Zusammenprall mit der Betonwand in Iserlohn, Tore am Fließband und plötzlich Regionalliga, dann das Coronavirus: Wir haben das bewegte Fußballjahr des Johannes Zottl begleitet.
Es ist eine abgenutzte Phrase. „Fußball ist ein schnelllebiges Geschäft“, sagte Johannes Zottl dieser Zeitung Ende Januar. Ein unfassbar turbulente Zeit erreichte für den da noch 25-Jährigen gerade ihren vorläufigen Höhepunkt. Eine Zeit, die am 26. April 2019 mit einem tragischen Unfall begann, der den Stürmer hätte umbringen können. Seitdem bewies das Leben des Johannes Zottl vor allem eins: Dass der Fußball ein schnelllebiges Geschäft ist.
„Ich hätte tot sein können.“ Gänsehaut machte sich breit und man las den Satz erneut, den Zottl in seinem ersten Interview nach dem Unfall gesagt hatte. Wenige Tage war es da her, dass er mit der Betonwand im Iserlohner Hemberg-Stadion kollidiert war. Intensivstation, Schädelbasisbruch, Frakturen der Augenhöhle und des Kiefers, Spielabbruch - es war keine normale Sportverletzung, die sich Zottl in der 60. Minute im Spiel des FC Iserlohn gegen den Lüner SV (3:0) zugezogen hatte.
Umso bemerkenswerter, wie Zottl das Interview beendete: „Natürlich spiele ich wieder Fußball.“ Der Torjäger zeigte aus einem Herdecker Krankenhaus wenig Verständnis dafür, dass das überhaupt infrage gestellt wurde. Schon damals stand fest, dass Zottl seine Tore künftig für den Lüner SV schießen würde - jenem Gegner aus dem Horror-Spiel.
Bis Zottl in Schwansbell auflief, hatte sein Kollision mit der Betonmauer längst einige Geschichten geschrieben. Dass die scheinbar zwecklose Mauer in Iserlohn überhaupt noch in unmittelbarer Nähe zur Auslinie stand, sorgte für Ärger beim dortigen FC. „Ich ärgere mich maßlos darüber und habe einen richtig dicken Hals“, sagte Iserlohns Trainer Christian Hampel dieser Zeitung. Auch sein Wechsel zum Lüner SV stand da schon fest.
Bereits für den LSV aktiv war zu diesem Zeitpunkt Meris Memic. Der heute 25-Jährige Mittelfeldspieler der Rot-Weißen erkannte sofort den Ernst der Lage, als Zottl mit dem Kopf voraus in die Betonwand flog. Memic setzte zum Sprint an, wusste, dass Zottl seine Zunge verschluckt hatte. Der Bosnier war selbst zwei Mal in einer solchen Lage, holte seinem künftigen Mitspieler die Zunge heraus. Über die Ruhr Nachrichten bedankte sich die Familie Zottl später bei Memic: „Nur durch Ihr schnelles Handeln haben Sie unserem Sohn wahrscheinlich das Leben gerettet.“
Johannes Zottl hatte nie ein Problem mit Gianluca Reis
Unter anderen Vorzeichen sollten ab Juli Zottl, der natürlich etwas später ins Mannschaftstraining einstieg, und Gianluca Reis beim LSV aufeinander treffen. Der junge Innenverteidiger Reis war es, mit dem Zottl ins Laufduell in Richtung Grundlinie - und Betonmauer - gegangen war. Reis entscheidet sich zum Körpereinsatz. Zottl verliert die Kontrolle. Dann der Aufprall. „Das war total unglücklich“, sagte Mario Plechaty, damals noch Trainer in Lünen und anschließend Hampels Nachfolger in Iserlohn. „Wir hatten danach nie wirklich drüber gesprochen. Wir haben ab und zu mal drüber geflachst, wie man halt in der Kabine so ist. Aber am Ende des Tages hätte das jedem anderen passieren können“, machte Zottl Reis nie einen Vorwurf während seiner Zeit in Lünen.
Die ist allerdings längst abgelaufen. Zottl erholte sich sportlich von der Horrorverletzung so schnell, wie man es kaum für möglich gehalten hatte. Der gebürtige Rosenheimer stand bereits am 7. Juli im ersten Testspiel der Rot-Weißen wieder in der Startelf. Drei Wochen später schnürte er im Test gegen den SC Verl II seinen ersten Doppelpack mit dem Löwen auf der Brust.
