Der erste deutsche NFL-Star kam aus Selm Die Geschichte von Horst Mühlmann

Der erste deutsche NFL-Star kam aus Selm: Die Geschichte von Horst Mühlmann
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Die Geschichte von Horst Mühlmann ist die eines der größten Sportler aller Zeiten der Städte Selm und Lünen und hatte auch Bezüge zu Dortmund. Der Fußballer und spätere American-Football-Spieler legte eine beeindruckende Karriere hin. Er hütete auf Schalke das Tor in den 1960er-Jahren und entwickelte sich mit seinem Wechsel zum American Football zu einem Sporthelden der 1970er-Jahre in den USA. Und gleichzeitig war er ein Pionier: Er ist der erste Deutsche in der 1970 gegründeten NFL gewesen.

Horst Mühlmann jubelt über ein Field Goal.
Horst Mühlmann jubelt über ein Field Goal. © Mühlmann

Das Finale um die nordamerikanische Meisterschaft im American Football ist Jahr für Jahr ein Event der Superlative. Der Super Bowl 2019 in Atlanta ist ein Milliardengeschäft für die Sport- und Vermarktungsindustrie. Es gibt Statistiken, wie viele Hähnchenflügel (1,3 Milliarden), wie viele Chips (14.000 Tonnen) oder wie viel Bier (120 Millionen Liter) die Amerikaner an dem Tag konsumieren. Die Pizza-Lieferdienste sollen ein Drittel des Jahresumsatzes am Finaltag machen. Und eine Sekunde Werbung kostet 136.000 US-Dollar. Jeder Amerikaner gibt im Durchschnitt 60 Dollar rund um das Finale aus. Okay, dieses Finale ist irgendwie wichtig.

Viele Erinnerungen an Horst Mühlmann

Im Wohnzimmer von Oliver Mühlmann in Selm sieht man, dass American Football auch hier wichtig ist. An der Wand hängen Erinnerungen an seinen Vater Horst, der neun Jahre lang in den USA als Profi spielte. Auf dem Tisch liegt der orangefarbene Helm, der Horst Mühlmanns Kopf bei den Cincinnati Bengals vor Tacklings schützte.

Daneben liegen vier Fotoalben, voll mit Bildern und Zeitungsausschnitten über sein Sportlerleben und der originale Spielball, den Horst Mühlmann nach einem Spiel mit den Philadelphia Eagles 1975 erhalten hatte – Erinnerungen an einen Sportler und Familienvater, der 1991 bereits im Alter von 51 Jahren verstarb.

Horst Mühlmann hat dieses Haus 1974 gebaut. Es war der Rückzugsort in Deutschland, wenn die vierköpfige Familie mit Ehefrau Johanna und den Kindern Oliver (heute 49) und Claudia (heute 54) ein halbes Jahr in Selm lebte, bevor sie dann wieder für die American-Football-Saison ein halbes Jahr in die Vereinigten Staaten übersiedelte. Keine Familiengeschichte in der Region ist so eng verzahnt mit American Football wie die der Mühlmanns.

Gerahmtes Trikot von Mühlmann.
Das Trikot hat Oliver Mühlmann gerahmt. © Sebastian Reith

Wurzeln liegen in Brambauer

Alles begann in Brambauer. Hier kam Horst Mühlmann, geboren am 2. Januar 1940, ursprünglich her. Der Vater war Architekt, der Großvater war ebenfalls Bauunternehmer. Horst Mühlmanns Bildung war damals vergleichsweise gut. Er besuchte das Helmholtz-Gymnasium in Dortmund. Damals machten nur sechs Prozent der Bevölkerung Abitur.

Horst Mühlmann sollte in die Fußstapfen seines Vaters treten und studierte anschließend in Essen Architektur, sein Weg schien vorgegeben: „Ich wollte Architekt werden, aber ich liebte Fußballspielen sehr. Ich hatte nur nicht genug Zeit, um jeden Tag von Zuhause nach Essen zur Uni zu pendeln und nebenbei Fußball zu spielen. Also habe ich die Uni beendet und mich für eine Fußballkarriere entschieden“, zitiert eine amerikanische Zeitung Mühlmann Mitte der 1970er-Jahre.

