Diese Redaktion hat in den vergangenen Wochen mit diversen Ex-Spielern, einem ehemaligen Sportlichen Leiter sowie einem Ex-Co-Trainer über ihre Zeit beim Lüner SV gesprochen. Daraus entstand eine Serie von drei Teilen. Zunächst kommt Anjo Wilmanns zu Wort. Der zweite Teil erscheint Donnerstag, 16. Mai, um 4.45 Uhr.
Es ist der 27. November 2022, in der Westfalenliga 1 empfängt der Lüner SV den SC Peckeloh. Spitzenspiel in Schwansbell, der Tabellendritte gegen den Zweiten. Der LSV steht unter Zugzwang, bei einer Niederlage würde Peckeloh enteilen und der Rückstand auf Spitzenreiter Spvgg. Erkenschwick noch größer werden.
Für Anjo Wilmanns geht es an diesem Nachmittag um mehr als nur drei Punkte. Der Lüner Defensivmann hat sich fest vorgenommen, im Falle eines Sieges nach Abpfiff zu LSV-Boss Imdat Acar zu gehen, um ihn auf das Geld anzusprechen, das seit Wochen und Monaten nicht auf Wilmanns‘ Konto landet. Geld, das dem Fußballspieler vertraglich zustehe. Geld, dem er mal wieder hinterherlaufen müsse.
Anjo Wilmanns packt über den Lüner SV aus
Der LSV verliert das Spiel mit 1:2, eine Gelb-Rote Karte und ein Gegentor kurz vor dem Ende sind entscheidend. Wilmanns selbst hat Sekunden vor dem Ende sogar noch die große Chance auf den Ausgleich, sein Kopfball aber klatscht an die Latte. „Da wusste ich, dass ich mir das Gespräch mit Imdat Acar sparen kann“, erinnert sich Wilmanns gut anderthalb Jahre später.
Der 30-Jährige ist einer von vielen Ex-Akteuren, die jetzt offen über den Lüner SV sprechen wollen. Es geht um Geld, das verspätet, gekürzt oder gar nicht gezahlt wird. Es geht um fehlende Wertschätzung, leere Versprechen und um Anwälte. Dabei wird klar: Wilmanns ist keine Ausnahme, er ist die Regel.

Einen kleinen Vorgeschmack auf das, was ihn beim Lüner SV erwarten würde, bekam Wilmanns gleich bei seiner ersten Trainingseinheit im Januar 2022. „Ich kann mich noch gut daran erinnern. Da gab es einen Riesenterz auf dem Platz, ein damaliger Spieler schrie, wann denn endlich mal Gehalt gezahlt würde. Da dachte ich mir schon ‚Oh nein, wo bin ich hier gelandet?‘“
Herzlich Willkommen beim Lüner SV.
„Ich war insgesamt 18 Monate da. Nur in drei Monaten habe ich das Geld bekommen, was vertraglich vereinbart war“, sagt Wilmanns. Er wechselte damals zur Rückrunde vom FC Iserlohn zum LSV, verzichtete aufgrund der Ablöse auf sein erstes Gehalt. „Das war auch in Ordnung so und bis zum Sommer lief es dann halbwegs mit den Zahlungen“, erzählt Wilmanns – obwohl er erst im April erstmals Geld bekommen habe.
In der folgenden Saison, also die Spielzeit 2022/23, „da fing es so richtig an. Dir wurde willkürlich und ohne Vorwarnung Geld abgezogen, sobald du im Training gefehlt hast. Da war es egal, ob du verletzt, krank mit AU warst oder arbeiten musstest“, schildert Wilmanns. Nachvollziehbar seien die Abzüge nie gewesen: „Sagen wir, du hast eine Trainingsbeteiligung von 90 Prozent. Das bedeutet nicht, dass du 90 Prozent deines Geldes bekommst.“ Die Abzüge seien für die Spieler nicht nachvollziehbar, sie wurden nicht kommuniziert – und vertraglich geregelt waren sie ebenso wenig, sagt Wilmanns.
Der Lüner SV widerspricht Anjo Wilmanns
Der Lüner SV meldete sich auf Anfrage dieser Redaktion dazu ausführlich: „Es gibt keine willkürlichen Kürzungen. In allen Verträgen ist eindeutig geregelt, welche Kürzungen (Krankheit, Fehlen beim Training, Mitgliedsbeiträge etc.) berechtigt und rechtens sind. Wir haben bereits deutlich gemacht, dass es bei Amateurvereinen immer mal wieder vorkommen kann, dass vereinbarte Zahlungen etwas verspätet erfolgen, weil wir abhängig sind von Fördergeldern, Spenden, Sponsorengeldern, Mitgliedsbeiträgen und und und. Auch von diesen Seiten fließen die vereinbarten Gelder nicht immer so pünktlich, wie es mitunter vereinbart wurde. Um es noch einmal klarzustellen, der LSV hat alle bisherigen Zahlungsverpflichtungen erfüllt. Er wird dies auch weiterhin so tun.“
Dieser Redaktion liegt der Vertrag eines Spielers vor, der in der aktuell laufenden Saison beim Lüner SV zum Einsatz kam. „Bei fehlender Trainingsbeteiligung können prozentuale Abzüge erfolgen“, heißt es dort an einer Stelle. Weitere Sätze bezüglich möglicher Kürzungen oder zur Unterscheidung zwischen Abwesenheit aus gesundheitlichen oder anderen Gründen gibt es nicht.
