte er vor anderthalb Jahren seine erste eigene Wohnung bezogen. Er wollte raus von zu Hause, selbstständiger werden, einen eigenen Rhythmus leben. Er hatte seine Lebensweise ganz dem Fußball verschrieben. „Es hat sich viel getan in den letzten Wochen und Monaten, seitdem ich die Diagnose bekommen habe, dass ich nicht mehr spielen darf oder sollte. Es fängt das normale Leben an“, sagt Fritsch. Das normale Leben. Als Nicht-Profi ohne Fußball. Ja sogar ganz ohne Sport.
Hiobsbotschaft aus Chile
Fritschs Leidensweg begann ausgerechnet drei Wochen nach der Europa-League-Nominierung im Oktober 2015. Die Hiobsbotschaft kam damals aus Chile, wo Fritsch zur U17-Weltmeisterschaft nachnominiert worden war. Im Training zog er sich einen Kreuzbandriss im linken Knie zu.

Dezember 2015: Zwei Monate nach seiner ersten Knieoperation am linken Knie ist Patrick Fritsch noch optimistisch. Die Reha läuft gut. Fritsch ist voll im Zeitplan. Wir haben ihn im heimischen Wohnzimmer besucht. © Sebastian Reith
Fritsch kämpfte sich zurück, war pünktlich zum Saisonstart im August wieder fit. In Holzwickede im Youth-League-Spiel gegen Real Madrid im September 2016 blieb er aber wieder im Rasen hängen und verdrehte sich das andere Knie, diesmal das rechte. Der zweite Kreuzbandriss in nur elf Monaten.Erneut eine lange Pause. Doch diesmal gab es Komplikationen bei der Reha.
Komplikationen bei der zweiten Reha
„Die Reha ist eigentlich erstmal normal verlaufen, wie die erste auch“, sagt Fritsch. Nach dem ersten Kreuzbandriss hatte ihn das Berufskolleg, das er in Lüdinghausen besuchte, noch beurlaubt. Ein zweites Mal war das nicht möglich. Fritsch brach die Schule nach der zweiten schweren Verletzung deshalb ab. Er wollte sich ganz auf die Reha konzentrieren, verbrachte Zwölf-Stunden-Tage am Trainingsgelände in Brackel. Er arbeitete mit Physiotherapeuten, ließ sich behandeln, baute Muskulatur wieder auf. Doch irgendetwas stimmte nicht. Als ich in die spezifische Belastung gehen wollte, habe ich gemerkt, dass mir beide Knie Schmerzen bereiten“, sagt er.
Die nächste Operation folgt bald - Fritsch versuchte alles
Damit begann der Leidensweg eigentlich erst richtig. „Wir haben es über Monate versucht, mit weniger Belastung und mit verschiedenen medizinischen Techniken“, sagt Fritsch. Im Mai 2017 ließ sich Fritsch ein weiteres Mal operieren. Bei einer Arthroskopie im rechten Knie wurde ein Stück vom Meniskus entfernt. Aber Linderung verschaffte der Eingriff auch nicht.
„Ich bin nie wieder in die volle Belastung gekommen. Joggen war das Maximum, was aber auch nicht ging. Es waren krasse Schmerzen für mich, die ich aber ignorieren wollte, weil ich dachte, dass ich irgendwann wieder spielen kann“, sagt Fritsch. Auf dem linken Arm ist er inzwischen tätowiert. „Remember why you started“ – „Denk daran, warum du begonnen hast.“ Fritsch begann, um eines Tages zu spielen.