Es ist der Beginn einer Entwicklung, die sich zum Ende der Hinserie zuspitzen sollte. Der LSV spielt mäßig, Zottl trifft. Der Start in die Westfalenliga misslingt völlig, nach sieben Spielen tritt Trainer Marc Woller zurück. Der Sportliche Leiter Christian Hampel übernimmt an der Seitenlinie. Doch Woller soll Zottl noch im Laufe der aktuell unterbrochenen Saison wiedersehen.

Für den Lüner SV jubelte in der aktuell unterbrochenen Saison zumeist Johannes Zottl. © Patrick Schröer
Am Ende der Hinrunde ist der Lüner SV der Landesliga näher als der Oberliga. Immer wieder begleiten Unruhen und Skandale den Verein. Der einzige, der einen Absturz in ganz tiefe Abstiegsgefilde verhindert, ist Johannes Zottl. 15 der 29 LSV-Treffer gingen bis zur Winterpause auf das Konto des schnellen Stürmers. Das ist natürlich eine deutliche Empfehlung für höhere Aufgaben.
Das dachte sich auch der SV Lippstadt. Der Regionalligist schnappte kurz vor dem Ende des Winter-Transferfensters zu und lockte Zottl in die vierte Liga. Dort spielte er bereits zu seiner Zeit in Bayern. Es sei immer sein Wunsch, unter möglichst professionellen Bedingungen Fußball zu spielen, sagt Zottl. Inzwischen Co-Trainer in Lippstadt: Marc Woller, sein ehemaliger Übungsleiter in Lünen.
Auch in Lippstadt startet er schnell durch. Am 14. Februar steht er beim Auswärtsspiel bei Fortuna Köln erstmals im Kader, wird in der Schlussphase prompt eingewechselt. Zwei Wochen später trifft er erstmals, stellt mit seinem 2:0 den Sieg beim Bonner SC sicher. Es sollte vorerst das letzte Spiel von Zottl und Millionen anderen Fußballern in Deutschland gewesen sein. Die Corona-Pandemie bestimmt von nun an den Alltag.
Blickt man auf die vergangenen zwölf Monate im Leben von Johannes Zottl zurück, dürfte ihm die Krise kaum Sorgenfalten auf die Stirn werfen. Zu viel hat der mittlerweile 26-Jährige weggesteckt, zu selbstverständlich gab Zottl stets sportliche Antworten auf schwierige Situationen. Selbst die Frisur wechselte während der Zeit, in der diese Redaktion seine Laufbahn intensiv begleitete, mehrfach. „Ich würde gerne noch ein paar Mal mehr in der Regionalliga auflaufen“, sagt Zottl lediglich.
Johannes Zottl. Jemand, der einfach nur Fußball spielen will, selbst wenn der Sport längst ein „schnelllebiges Geschäft ist“. Wie schnelllebig das sein kann, dürfte kaum ein Amateurfußballer innerhalb des zurückliegenden Jahres so deutlich gespürt haben wie er.
Denn auch im privaten Bereich durchlebte der wohlerzogene Bayer, der im Gespräch stets den Augenkontakt hält, Veränderungen. Aufgrund des Todes seiner Oma wagte er 2018 überhaupt erst den Schritt von 1860 Rosenheim nach Iserlohn, fing im Ruhrgebiet neu an. Eine ganz wichtige Rolle spielte dabei Julian Weigl. Zottl und der Profifußballer sind seit der Kindheit beste Freunde.
Doch anderthalb Jahre, nachdem die Wege der beiden besten Freunde wieder zusammengefunden hatten, trennten sie sich wieder. Weigl verschlug es nach Lissabon. Zottl schloss schnell aus, dass es ihn ebenfalls nach Portugal verschlägt. Stattdessen „beginnt jetzt ein neuer Abschnitt im Leben“. Ohne seinen besten Freund. Dafür seit einigen Tagen aber mit der Gewissheit, wo Zottl in sechs, neun oder zwölf Monaten seine Tore schießt. Er hat beim SV Lippstadt seinen Vertrag verlängert.
Kommt aus Lünen und wohnt dort noch immer. Konnte sich nie vorstellen, etwas anderes als Journalismus zu betreiben. 2017 noch als Schüler bei Lensing Media als Freier Mitarbeiter begonnen. Seit 2023 Sportredakteur in Dortmund. Als Handballtrainer mit Stationen in der Bezirks- und Verbandsliga.

Journalismus ist meine Passion. Seit 2017 im Einsatz für Lensing Media. Immer auf der Suche nach Hintergründen, spannenden Themen und Geschichten von Menschen.
