Der Arzt, dem die Fußballer vertrauen Eine Verletzung inspirierte Noel Stais, anderen zu helfen

Der Arzt, dem die Fußballer vertrauen: Eine Verletzung inspirierte Noel Stais eigene Karriere
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Immer wieder hört man in Fußballkreisen – ob regional oder weit darüber hinaus – den Namen Dr. Noel Stais, wenn es um Knieverletzungen wie Kreuzband- oder Meniskusrisse geht. Spieler, die bei ihm in Behandlung sind, sprechen im Nachgang in höchsten Tönen von dem Kniespezialisten aus dem Ruhrgebiet.

Der 47-Jährige hat sich auf diese Art von Verletzungen spezialisiert und ist durch eine beeindruckende, teils rührende Lebensgeschichte zu einem der angesehensten Sportärzte Deutschlands geworden, war unter anderem Mannschaftsarzt des FC Schalke 04 – zu Champions-League-Zeiten. „Mein Weg war von langer Hand geplant“, beginnt der Arzt zu erzählen.

Der Traum vom Fußballprofi

Der dreifache Familienvater wuchs in Duisburg auf und war schon früh ein begeisterter Fußballer und Fan des MSV Duisburg, der die Meidericher oft mit seinem Vater im Stadion besuchte. „Ich kann mich noch an einige Spiele erinnern – zum Beispiel an einen Fünferpack von Michael Tönnies, der mittlerweile leider verstorben ist.“

Auch er selbst träumte zunächst davon, Profi zu werden. Er spielte in der damals höchsten Jugend-Spielklasse der Region, der Niederrheinliga, und trainierte hart, um Idolen wie Lothar Matthäus oder Klaus Augenthaler nachzueifern. Doch mit 14 Jahren zog er sich eine schwere Knieverletzung zu – ein Ereignis, das sein Leben von jetzt auf gleich grundlegend veränderte.

Es folgte eine lange Leidenszeit. „Über drei Monate bin ich von Arzt zu Arzt gelaufen, aber niemand konnte mir sagen, was genau los ist“, erzählt er. „In den 90er-Jahren gab es noch keine Bildgebungsgeräte wie MRTs.“ Schließlich stellte ein Arzt einen Meniskusriss fest. „Ob das wirklich stimmte, bezweifle ich aus heutiger Sicht – vermutlich gab es auch Bänderverletzungen“, sagt der Facharzt.

Fehlbehandlung mit Folgen

Nach der Diagnose wurde er operiert. „Der Meniskus wurde mit einer großen Kamera zusammengenäht“, erklärt Stais. Doch die Behandlung war alles andere als optimal. Im Anschluss bekam er einen Gips – „aus heutiger Sicht unvorstellbar“, sagt er. Im Hochsommer, bei Temperaturen über 30 Grad, entzündete sich die Wunde, und er bekam Fieber.

Dr. Noel Stais
Auf höchstem Niveau unterwegs gewesen: Dr. Noel Stais (l.) versorgt hier Ex-Schalker Bernard Tekpetey in der Europa League. © imago/Team 2

„Die Hilflosigkeit als Patient hat mich extrem geprägt“, erzählt er. „Ich bin ein halbes Jahr durch die Weltgeschichte getingelt.“ Seine Muskulatur baute sich durch die falsche Behandlung komplett ab, während seine Freunde zu höherklassigen Vereinen wechselten. „Ich habe meinen Vater jeden Tag gefragt, ob ich jemals wieder Fußball spielen kann. Ich war psychisch total am Ende.“

Um ihn abzulenken, schickte sein Vater ihn mit seinem Onkel in den Urlaub. „Das konnten wir uns selbst nicht immer leisten“, erzählt er. Dort nahm sein Leben dann eine neue Wendung. „Mein Onkel entdeckte im Hotel zufällig Aleksandar Ristić, den damaligen Fortuna Düsseldorf-Trainer und so etwas wie der damalige Christian Streich“, erinnert sich Noel Stais. Sein Onkel sprach den Trainer an und bat ihn um Hilfe.

Ein Wendepunkt im Urlaub

„Ich war gerade am Schwimmen, als Ristic sich zu mir über den Pool beugte und in seinem gebrochenen Deutsch zu mir sagte: Junge, hör mal zu“, erinnert sich der Mediziner, der von Ristic seinen eigenen Physiotherapeuten empfohlen bekam, der damals die Bundesliga-Profis behandelte. „Es war ein Wink Gottes“, so der gläubige Familienvater.

Der damals mittlerweile 15-Jährige wurde im Anschluss von dem Physiotherapeuten behandelt und lernte erstmals professionelle Strukturen kennen. „Ich erinnere mich zum Beispiel an Jens Lehmann, der damals auch dort war, gerade Anfang 20, mit seinem ersten Kreuzbandriss“, so der 47-Jährige, der auch vom Mannschaftsarzt der Fortuna behandelt wurde.