Patrick Fritsch ist am Unterarm tätowiert: „Remember why you started“ © Sebastian Reith
Doch seine Probleme wurden immer schlimmer. Nach dem rechten Knie reagierte auch das linke und schwoll an. „Ich hatte immer mehr Schmerzen. Nichts hat geholfen“, sagt Fritsch, der nichts unversucht ließ. Man dachte sogar, dass die Wurzel der Schmerzen gar nicht im Knie, sondern durch eine Fehlstellung im Kiefer zu finden seien, was sich nach einer Kieferumstellung als falsch herausstellte. Und Fritsch stellte die Ernährung noch einmal um: Fritsch aß nach Farben. Montags kam alles in den Mixer, was grün war. Mittwochs gab es rotes Gemüse. „Während der Reha-Phase wollte ich alles machen, damit ich sagen kann, dass ich auch wirklich alles versucht habe“, sagt Fritsch. Wenn Besserung in Sicht war, gab es immer wieder Rückschläge. Der Schmerzgrad kehrte immer auf das gleiche zu hohe Niveau zurück.

Patrick Fritsch machte im Februar 2017 erste Gehversuche auf dem Trainingsgelände von Borussia Dortmund. © Florian Groeger
Auch im Alltag fiel ihm vieles immer schwerer. Im Stadion war er so gut wie gar nicht in der Zeit, auch nicht auf der Tribüne. „45 Minuten sitzen mit angewinkelten Beinen - das wird schwierig“, sagt Fritsch und erklärt, dass heute eine Runde Spazierengehen um den Phönixsee praktisch nicht mehr möglich ist. Zu Hause wartete nach dem Training seine Freundin schon mit einem Kühlgerät auf ihn.
Patrick Fritsch zieht die Reißleine
„Bis dann irgendwann der Punkt kam, als alle gesagt haben, dass man die Reißleine ziehen muss. Es hat einfach keinen Sinn mehr gemacht.“ Acht Monate lagen zwischen der Meniskus-Operation im Mai 2017 und dem Karriereende. Die Wochen vor und nach dem Arztbesuch bezeichnete er als „Horror“. Die letzten vier Monate bis zur Diagnose seien die schlimmsten Wochen und Monate seines Lebens gewesen.

Gegen Real Madrid stand Patrick Fritsch in der Youth-League in der Startelf des BVB. Aber schon nach der Anfangsphase passierte die schlimme Verletzung. © Sebastian Reith
Das Schwierigste sei nicht gewesen, sich das Karriereende einzugestehen. „Mir wurde die Entscheidung eigentlich abgenommen. Ich hätte wahrscheinlich immer weitergemacht, mit Schmerzen trainiert und alles versucht. Die Ärzte haben gesagt, dass ich es vergessen kann. Und ich habe gemerkt, dass die Ärzte Recht haben“, sagt Fritsch. Nach zwei Jahren Verletzungszeit und der einstimmigen Ärztemeinung war der Profitraum aus und vorbei, bevor er richtig in Fahrt gekommen war.
Für Fritsch war es fast eine Erlösung: „Ich war so müde, auch vom Kopf her, dass ich froh war, dass jemand gesagt hat: Hör auf!“ Trotzdem war es eine harte Einsicht: „Es hieß ja nicht, dass ich kein Fußball mehr spielen kann, sondern dass ich kein Sport mehr machen kann. Ohne Fußball wäre es schon unvorstellbar. Ohne Sport ist es unfassbar.“ Fritsch hat an beiden Knien massive Probleme.
Steile Karriere als Jugendspieler
Seine Karriere als Jugendspieler war eigentlich bis dahin mustergültig verlaufen. Sechs Jahre kickte er in Bork, ehe er zu Union Lüdinghausen wechselte. Gescoutet, entdeckt, verpflichtet: Über Schalke kam Fritsch schnell zum BVB. Er gehörte zusammen mit Dženis Burnić, Jacob Bruun Larsen, Felix Passlack und Christian Pulisic zum goldenen Jahrgang 1998, der reihenweise Titel gewann. Erst zwei Deutsche B-Junioren-Meisterschaften, dann zwei Mal Deutscher A-Junioren-Meister. Fritsch durchlief die Junioren-Nationalmannschaften und wurde immer besser. Die Belohnung war der erste Vertrag. Doch im Gegensatz zu den Weggefährten ist dieser Ende Juni 2018 ohne Anschlusskontrakt ausgelaufen.

