
© Holger Bergmann
„Sehe Probleme, vor allem die Mädchen wieder in die Hallen zu bringen“
Interview
Wilhelm Barnhusen (69) ist Präsident des Handballverbandes Westfalen – ein Gespräch mit ihm über arbeitsreiche Corona-Wochen, den Status quo und die Zukunft der Sportart in Westfalen.
Herr Barnhusen, wie zeitintensiv war in den vergangenen Wochen Ihr Job als Präsident des Handballverbands Westfalen, der ja ein Ehrenamt ist – oder?
Na klar, es ist schon ein Ehrenamt (lacht). In normalen Zeiten sind es bis zu 20 Stunden in der Woche. Zuletzt waren es nicht unbedingt mehr. Denn natürlich gab es auch bei uns viele Videokonferenzen, die sehr viel Zeit sparen. Da drei unserer Präsidiumsmitglieder aus Ostwestfalen kommen, haben wir regelmäßig in Herford getagt. Das heißt, wir haben uns um 18 Uhr getroffen. Ich bin meistens gegen 16.30 Uhr losgefahren und war um Mitternacht zuhause. Wenn wir jetzt Videokonferenzen machen, sind wir in 90 Minuten bis zwei Stunden fertig damit. Von daher ist es schon eine Zeitersparnis und auch für den Verband natürlich auch eine Kostenersparnis.
Kann man sagen, dass die vergangenen Wochen Ihre schwierigste Zeit als HVW-Präsident waren?
Ja, vor allen Dingen die Tage kurz vor dem Aussetzen des Spielbetriebs am 12. März. Da gab es auch persönliche Angriffe. Zum Beispiel hat mir der Vater einer Tochter eine Mail geschickt und geschrieben „Wann machen Sie endlich dicht? Wollen Sie für Tote verantwortlich sein?“ Das war nicht schön.
Die Entscheidung kam dann ja auch schnell. Wie war der Ablauf an jenem 12. März?
Um 15 Uhr bekam ich eine Mail vom Deutschen Handballbund, bis 15.30 Uhr sollte ich eine Abstimmung im Präsidium herbeigeführt haben. Um 15.28 Uhr hab ich das Ergebnis der Abstimmung gehabt. Um 16 Uhr war dann klar, dass der Spielbetrieb gestoppt wird.
Am 19. April wurde dann die Entscheidung publik gemacht, dass die Saison beendet wird – inklusive der Wertung. Wie hat man sich so einen Entscheidungsprozess vorzustellen? Da entscheidet ja vermutlich nicht der Präsident alleine.
Es gab eine Arbeitsgemeinschaft mit acht Personen aus dem Präsidium und zum Teil auch dem Erweiterten Präsidium. Wir haben mehrfach getagt und natürlich immer überlegt, wie die rechtliche Situation ist. In den Medien kam häufig die Forderung rüber: Brecht doch endlich ab, auf was wartet ihr noch? Aber das Ganze hatte natürlich eine rechtliche Komponente. Was ist, wenn heute das Wundermittel gefunden wird und übermorgen kannst du wieder spielen? Dann kommen die Oberligavereine, die viele Zuschauer haben und die auch von diesen Zuschauern leben, und stellen Regress-Ansprüche.
Deshalb haben wir gesagt, dass wir die Entscheidung so weit wie möglich nach hinten schieben müssen, um Klarheit zu haben, dass die Meisterschaft nicht zu Ende gespielt werden kann.
Wie war die Abstimmung innerhalb der Landesverbände?
Wir hatten eine große Konferenz mit den Präsidenten aller 22 Landesverbände gehabt – mit dem Bestreben, eine einheitliche Regelung zu finden. Natürlich sind da trotzdem einige vorgeprescht, so wie man das ja in der Politik auch gesehen hat. Aber im Großen und Ganzen waren wir uns einig, dass wir entscheiden – entweder Halbzeittabelle, die Tabelle zum Stichtag 12. März oder aber die Quotientenregelung.
Das Echo auf die Quotientenregelung mit den Wildcards, wie sie dann gefunden wurde, war überwiegend positiv. Oder gab es auch Kritik?
Ich habe nicht genau nachgerechnet, aber wir haben mehr als 90 Prozent Zustimmung erhalten.
Das heißt, auch mit ein bisschen zeitlichem Abstand, war es eine richtige Entscheidung?
Ja, eine richtige Entscheidung – eben auch in rechtlicher Hinsicht.
Der Stichtag war der 20. Mai. Die meisten Vereine haben die Wildcard gezogen, richtig?