Lüner SV verweist auf die Abhängigkeit
Der ambitionierte LSV, der es nicht müde wird zu betonen, eher kurz- als mittelfristig in die Oberliga aufsteigen zu wollen, startete damals gut in die Spielzeit 22/23. „Wir hatten auch die beste Mannschaft in der Liga“, findet Wilmanns. Durch mehrere Unentschieden und eine Niederlage gegen Erkenschwick geriet die Tabellenspitze jedoch zur Mitte der Hinrunde aus der Sicht – und prompt seien auch die Zahlungen des Vereins ausgeblieben. „Das war immer so. Wenn es sportlich gut lief, waren alle gut drauf und es wurde auch meist gezahlt. Sobald es nicht lief, gab es kein Geld mehr“, berichtet Wilmanns.
Der LSV verweist auf die Abhängigkeit von Fördergeldern, Spenden, Sponsorengeldern und Mitgliedsbeiträgen. „Das eigentliche Problem ist allerdings die ausreichende Sicherung der Liquidität über die Saison. Um ein Beispiel zu nennen. Seit mehr als 1 Jahr wartet der Verein auf Gelder der Landesregierung im Rahmen einer Förderung im oberen vierstelligen Bereich“, wird Imdat Acar in der Vereinsmitteilung zitiert.

Unter den ausgebliebenen Zahlungen habe damals auch die Trainingsbeteiligung gelitten, sagt Wilmanns. Er und andere Spieler ließen auch mal eine Einheit sausen. „Kein Geld für Tank“, hieß es dann in der WhatsApp-Gruppe, ein Zwinker-Emoji dahinter. Das zog sich so durch die gesamte Saison. Mal habe es wochenlang kein Geld gegeben, mal haben die Spieler gar Monate warten müssen. „Das schlimmste war, dass du dich vor dem Vorstand immer rechtfertigen musstest, warum dir dein Geld zusteht. Du musstest richtig betteln gehen, um was zu bekommen“, berichtet Wilmanns: „Dabei habe ich mich immer schlecht gefühlt. Meist wurdest du vertröstet auf einen anderen Tag, an dem aber auch nichts kam.“
So richtig zugespitzt habe es sich ab dem Zeitpunkt, zu dem feststand, dass Wilmanns den Verein nach der Saison verlassen und sich Erkenschwick anschließen wird. Sportlich lief es danach schlecht, sodass sich eine hübsche Summe angehäuft habe, die der LSV Wilmanns schuldig gewesen sei. „Nico (Berghorst, Anm. d. Red.) und mir hat es gereicht, wir haben dann irgendwann einen Anwalt eingeschaltet. Im Sommer saß ich bei Imdat im Büro und habe ihm vorgerechnet, was mir alles fehlen würde. Das hat er auch abgenickt, mich sogar zum Essen die Woche später eingeladen – danach allerdings nie wieder auf eine Nachricht reagiert“, erinnert sich Wilmanns.
Zum Fall „Anjo Wilmanns“ möchte sich der Lüner SV nicht äußern. Die Vereinsführung verweist auf eine mit dem Spieler „vereinbarte Verschwiegenheit“.
Anjo Wilmanns geht vor das Arbeitsgericht
Statt eines Termins im Restaurant habe es Monate später einen Termin vor dem Arbeitsgericht gegeben. Fast ein halbes Jahr schon spielte Wilmanns zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Lünen, auf sein Geld – eine beträchtliche Summe – habe er immer noch gewartet. „Kurz vor dem Gerichtstermin und bevor es zu einer Verhandlung kam, haben wir uns geeinigt. Es wurden gerichtliche Fristen für eine Ratenzahlung vereinbart“, so Wilmanns. Die Frist für die erste Rate habe der LSV nicht eingehalten. Erst acht Wochen danach habe Wilmanns stattdessen die gesamte Vergleichssumme erhalten. Auch das sei gerichtlich geregelt worden, sollte der LSV die Frist nicht einhalten.
Mitte April 2024 konnte der 30-Jährige also endlich einen Haken an das Kapitel Lüner SV machen. „Ich würde kein zweites Mal dort hinwechseln“, stellt er rückblickend klar. Generell sei der LSV zwar ein Verein mit viel Potenzial und Tradition: „Der würde in die Oberliga schon gut reinpassen. Aber so, wie der Klub geleitet wird, wird das nichts. Die Vereinsführung ist eine Katastrophe.“
Auf diesen Vorwurf angesprochen, antwortet der Lüner SV: „In einem Verein treffen die sportliche Leitung, der Headcoach und sein Trainerteam die sportlichen Entscheidungen.“