Patrick Fritsch am Dortmunder Flughafen: Im Alter von 16 reiste er mit dem BVB-Tross zum internationalen Spiel nach Griechenland. © Florian Groeger
Die Situation war ungewiss. „Als es in Richtung Vertragsende ging, war es für den Kopf nicht einfach. Du hast schon eine gewisse Drucksituation und ein bisschen Panik, weil du nicht weißt, wie es weitergeht“, sagt Fritsch. Während andere Profifußballer die Karriere nach der Karriere vorplanen können, musste es bei Fritsch ungewollt viel schneller gehen.
Karriereende wirbelt Lebensplanung durcheinander
Doch Fritsch wirkt nicht wie ein gebrochener Mann. „Ich war noch nie so, dass ich einer Sache lange hinterhergetrauert habe. Lars Ricken sagte damals zu mir, dass er sich noch an das Gespräch nach dem zweiten Kreuzbandriss erinnern konnte. Ich hatte gesagt, dass ich die Reha jetzt einfach nochmal mache. Das war einen Tag nach der Verletzung. Das war immer meine Stärke. Ich wusste immer, wie der nächste Schritt auszusehen hat. Es gab immer ein klares Ziel“, so Fritsch.
Das Aus der Sportkarriere, das seine ganze Lebensplanung durcheinanderbrachte, kann er nicht rückgängig machen. Finanziell ist er erstmal abgesichert. Der Grund ist, dass Fritsch als Profi über die Maßnahmen der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) verhältnismäßig weich fällt. Zudem hatte er vorgesorgt und vor der ersten Verletzung eine private Zusatzversicherung abgeschlossen. Fritsch: „Das war mein Glück.“
Sportinvaliden erhalten bis zu 77.000 Euro Verletztengeld
Wie viel Geld erhält ein Sportinvalide? Immer wenn ein Profi sich verletzt, wird er ein Fall für die VBG, die gesetzliche Unfallversicherung für Sportler in Deutschland, der sich kein angestellter Profisportler entziehen kann. Die BG deckt einen breiten Leistungskatalog ab, bezahlt etwa die Behandlungskosten bei einer Verletzung, kommt für die Reha auf und zahlt nach sechs Wochen auch Verletztengeld. Denn wie bei den meisten Arbeitgebern endet die Lohnfortzahlung auch im Profifußball normalerweise nach sechs Wochen.
Ein Sportler erhält so ein Verletztengeld von netto 80 Prozent seines alten Einkommens weiter, maximal jedoch 77.000 Euro jährlich. „Trotz aller Reha-Bemühungen kann die Arbeitsfähigkeit nach einem Unfall eingeschränkt sein“, sagt Ulrich Pfeifer, Reha-Leiter der Bezirksverwaltung Duisburg der VBG. Dann kommt die gesetzliche Unfallversicherung auch für Umschulungsmaßnahmen auf. „Die Maßnahmen sollen nachhaltig sein und möglich machen, dass der Sportler beziehungsweise die Sportlerin möglichst auf Dauer in den Arbeitsmarkt integriert wird. Berücksichtigt wird dabei immer die Eignung, Neigung und die Fähigkeiten der verletzten Person“, sagt Pfeifer.
Ist Patrick Fritsch ein Einzelfall?
Zudem haben Sportler, die durch eine Verletzung quasi berufsunfähig geworden sind, Anspruch auf eine Verletztenrente der BG, wenn ein Gutachter eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 Prozent durch eine bleibende Funktionseinschränkung feststellt. Ein Sportler mit 50.000 Euro Nettojahresverdienst vor seinem Unfall hat dann Anspruch auf 6666 Euro bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 Prozent. Der kann auch noch Jahre nach der Karriere geltend gemacht werden.