Fast alle. Es gibt einige vernünftige Vereine, wie zum Beispiel VfS Warstein, die auf den Landesliga-Aufstieg verzichten, oder TS Evingsen, die sogar freiwillig aus der Landesliga in die Bezirksliga zurückgehen. Die Vereine, die die Wildcard ziehen, müssen sich darüber im Klaren sein, dass es in den Saisons 2020/21 und 21/22 vermehrte Abstiege geben wird. Das werden wir nicht in einem Jahr glattziehen können.
Wenn so viele Vereine die Wildcard in Anspruch nehmen, wird es in der nächsten Saison zusätzliche Staffeln geben?
Mehr als 16 Mannschaften in einer Staffel zu haben, das funktioniert nicht. Selbst bei 16 Mannschaften ist schon jeder Tag ausgereizt.
Wenn wir schon mal auf die nächste Saison blicken: Halten Sie einen ganz normalen Saisonstart Mitte September für realistisch?
Das ist alles hypothetisch. Ich kriege ja auch immer wieder Anfragen, wann es mit Handballtraining wieder losgeht. Das hängt maßgeblich davon ab, was die Kommunen machen. Den offenen Brief von Frank Fligge (Vorsitzender der Handballabteilung des ASC 09 Dortmund, Anm.d.Red.) an den NRW-Ministerpräsidenten haben Sie ja sicher auch gelesen – und er hat ja Recht. Wie willst du Handball spielen unter Einhaltung der Abstandsregel? Wie willst du das vor allem mit Kindern machen? Bei Erwachsenen könnte man vielleicht noch sagen: Okay, mit Abstand zu trainieren, das geht irgendwie. Aber wenn ich an meine Enkelinnen denke, die sind sechs und drei Jahre alt – da geht es einfach nicht.
Im Jugendbereich liefen zurzeit normalerweise die Qualifikationsspiele für die überkreislichen Spielklassen. Wie sieht es damit aus?
Ich habe schon mal ein bisschen sarkastisch gesagt: Das können wir durchaus machen. Wir können die Abstandsregel einhalten, indem wir die Qualifikationsspiele nur übers Siebenmeterwerfen entscheiden. Im Ernst: Wir müssen abwarten. Patrick Puls (Jugendwart des HV Westfalen, Anm.d.Red.) hat in Absprache mit dem Spielausschuss Szenarien erarbeitet, dass das Ganze nach den Sommerferien innerhalb von zwei, drei Wochen im kompakter Form über die Bühne geht – wenn denn dann gespielt werden kann.
Wie wichtig ist es für die Sportart Handball, dass es möglichst bald wieder losgeht?
Ganz wichtig! Gerade im Mädchenbereich sehe ich schon Probleme, sie wieder in die Hallen zu kriegen. Wir hatten ein neues Projekt zur Mitgliedergewinnung schon fest geplant, wollten in die Grundschulen gehen und hatten auch schon finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt bekommen. Aber das kann man natürlich jetzt erstmal vergessen. Positiv ist dagegen eine Zusammenarbeit mit der Uni Münster, über die ein Projekt in Schulen starten soll, mit dem Streethandball als Pausensport installiert werden soll. Solche Wege musst du jetzt einfach gehen, du musst Attraktivitäten schaffen. Denn die Mitgliederentwicklung im Handball stagniert, ist also noch nicht wieder steigend.
Eine letzte Frage, auch wenn Sie nicht direkt in Ihren Zuständigkeitsbereich fällt: Dass die Handballerinnen von Borussia Dortmund vor ein paar Wochen nicht zum Deutschen Meister gekürt worden sind, im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen des THW Kiel, hat für ein großes mediales Echo gesorgt. Wie fanden Sie diese Entscheidung?
Ich möchte mich da nicht allzu weit aus dem Fenster hängen. Aber die HBF (Handball Bundesliga Frauen, Anm.d.Red.) hat sich sowohl bei der Beendigung der Saison als auch beim Nicht-Küren des Deutschen Meisters nicht abgesprochen mit der HBL (Handball Bundesliga Männer, Anm.d.Red.). Für den deutschen Handball wäre es mir lieb gewesen, wenn da eine einheitliche Entscheidung getroffen worden wäre und dass die beiden Präsidenten Andreas Thiel und Uwe Schwenker im Vorfeld mal abgesprochen hätten.
Als Schwerter Sportredakteur seit 2000 auf den Sportplätzen und in den Hallen unterwegs – nach dem Motto: Immer sportlich bleiben!