Horst Mühlmann wehrt einen Ball ab.
Faustabwehr! Torwart-Handschuhe gab es damals übrigens noch nicht. © Mühlmann

Fußball spielte Horst Mühlmann in der Jugend zunächst dort, wo jeder Junge im Nachkriegsdeutschland spielte: auf Bolzplätzen und auf der Straße. Dann trat er seinem Stammverein, dem BV Brambauer, bei und wurde Torwart. „In der A-Jugend ist er dann zu Borussia Dortmund gegangen“, erzählt Sohn Oliver Mühlmann.

Mit dem Rennrad ging es bei Wind und Wetter von Brambauer am Nachmittag fast jeden Tag ins Stadion Rote Erde zum Training. Nach der Jugendzeit wechselte er im Jahr 1959 zurück zum BV Brambauer, stieg 1960 in die höchste deutsche Amateurklasse auf und wurde ein Jahr später gleich Meister. „Da war damals immer schon was los“, berichtet seine Frau Johanna Mühlmann.

Doppeltorschütze mit gebrochenem Finger

Fast schon legendär: Ihr Ehemann brach sich bei einer Rettungstat einen Finger gegen Resse. Auswechseln durfte man damals noch nicht. Anstatt das Spielfeld zu verlassen, ließ Mühlmann den Finger schienen, ging vom Tor in den Sturm und war mit zwei Toren beim Sieg auch noch der gefeierte Held.

Herausragend war der 1,85 Meter große Spieler jedoch weiterhin im Tor. „Und weil er so ein guter Torwart war, hat er Angebote bekommen“, erzählt Johanna Mühlmann. 13 Angebote sollen es einem Zeitungsbericht zufolge gewesen sein. Standard Lüttich wollte ihn. Ajax Amsterdam wollte ihn auch. Und diverse andere große Namen aus dem Ruhrgebiet sowieso.

Am Ende entschied er sich 1961 für den FC Schalke 04. Zurück zur Borussia ging es für ihn nicht. Hier hütete ab 1963 Nationaltorwart Hans Tilkowski das Tor. „Er hatte mal gesagt, dass er keine Chance hat, an dem vorbeizukommen“, sagt Oliver Mühlmann.

Mannschaftsfoto des FC Schalke 04 von 1963.
Das Mannschaftsfoto 1963/1964 des FC Schalke mit Horst Mühlmann (dunkles Trikot, l.) © FC Schalke 04

Johanna Mühlmann war 1963 beim allerersten Spiel des FC Schalke in der im gleichen Jahr gegründeten Bundesliga schon im Stadion, der damaligen Glückauf-Kampfbahn, dabei. Horst Mühlmann war damals 23 Jahre alt. 2:0 gegen den VfB Stuttgart. Perfekter Start in die Bundesliga-Historie – Achter wurde er mit Schalke in der Abschlusstabelle. In den folgenden zwei Jahren spielte Schalke mit Mühlmann gegen den Abstieg.

Stehen musste seine Frau Johanna Mühlmann unter den Fans nie. „Wir haben immer VIP-Tickets bekommen, wie sich das heute nennt. Damals hieß es Ehrenkarte“, erzählt sie. Berühmt wurde auch das Freundschaftsspiel der Schalker gegen den FC Santos mit Pelé in Essen (1:2). Das Foto, wie Pelé auf Mühlmann zuläuft, steht noch heute gerahmt im Haus der Mühlmanns.

Horst Mühlmann (u.l.) und sein Torwart-Kollege Josef Broden beim FC Schalke.
Horst Mühlmann (u.l.) und sein Torwart-Kollege Josef Broden beim FC Schalke. © Mühlmann

Dauerhafte Zuschauerrolle drohte

Doch die Konkurrenz auf seiner Position war groß: 1966 kam Norbert Nigbur mit gerade einmal 18 Jahren zum FC Schalke. „Und Jupp Elting spielte“, erinnert sich Johanna Mühlmann. Ihr Mann musste auf die Bank. „Er war keiner, der an zweiter Stelle sein wollte. Er wollte der erste Torhüter sein“, sagt Johanna Mühlmann. Auf nur noch sieben Ligaspiele kam Mühlmann in seinem fünften Jahr bei Schalke. Daher verließ er den FC Schalke nach 42 Bundesliga-Spielen in Richtung Bonn.