Wie viele Sportler jährlich Sportinvalide werden und ob Patrick Fritsch als junger Fußballer mit 19 Jahren ein Einzelfall ist, konnte die BG trotz Anfrage nicht mitteilen, da die Versicherung kein Versichertenverzeichnis führt.
Spielergewerkschaft fordert bessere Risikoabsicherung
„Aufgrund der Deckelung dieser Leistungen und zur Absicherung weiterer Risiken empfehlen wir grundsätzlich den Abschluss einer weiteren Versicherung - insbesondere einer Sportinvaliditätsversicherung“, sagt Ulf Baranowsky von der Spielergewerkschaft VDV (Vereinigung der Vertragsfußballer). Die VDV fordert daher weitere Absicherungsinstrumente wie Karrierefonds und setzt sich wie die BG auch für eine bessere sportmedizinische Präventionsarbeit ein. „Die Risikoabsicherung wäre aufgrund der guten wirtschaftlichen Lage für viele Vereine finanziell realisierbar“, sagt Baranowsky, der vor sogenannten Prozessfinanzierern warnt. Windige Agenturen helfen zwar bei Klagen gegen die BG, müssten dann aber nicht in kleinem Maße an den ausgezahlten Renten beteiligt werden – womöglich ein Leben lang.
Norbert Dickel und Hannes Wolf waren einst auch betroffen
Prominente Beispiele für Sportinvaliden gibt es reihenweise: Nationalspieler Sebastian Deisler, BVB-Stadionsprecher Norbert Dickel oder auch Hannes Wolf, der vier Jahre Fritschs Trainer in der Jugend war und vergangene Saison den VfB Stuttgart betreute.
Patrick Fritsch hat mittlerweile aber wieder eine echte Perspektive. Er absolviert eine dreijährige Ausbildung beim BVB, der den 19-Jährigen nicht im Stich gelassen hat. „Der BVB hat sich sehr viel Mühe gegeben und ein Konzept ausgearbeitet“, sagt Fritsch. In der Marketing-Abteilung des Vereins soll er im Bereich Internationales Marketing mitarbeiten - für den Ex-Profi eine enorme Erleichterung.
„Ich habe wieder einen festen Plan und weiß, wie es weitergeht. Das ist das Beste, was passieren konnte. Es ist nicht alltäglich, dass das gemacht wird“, sagt er. Für Patrick Fritsch ist das die Chance auf die Wiedereingliederung ins Berufsleben. Bei der Deutschen Angestellten-Akademie bildet Fritsch sich derzeit weiter, sattelt Wissen auf den vorhandenen Realschulabschluss, um dann bald in der BVB-Marketingabteilung zu arbeiten. Bei guten Noten in der Berufsschule hofft Fritsch auf ein duales Studium.
Patrick Fritsch schöpft neuen Mut für das Leben
Heute wohnt er in Aplerbeck und betreibt inzwischen Kraftsport, der Oberkörper hat sichtbar an Masse gewonnen. Seit Januar hat er 20 Kilogramm zugenommen. „Ich habe nicht mehr das Ziel, möglichst wenig Körperfett zu haben und möglichst spritzig zu sein. Das ist nicht unkontrolliert passiert.“ Fritsch hat einen Motorradführerschein gemacht und sich eine Harley Davidson gekauft. Hier kann er die Beine anwinkeln und muss sie nicht dauerhaft strecken oder sehr gebeugt halten. Und er mag das entspannte Fahren. Motorradfahren war als Profi nicht möglich. Jetzt ist es möglich, in seinem neuen Leben ohne Leistungssport.

Patrick Fritsch hat sich mittlerweile eine Harley-Davidson gekauft. © Patrick Fritsch
Sportler durch und durch, der auch für alle Sportarten außerhalb des Fußballs viel übrig hat. Von Hause aus Leichtathlet, mit einer Faszination für Extremsportarten, die er nie ausprobieren würde. Gebürtig aus Schwerte, hat volontiert in Werne, Selm, Münster und Dortmund.
