Es ist der 16. Februar 2023. Weiberfastnacht. Detlev Knößl ist mit seinem Sohn Marius unterwegs. „Sicher hat er ein paar Bierchen getrunken. Richtig betrunken war er nicht“, betont seine Frau Sandra. Detlev kommt um 2.30 Uhr nach Hause, legt sich ins Bett. „Er war völlig ok.“
Um 4 Uhr hört Sandra Knößl, dass jetzt auch ihr Sohn Marius zu Hause ist. Sie dreht sich noch einmal um, ihr Wecker geht erst um 5.20 Uhr. Dann aber, um 4.50 Uhr hört sie einen lauten Knall. Sie steht auf, im Flur schaut sie die Treppe hinunter, an dessen Fuß ihr Mann liegt. Den Aufprall haben selbst die Nachbarn durch die Hauswände gehört.
Die Familie wohnt bereits seit 23 Jahren in dem kleinen Zechenhaus. Die Wege darin sind in Fleisch und Blut übergegangen. „Ich gehe davon aus, dass er ins Badezimmer gehen wollte. Und dass er auf Höhe der Treppe das Gleichgewicht verloren hat.“

Sandra Knößl ist Medizinische Fachangestellte. „Ich habe genau richtig reagiert“, erzählt die 54-Jährige reflektiert, mit fester Stimme. Sofort hat sie den Notarzt alarmiert, sagte, es gehe um Leben und Tod. „Detlev hatte links eine große Platzwunde, er war bewusstlos.“ Das Schlimme sei gewesen, „dass er nicht mit der Schulter oder einem Arm auf der mit Teppich ausgelegten Treppe aufgekommen ist. Sondern direkt unten mit dem Kopf auf den Fliesen.“
Der Rettungswagen bringt ihn in die Unfallchirurgie am Fredenbaum in Dortmund. „Dort gibt es neben dem Schockraum sofort ein CT. Als ich mit meinem Bruder Frank dort ankam, wurde Detlev bereits operiert. Wäre er fünf Minuten später operiert worden, wäre er gestorben.“
Bei der Not-OP am Abend wird Detlev Knößl der Schädelknochen entnommen
An diesem frühen Morgen des 17. Februars wird die Hirnblutung gestoppt. Der Waltroper wird ins künstliche Koma gelegt, abends steigt der Hirndruck, es folgt eine Not-OP. „Es gab eine erneute starke Hirnblutung. Da wurde dann der Schädelknochen entnommen - und bei minus 80 Grad eingefroren.“
„Dass bleibende Schäden zurückbleiben würden, war uns klar. Durch den Aufprall auf die linke Kopfhälfte wurde das Gehirn gegen die rechte Wand gedrückt. Und weil Detlev Linkshänder ist, liegt bei ihm dort das Sprachzentrum. Womöglich könnte er heute sprechen, wenn er Rechtshänder ist“, erzählt Sandra Knößl. Sohn Marius sitzt daneben - und nickt.

Nach zwei Wochen - inzwischen war er viermal operiert worden - wird Detlev aus dem künstlichen Koma geholt. „Letztlich aufgewacht ist er zu Musik von Roland Kaiser“, erzählt Marius. Mit einem Grinsen. Seine Mutter muss auch lächeln. „Auch wenn Delle für sein Leben gerne Motorrad gefahren ist und Fußball liebt, hört er eben am liebsten Schlager.“
Detlev Knößl macht in der Früh-Reha Rückschritte
Ihr geliebter Mann, mit dem sie seit 35 Jahren zusammen und seit 29 Jahren verheiratet ist, wird innerhalb von NRW in eine andere Klinik verlegt - zur Früh-Reha. „Als er in der Klinik am Fredenbaum entlassen worden war, war er wach und kontaktfähig. In der Früh-Reha wurde er wegen einer Wundinfektion ein fünftes Mal operiert. Er machte dort Rückschritte, schlief fast nur noch. Aber am 26. Juni wurde er endlich nach Hause entlassen.“
Der Vorschlag einer Ärztin, ihren Mann in ein Altenheim zu bringen, schmetterten Sandra und Marius Knößl erbost ab. „Für uns war klar, dass er zu uns nach Hause kommt. Etwas anderes kam für uns nicht infrage.“