Der noch junge Verein Bonner SC war gerade in die Regionalliga West aufgestiegen, die damals die zweithöchste Spielklasse war, und hatte auf dem Transfermarkt neben Mühlmann noch drei weitere Spieler des FC Schalke verpflichtet. Den Abstieg konnte auch Mühlmann nicht verhindern. In die dritte Liga ging er nicht mit.

Über einen Spielervermittler knüpfte er Kontakt in die USA, wo 1967 zwei Ligen entstanden: die National Professional Soccer League, zu der auch Mühlmanns künftiger Klub, die Kansas City Spurs, gehörten, und die Liga der United Soccer Association. Ein Jahr später schlossen sich beide Ligen zur North American Soccer League zusammen, die bis 1984 existierte.

Mannschaftsfoto des FC Schalke, Jahr unbekannt.
Mannschaftsfoto des FC Schalke, Jahr unbekannt. Horst Mühlmann (2.v.l.) ist am Torwarttrikot gut zu erkennen. © Mühlmann

Neue Fußball-Ära sollte entstehen

Ein ehemaliger Mitspieler erinnert sich: „Alle wussten, dass er einen sagenhaften Abschlag hatte. Der hatte unglaublich viel Bumms gehabt. Wenn der Wind im Bremer Weserstadion ihm entgegenblies, brachte er ihn mit voller Wucht immer noch weit in die gegnerische Hälfte“, berichtet Stürmer Waldemar Gerhardt, der vier Jahre zusammen mit Mühlmann bei Schalke aktiv war.

„Wir haben ihm viel Glück gewünscht, als er rüber ging“, sagt Gerhardt. Das Interesse der Amerikaner am europäischen Sport Fußball war jedoch gering: „Es kamen nur ganz wenige Zuschauer, weil Soccer da noch gar nicht bekannt war. Da war immer Football Nummer eins. Soccer war in den Anfängen“, sagt Johanna Mühlmann.

Plötzlich mit leeren Händen da

Lange hielt sich Kansas City im Fußball dann auch nicht. „Der Verein ging sofort pleite“, sagt Johanna Mühlmann. Da stand Horst Mühlmann nun, ausgestattet mit einem wertlosen Drei-Jahres-Vertrag, in einem fremden Land. Und gesperrt war er auch noch durch die Fifa, weil sein amerikanischer Verein die Ablöse an den Bonner SC nicht bezahlt hatte. Die Koffer waren schon gepackt. Die Mühlmanns wollten zurück nach Deutschland reisen.

Aber in Kansas City, der größten Stadt im US-Bundesstaates Missouri, war der American-Football-Klub Kansas City Chiefs auf Mühlmann aufmerksam geworden. „Die haben gesehen, dass er sehr weit schießen kann, und haben ihn ins Trainingscamp eingeladen. Er hat dann immer die Fieldgoals gekickt und einen Vertrag bekommen“, erzählt Johanna Mühlmann.

Genauer gesagt war es Hank Stram, damaliger Cheftrainer der Chiefs, der Horst Mühlmann entdeckte. Er hatte gute Erfahrungen mit europäischen Fußballern auf der Position des Kickers gemacht – und verpflichtete Mühlmann wegen seiner Schusstechnik sofort. Während Amerikaner meist mit der Fußspitze schossen, hatte Mühlmann gelernt, den Ball wesentlich zielsicherer mit dem Spann zu schießen.

Wusste nichts über American Football

Horst Mühlmann sagte Jahre später in einem Zeitungsinterview einmal: „Ich habe nichts über Football gewusst. Jemand sagte mir: Wenn du einen Fußball so hoch schießen kannst, solltest du Football versuchen. Ich ging raus und traf bei vier aus fünf Versuchen. Aber ich hatte nicht gewusst, dass der Ball über die Stange fliegen muss…“ Er hatte ihn zwar zwischen die beiden Stangen befördert, aber unter den Querbalken, wie beim Fußball.

Seine Aufgabe war ab sofort, nicht mehr Bälle im Tor zu fangen, sondern sie in Kurzeinsätzen möglichst sicher zwischen zwei Torstangen hindurch zu schießen über den Querbalken. Das Fieldgoal ist ein Schuss aus dem Spiel heraus, das drei Punkte gibt.

Die Chance auf einen Extrapunkt hat ein Team nach einem Lauf bis in die Endzone. In Kansas City war der Norweger Jan Stenerud auf der Position des Kickers jedoch gesetzt – kein Vorbeikommen für Mühlmann. Als die Cincinnati Bengals aus Ohio einen Kicker suchten, wechselte Mühlmann 1969.

