
© Ralf Deinl
Rote Karte per Videobeweis? Ein heikler Fall vor dem Kreissportgericht
Fußball: Kreisliga A2
Zwei Stunden sichtet das Sportgericht Videos, befragt Zeugen und berät. Der Fall scheint spektakulär: Wird erstmals ein Kreisliga-Kicker durch die Aufzeichnung einer automatischen Stadionkamera gesperrt?
Die Kreisliga-Partie zwischen Westfalia Vinnum und FC/JS Hillheide war nach 90 Minuten beendet - die „dritte Halbzeit“ vor dem Kreissportgericht dauerte satte zwei Stunden. „Hitzig“ soll es beim 2:2 am 10. Oktober zugegangen sein. Spätestens ab der 11. Minute: Ein Hillerheider warf einen am Boden liegenden Vinnumer den Ball ins Gesicht. Schiedsrichter Bruno Krause tat, was er tun musste: Er zog die Rote Karte. Dabei sollte es nicht bleiben - zumindest nicht aus Sicht der Gastgeber.
Westfalia Vinnum forderte das Kreissportgericht Recklinghausen auf, gegen einen Hillerheider vorzugehen, der unbemerkt vom Unparteiischen zweimal hingelangt haben soll. Der Vorwurf: „krass sportwidriges Verhalten“. Zum Beweis übermittelte der Klub zwei Videos, aufgenommen mit einer automatisch arbeitenden Kamera im Sportpark Vinnum.
In der Kreisliga A2 gibt es nur in Vinnum ein Kamerasystem
Die gibt es inzwischen auf etlichen Schauplätzen des Amateurfußballs, wo sie aktuelle Spiele im Netz übertragen. In der Kreisliga A2 ist Westfalia Vinnum einer der wenigen Klubs, die über ein solches System verfügen. Dies hat der Verein nun genutzt und damit einen Antrag ans Sportgericht begründet. Eine vielbeachtete Premiere. Selbst Fußballkreis-Chef Hans-Otto Matthey, Staffelleiter Erhard Korinth und Schiedsrichter-Obmann Harald Woller ließen sich die Verhandlung nicht entgehen. Sie durften lernen: Die neue Technik hat ihre Tücken.
Szene eins: Mitte der zweiten Halbzeit fliegt ein Eckball vors Tor der Gastgeber. Ein Verteidiger klärt per Kopf, wird dabei vom beschuldigten Gästespieler im Luftkampf getroffen. Per Ellbogenschlag, wie die Vinnumer Zeugen beteuerten. Eine normale Bewegung der Arme beim Kopfballduell, meinten die Vertreter des FC/JS Hillerheide.
Bilder bieten Raum für Interpretationen
Die Bilder, welche die auf Höhe der Mittellinie postierte Kamera liefert, bieten ausreichend Möglichkeiten zur Interpretation. Und sie werden nicht besser, wenn man sie x-fach vergrößert. Das Sportgericht unter Vorsitz von Dieter Lasarz (DJK SF Datteln) befragte Zeugen und konfrontierte sie mit dem Video. Aber da war die Luft aus der Nummer schon heraus. Denn: Schiedsrichter Bruno Krause hatte die Szene beobachtet und bewertet. Es gab Freistoß für Vinnum. Eine Tatsachenentscheidung. Damit war die Akte im Grunde geschlossen.
„In welcher Welt lebt du denn?“
Heikler zu bewerten war eine Szene aus der ersten Hälfte, die sich im Rücken Krauses zugetragen hatte. Zu sehen ist im Video, wie ein Spieler von Westfalia Vinnum sich dem beschuldigten Hillerheider auf Strafraumhöhe zuwendet und offenbar auf ihn einredet. Beide stehen irgendwann fast Kopf an Kopf, der Recklinghäuser hebt den Arm und langt ihm in Richtung Gesicht.
Wie es dazu hat kommen können? Das wollte das Sportgericht von den Kontrahenten wissen. Der Recklinghäuser habe sich über eine Entscheidung des Schiedsrichters beschwert, berichtete der Vinnumer. Worüber hätte er sich beschweren sollen, entgegnete der Hillerheider: „Es gab ja Freistoß für uns.“
Was er gesagt habe, fragte Dieter Lasarz den Vinnumer. „In welcher Welt lebst du denn? So sinngemäß“, gab der an. Der Hillerheider hatte etwas ganz anderes verstanden: „Er hat zu mir ‚Du scheiß Araber‘ gesagt.“
Sportgericht erkennt kein krass sportwidriges Verhalten
Einen Faustschlag, wie die Vinnumer Zeugen beteuerten, habe er nicht ausgeteilt. Es sei eine Abwehrreaktion gewesen. Wie hart er getroffen wurde, wollte das Sportgericht vom Vinnumer wissen: „Leicht“, antwortete der.
Für Dieter Lasarz und seine Kollegen Kai Moczyk (FC 96 Recklinghausen) und Jörg Grosche (1. SC BW Wulfen) stand nach eingehender Beratung fest: Ein „krass sportwidriges Verhalten“, wie von Westfalia Vinnum unterstellt, sei nicht zu erkennen. Dafür, so Lasarz, gebe es auch klare Vorgaben des Verbandes: ein Tritt in den Unterleib oder gegen den Kopf etwa.
Den Antrag des A-Kreisligisten wies das Gericht darum zurück. Zur Eskalation auf dem Platz hätten außerdem beide Spieler ihren Beitrag geliefert, sie sollten sich künftig am Riemen reißen. Lasarz sprach von einem „sportlichen Fehlverhalten“ - nur dies sei kein Fall für das Sportgericht.
Hat schon als Schüler über die Spvgg. Erkenschwick geschrieben und ist dem Sport im Vest seitdem als Beobachter eng verbunden. Was gibt es Schöneres, als über Menschen in Bewegung, mit oder ohne Ball, zu berichten? Nicht viel.