Sandra und Marius Knößl bilden sich fort, holen sich möglichst viele Tipps für die Pflege eines so schwerkranken Familienangehörigen ein. Und zu diesem Zeitpunkt treten zwei Freunde von Detlev auf den Plan, die grandios reagieren. Stephan Oberkönig und Guido Burzynski machen das Schicksal öffentlich, richten ein Spendenkonto ein. „Ich wäre nie auf die Idee gekommen, andere Menschen zu bitten, Geld zu spenden. Als Bittsteller dazustehen. Aber längst sind wir unendlich dankbar, dieses Geld zu haben.“
Detlev Knößls Stationen waren unter anderem der VfB Waltrop, Lüner SV und Teutonia SuS Waltrop
Sandra Knößl erlaubt der Besucherin, die Detlev Knößl durch seine Zeit als Fußballer und Trainer beim VfB Waltrop, Teutonia SuS Waltrop, Lüner SV und als Zuschauer auch bei Oberwiese oder Eintracht, seit Jahrzehnten kennt, ins Wohnzimmer zu gehen, wo Detlev Knößl in einem Krankenbett liegt.
Die medizinischen Utensilien liegen hinter ihm. In seinem Blickfeld hängen Bilder aus glücklichen, gemeinsamen Zeiten. Eingehüllt ist der 55-Jährige in eine Borussia-Mönchengladbach-Decke. Er trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „Kämpfer“. Dass seine linke Körperhälfte gelähmt ist, wird deutlich. Aber bei der Begrüßung, beim Streicheln über den Arm, bei der Erinnerung an alte Zeiten und der Feststellung, dass Dortmund die bessere Borussia ist, reagiert „Delle“ - so sein Spitzname.

Mit Lauten, mit dem geöffneten rechten Auge - und vor allem mit dem großen rechten Zeh. Vor allem wenn die Rede von Roland Kaiser ist, der abends in einer TV-Show auftritt. „Dann gucken wir das gemeinsam“, sagt Sandra Knößl sofort. Dann legt sie sich auch zum ihm ins Bett. Die Nähe tut beiden gut.
Dieses 24-Stunden-Programm zu Hause überhaupt stemmen zu können, dafür ist sie zum Beispiel ihrer Schwägerin Conny unendlich dankbar. „Sie ist fast täglich bei uns und macht physiotherapeutische Übungen mit Delle. Sie ist dafür verantwortlich, dass er diese Fortschritte gemacht hat.“ Aber auch den Logopäden, anderen Physiotherapeuten, dem Pflegedienst, der sich um ihren „Delle“ kümmert. „Und auch und gerade meinem Arbeitgeber.“
Sandra Knößl arbeitet im St. Vincenz-Krankhaus in Datteln, ist dort unter anderem für die Zertifizierung der Krebszentren zuständig. „Ich habe keinen Patientenkontakt und kann daher größtenteils im Homeoffice arbeiten. Ich bin dankbar für die vielen lieben Gespräche mit den Kollegen, der Geschäftsführung, der Pflegedienstleistung. Ich merke in dieser besonderen Situation, dass das ein besonderer Arbeitgeber ist.“

Seit drei Monaten ist Detlev Knößl nun zu Hause. Seine bewundernswerte Frau versucht alles, um ihrem „Delle“ die Situation so schön wie möglich zu gestalten. Sonntags wird gebadet. In einer Art Gummiboot, das ins Bett gelegt, dort aufgepumpt wird. Durch einen Kanister, an den eine Brause angeschlossen ist, kann sie ihn quasi duschen. Denn das Problem ist: Das Badezimmer ist im Obergeschoss - und derzeit unerreichbar.
„Letztens war noch ein bisschen kaltes Wasser im Schlauch. Da hat er sofort reagiert. Genauso bei einem Mückenstich, da hat er sich dann selbst gekratzt. Das bedeutet für uns: Er hat Temperatur- und Juckreizempfinden. Das ist ein richtig gutes Zeichen“, erzählt Sandra Knößl.

Sie hat einen - wenngleich auch alles andere als komfortablen - Rollstuhl organisiert. Mit einer Lift-Unterstützung kann Sandra Knößl ihn in jenen hineinsetzen. Seit Kurzem gibt es die Rampe vor der Haustür und eine, um die Terrasse barrierefrei zu erreichen. Das neueste Prunkstück: ein Auto, in dem ihr Mann im Rollstuhl sitzend transportiert werden kann.
Schwersten Herzens hat Sandra Knößl das geliebte Motorrad ihres Mannes verkauft
Das alles kostet Geld - viel Geld. Schweren Herzens hat Sandra Knößl das geliebte Motorrad ihres Mannes verkauft. „Damit fahren wird er sowieso nicht mehr können“, sagt sie.
Was ist die Hoffnung der Familie? „Wir hatten eine sehr glückliche Beziehung“, erzählt Sandra Knößl. „Auch wenn ich weiß, dass ich nie wieder meinen alten Delle zurückbekomme. Ich werde alles dafür tun, ihn wieder in ein lebenswertes Leben zurückzubringen. Das heißt für mich, dass er so lange wie möglich dieses Bett verlassen kann. Wir haben immer gemeinsam gekämpft. Wir waren ein Dreamteam und werden es auch bleiben. Und so gerne würde ich noch einmal einen dummen Spruch von ihm hören. “
Stephan Oberkönig und Guido Burzynski haben für die Familie Knößl ein Spendenkonto eingerichtet. Für weitere Spenden wären Sandra und Marius Knößl unendlich dankbar:
- IBAN: DE 35 4265 0150 1001 1753 20 - BIC WELADED1REK