Familie richtete sich in Amerika ein

Die Familie lebte in den Jahren in den USA in einer möblierten Wohnung in der Stadt. Und Horst Mühlmann verdiente gut: In der viereinhalb Monate langen Saison soll Mühlmann hohe fünfstellige D-Mark-Summen verdient haben, berichtete die WAZ im Jahre 1969.

Das war verdammt viel Geld und das Dreifache gegenüber seinem Gehalt als Fußballer. Prämien für das Erreichen der Playoffs gab es damals noch oben drauf. Tochter Claudia ging in Cincinnati zur Schule und brachte von Mitschülern manchmal Autogrammwünsche mit nach Hause. Sohn Oliver besuchte vor der Einschulung den Kindergarten.

Nach Saisonende, das damals immer im Dezember war, kam die Familie nach Deutschland zurück. Übergangsweise spielte Mühlmann dann sogar wieder Fußball in Brambauer. „Wenn ich keinen Sport mache, fühle ich mich schlecht“, sagte Horst Mühlmann mal in einem Interview.

Anpassungsprobleme habe es nie gegeben, weder in Deutschland noch in den USA. Für die Kinder bedeutete das Leben aber auch das regelmäßige Pendeln zwischen zwei Schulsystemen, wenn die Familie im Sommer wieder nach Amerika flog.

Horst Mühlmann beim Kick.
Kicken - das war Horst Mühlmanns Aufgabe auf seiner Position. © Mühlmann

Doch es lohnte sich, nicht nur finanziell. Horst Mühlmann erlebte seinen eigenen American Dream. In Cincinnati, das durch Einwanderer stark deutsch geprägt ist, fasste die Familie Fuß und führte ein privilegiertes Leben. Aber nicht nur in der Sportwelt war er anerkannt. Ein Foto zeigt ihn im Gespräch mit Astronaut Neil Armstrong, der in Cincinnati lebte. Horst Mühlmann war ebenso beliebt bei den Fans und wurde entsprechend gefeiert. Er sei der beste Import aus Deutschland seit Bier, Bratwurst und Elke Sommer, hieß es.

Fanpost zu Weihnachten
Fanpost zu Weihnachten erhielt Horst Mühlmann auch. Er war beliebt bei den Fans. © Mühlmann

„Horst ist anders als andere ausländische Kicker“, sagte sein Freund und Mannschaftskollege Bill Bergey einmal. Er sei ein echter Athlet, der im Gegensatz zu vielen anderen Spielern seiner Position keine Angst vor einem Tackling hat. Seine Anekdote geht so: „Ich erinnere mich, dass wir gegen Buffalo gespielt haben und O.J. Simpson durchbrach. Die einzige Person zwischen ihm und der Endzone war Horst. Offenes Feld, Mann gegen Mann. Jeder dachte, dass Horst keine Chance haben würde, aber er beförderte O.J. ins Aus, wie es ein Kerl tun würde, der sein ganzes Leben Football gespielt hat“, erzählte Bergey vor Journalisten.

Die Familie war angekommen in Amerika. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass das „ü“ in „Mühlmann“ verloren ging. Die Amerikaner machten aus dem „ü“ in seinem Namen ein „u“, weil sie den Buchstaben mit den zwei Punkten einfach nicht kannten. Und wie soll man das bloß aussprechen? Auf dem Trikot stand fortan immer „Muhlmann“.

Johanna Mühlmann schwärmt aber noch heute von den ansonsten professionellen und fortschrittlichen Bedingungen für ihren Mann. „Es gab damals schon mehrere Coaches, was man in Deutschland gar nicht kannte. Für alles Mögliche waren Leute da. Und es gab sehr viel Equipment. Es war schon immer ein Riesenspektakel“, sagt Johanna Mühlmann. Bei Schalke musste sie noch das Trikot waschen. Das Leben als Football-Star war angenehm.

Autogrammkarte von Horst Mühlmann bei den Cincinnati Bengals.
Autogrammkarte von Horst Mühlmann bei den Cincinnati Bengals, für die er von 1969 bis 1974 spielte. © Mühlmann

Etabliert sich in Cincinnati

In seinem zweiten Jahr bei den Bengals gründete sich die National Football League (NFL), wie man sie heute kennt mit zwei Conferences. Mühlmann war also in der Premieren-Saison 1970 der bis heute bedeutendsten Football-Liga der Welt von Anfang an dabei – wie schon zuvor in der Bundesliga bei Schalke. Der erste Deutsche im American Football war er nicht.