Diese unbeschreiblichen Erfahrungen weckten in Noel Stais eine neue Leidenschaft. „Ich wollte anderen die Hilfe bieten, die ich selbst so vermisst habe und überlegte, statt des Fußballprofis vielleicht Arzt oder Physio werden zu wollen“, erklärt er. In der Schule sei er schon damals ein guter Schüler gewesen, und der Traum, Fußballprofi zu werden, war durch die Verletzung wohl geplatzt. „Ich habe die wichtigsten Jahre verpasst.“

Die Entscheidung für die Medizin

Nach dem Abitur begann er also sein Medizinstudium in Essen. Nebenbei sammelte er erste Erfahrungen als Mannschaftsarzt. „Mit 25 bin ich zum Oberligisten SW Essen gegangen und habe den Trainer gefragt, ob ich Mannschaftsarzt werden darf – sie hatten keinen“, erzählt er. Der damalige Trainer Klaus Täuber war skeptisch: „Sie sind doch viel zu jung.“ Doch Stais setzte sich durch.

Dr. Noel Stais
Schon in der Saison 2008/2009 im Profigeschäft unterwegs gewesen: Damals spielte Rot Weiß Oberhausen noch in der 2. Bundesliga. Mannschaftsarzt war Dr. Noel Stais (r.). © imago sportfotodienst

Von SW Essen führte sein Weg zu Rot-Weiß Essen, Rot-Weiß Oberhausen und schließlich zu den U-Nationalmannschaften des DFB. „Ich hatte Blut geleckt“, sagt er. Während seiner Assistenzarztzeit arbeitete er als Mannschaftsarzt, absolvierte Pflichtschichten im Krankenhaus und strebte am Wochenende auch noch die Facharztausbildung an. „Ich habe mir immer wieder meinen Traum vor Augen gehalten.“

2006 war er sogar zwischendurch bei der WM in Deutschland als Mannschaftsarzt für Trinidad & Tobago im Einsatz. „Das war eine lustige Geschichte“, erinnert er sich. Er hatte den Teamarzt der Mannschaft auf einer Fortbildung kennengelernt. „Er konnte die Spieler nicht einrenken, also bin ich eingesprungen“, so Noel Stais, der die WM 2006 dann im Bremer Quartier der Mannschaft verbrachte. Sein Netzwerk wurde immer größer.

Vom Oberligisten zum späteren Weltmeister

Eine ähnlich besondere WM wie die 2006 war auch die 2014, als Deutschland den Titel holte – und wieder war Stais mit von der Partie: „Das war die wohl unvergesslichste Erfahrung. Nachdem Spanien in den Jahren zuvor sehr erfolgreich war, hat sich der DFB damals daran orientiert und testete deshalb mehrmals vor dem Abflug nach Brasilien in Südtirol gegen die eigene U20.“ Dort war er Mannschaftsarzt.

Zusammen mit Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt zu arbeiten, werde er nie vergessen. Als ihm die Mannschaft um die späteren Weltmeister wie Miro Klose oder Bastian Schweinsteiger vor dem Abflug nach Brasilien ein unterschriebenes Trikot aller Spieler überreichte, war er sehr gerührt. Er sagt rückblickend: „Mit dem kurze Zeit später dann tatsächlich geholten WM-Titel war das ein unvergessliches Erlebnis.“

Noel Stais
Hier steht Dr. Noel Stais (r.) mit dem ehemaligen Fußballprofi Serkan Çalık, der für Rot-Weiß Essen in der zweiten Bundesliga spielte. Im Hintergrund zieren die Trikots von Per Mertesacker, Franck Ribéry und Shinji Kagawa seine Praxis. © Privat

Nach einigen weiteren Erfahrungen, zum Beispiel als Mannschaftsarzt bei Schalke, erfüllte sich Noel Stais dann endlich seinen großen Traum: eine eigene Praxis in Duisburg. „Mir war wichtig, Patienten ganzheitlich zu betreuen und für ihre Fragen da zu sein – denn ich habe selbst erlebt, wie wichtig das ist.“

Der Traum von der eigenen Praxis

Heute arbeitet er mit einem Team aus neun Ärzten. „Unsere Praxis soll sich wie eine Kur anfühlen“, sagt er. Sein nächstes und letztes Ziel ist nun ein eigener OP-Raum, um unabhängiger von den Krankenhäusern zu sein.

Doch auch jetzt schon zieren gefühlt hunderte Trikots seine Praxis. Und dennoch bleibt Dr. Noel Stais trotz seines Erfolgs bodenständig. Seine Familie ist ihm wichtig, auch wenn sein Beruf oft viel Zeit in Anspruch nimmt. „Meine Jungs kommen manchmal mit Knieschmerzen zu mir und wollen unbedingt von mir behandelt werden“, sagt er schmunzelnd.

Wenn er nun mal abschalten will, reist er gerne mit seiner Frau in den Urlaub. „Sie musste oft zurückstecken in all den Jahren, aber wir versuchen nun, die Zeit als Familie wertvoll zu genießen.“