Aber europäische Fußballspieler einzusetzen, hatte in der Zeit Hochkonjunktur. „Der Kicker ist ein wichtiger Mann“, sagt Tochter Claudia Zolda. Horst Mühlmann war der erste Spieler, der in drei aufeinanderfolgenden NFL-Spielen ein Fieldgoal aus über 50 Yards (etwa 45 Meter) erzielte. „In einem Spiel hat er fünf Fieldgoals gemacht und die Mannschaft hat dadurch das Spiel gewonnen“, sagt Johanna Mühlmann. Und Sohn Oliver fügt hinzu: „Er musste sehr nervenstark sein.“

Berühmt in der Familie ist die Geschichte, als Horst Mühlmann drei Sekunden vor Ablauf der Zeit ein Fieldgoal zum Sieg verwandelte. Horst Mühlmann selbst sagte einmal: „Kicken ist die Art von Aufgabe, mit der du Spiele gewinnst oder verlieren kannst.“ Ob er den Fußball nicht vermisse, wurde er einmal gefragt. „Ja, das tue ich. Ich bin damit groß geworden. Aber ich spiele immer noch mit dem Ball, und das ist die Hauptsache. Wo ist der Unterschied? Du trittst den Lederball und er fliegt. Und du hoffst, dass er da landet, wo du willst“, antwortete er. Zweimal nahm Mühlmann mit den Bengals an den Playoffs teil.

American Football war bei den Amerikanern schon damals die zuschauerträchtigste Sportart. Es gab hochmoderne Arenen, einige mit Volldach, nicht selten mit einem Fassungsvermögen von 60.000 bis 70.000 Zuschauer. Und die kamen auch. Zum Vergleich: Borussia Dortmund spielte damals noch im Stadion Rote Erde mit 25.000 Plätzen. Das Westfalenstadion war gerade erst in Planung.

Mannschaftsfoto der Cincinnati Bengals.
Bei den Cincinnati Bengals gelang Horst Mühlmann der Durchbruch. Das Mannschaftsbild aus dem Jahre 1973 zeigt Mühlmann mit seiner Stammnummer 16. © Mühlmann

„Es war immer ein tolles Erlebnis: Cheerleader, Halbzeitshows. In Cincinnati war das Maskottchen der Königstiger. Der wurde dann in einem Käfig auf Rädern durch das Stadion gezogen“, erinnert sich Johanna Mühlmann. „Ich erinnere mich noch an die so gut wie immer ausverkauften Heimspiele“, sagte Oliver Mühlmann, „wir sind auch ab und zu mit zum Training gefahren. Es war alles riesengroß. So ein großer Kader muss in den Spielertunnel auch erstmal reinpassen.“ Für die Kinder war die große American-Football-Welt damals Alltag.

Im Mai 1975, die Familie war mittlerweile von Gelsenkirchen nach Selm gezogen, klingelte bei den Mühlmanns das Telefon. Am Apparat war Bergey, der ein Jahr vorher zu den Philadelphia Eagles gewechselt war. Ob er sich vorstellen könnte, auch für Philadelphia zu spielen, fragte Bergey. „Sicher, warum nicht?“, antwortete Horst Mühlmann, sprach mit Coach Mike McCormack, telefonierte noch mit Manager Jim Murray und drei Wochen später war der Deal besiegelt. Mühlmann bekam wieder die Nummer 16.

Foto von Horst Mühlmann in einer Football-Arena.
Die Arenen waren weiter entwickelt als die deutschen Fußballstadien. © Mühlmann

Verletzung, Schwankungen und Zoff

Vorausgegangen war ein Streit mit den Bengals. 1974 hatte er sich im Training am Muskel verletzt und fiel lange aus. Die Leistungen schwankten, und es gab Meinungsverschiedenheiten mit Trainer Paul Brown. Zudem war er mit 34 nicht mehr der Jüngste. Das alles ließ die Klubführung zweifeln, ob Mühlmann noch der optimale Kicker des Teams sei.

Horst Mühlmann (M.) mit seinem Kumpel Bill Bergey (r.). Links: Mike Boryla.
Horst Mühlmann (M.) mit seinem Kumpel Bill Bergey (r.). Links: Mike Boryla. Das Trio spielte schon bei den Bengals zusammen und war auch in Philadelphia wieder vereint. © Mühlmann

Mühlmann war über die Begleiterscheinungen rund um seinen Wechsel nicht gerade glücklich, was er damals dem „Philadelphia Enquirer“ im Interview erzählte. Über die Presse ließen die Bengals später verlauten, dass für Horst Mühlmann sowieso kein Platz im Kader mehr gewesen wäre. Mühlmann fand das Schauspiel unwürdig, schließlich trug er sechs Jahre das Bengals-Trikot und war mit 549 Punkten bester Scorer der Vereinsgeschichte.

120 von 184 Fieldgoals hatte er in der Zeit verwandelt und 189 von möglichen 194 Extrapunkten erzielt. Dann ließ man ihn fallen. Statt eines ordentlichen Abschieds erhielt er nur einen Brief. „Sie hätten anrufen können. Sie hatten meine Nummer“, sagte Mühlmann dem Blatt aus Philadelphia.

An der Ostküste war man aber froh, einen wie Mühlmann gefunden zu haben. Schultern wie ein Bulle, Beine wie Baumstämme – so kündigte ihn eine andere Zeitung damals an. Sportlich lief es gut.

Bericht des „Philadelphia Inquirer" über Mühlmanns Wechsel.
Der „Philadelphia Inquirer“ berichtete damals groß über Horst Mühlmanns Wechsel. © Mühlmann

Karriereende mit 37 Jahren

In den drei Jahren in Philadelphia fühlte sich Johanna Mühlmann sehr wohl. Die Nähe zum Meer liebte sie, wenn die Familie am trainingsfreien Montag an den Atlantikstrand fuhr. Noch drei Jahre spielte Horst Mühlmann American Football in Philadelphia. 1977 beendete er dann mit 37 Jahren seine Karriere.

Dass die Familie nach Deutschland zurückkehrt, war immer klar. Zurück in Deutschland, machte er seine A-Lizenz in der Sportschule Hennef, trainierte auch mal Mannschaften bei GW Selm und beim FC Brambauer. Parallel arbeitete Horst Mühlmann in einer Baufirma.

Bedarf an seinem Football-Wissen gab es in Deutschland nicht. „Football war hier nicht bekannt“, sagt Johanna Mühlmann. Als die Ruhr Nachrichten 1974 über den Selmer Neubürger berichteten, mussten sie deshalb noch Aufklärungsarbeit leisten, was American Football überhaupt ist: „American Football unterscheidet sich grundlegend vom deutschen Fußball. Gespielt wird mit einem eiförmigen Lederhohlball, mit einem Gewicht um 400 Gramm.“

Bericht der Ruhr Nachrichten über Horst Mühlmann von 1974.
So berichteten die Ruhr Nachrichten 1974 über Horst Mühlmanns Leben. © Mühlmann

Horst Mühlmann litt an MS

Horst Mühlmann starb am 14. November 1991 in Selm. Er litt vermutlich an einer Form von Multipler Sklerose und hatte schon 1977 im letzten Karrierejahr über nachlassende Kraft im Schwungbein berichtet. Für Horst Mühlmann zerschlug sich damit auch die Perspektive, als Trainer zu arbeiten. Dass er ausgerechnet als Leistungssportler erkrankte, für den Bewegung immer ein Teil des Lebens war, sei für ihn frustrierend gewesen, erinnert sich Sohn Oliver Mühlmann. Horst Mühlmann wurde nur 51 Jahre alt.

American Football ist in der Familie immer ein großes Thema geblieben, auch wenn die persönlichen Kontakte in die Staaten 42 Jahre nach dem Abschied von der American-Football-Bühne abgerissen sind. Ehefrau Johanna, die zwei Kinder und drei Enkel verfolgen die nordamerikanische Liga, so gut es geht. Enkelin Katharina Zolda spielte beim PSV Bork Fußball im Mittelfeld und hat die Schussgewalt geerbt. Die Philadelphia Eagles, Mühlmanns letzte Station im American Football, gewannen 2018 erstmals in der Vereinsgeschichte den Super Bowl. Horst Mühlmann hätte das gefreut.