Beim B-Ligisten SV Westrich waren es Anfang Februar 500 Zuschauer. © Stephan Schütze

Amateurfußball

Zuschauer-Boom im Amateurfußball und schwindende Lust an den Profis: „Geht nur noch ums Geld“

Zuletzt gab es stetig mehr und mehr Zuschauer im Dortmunder Amateurfußball. Die Lust auf den ehrlichen Fußball wächst. So scheint es. Das Bedürfnis nach den Profis schwindet bei einigen.

Dortmund

, 15.03.2022 / Lesedauer: 4 min

Es ist noch gar nicht lange her, da wollte BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke nicht die Ursache für den Zuschauerschwund der Amateurvereine sein. „Nicht sexy“ seien sie. Dann kam irgendwann Corona – und die Situation für die Vereine wurde noch einmal schwieriger. Jetzt, da bei Sonnenschein auch die Beschränkungen fallen, kommen ligenübergreifend Frühlingsgefühle auf.

Die Zuschauerzahlen scheinen sich auf den ersten Blick vielleicht nicht sexy, aber immerhin hübsch zu entwickeln. Am vorletzten Wochenende vermeldeten Brackel, Aplerbeck und Schüren starke Zahlen. Vergangenes Wochenende waren es 1000 Zuschauer in Bövinghausen, 500 in Holzwickede. Zuvor hatte Westrich 500 Zuschauer zu einem B-Liga-Spiel gelockt.

Schwindende Lust am BVB bei Tobias Ahland

Und gerade da im Dortmunder Westen, wo der SV Westrich vor im Schnitt um die 100 Anhängern seine Tabellenführung Woche für Woche verteidigt, beginnen wir den zweiten Blick auf den gestiegenen Zuschauerzuspruch. Das Empfinden des ehemaligen Westrich-Trainers Tobias Ahland beißt sich tatsächlich mit dem Watzke-Zitat: „Ich spüre bei vielen von uns, und ich schließe mich damit ein, schwindende Lust auf den BVB.“

Der Ex-Coach sieht sich selbst als Fan, aber nicht als jemanden, der zum harten Kern gehört, der auch zu Auswärtsspielen durch Europa tourt. „Davon gab es einige im Kader, aber auch die gehen auf Distanz zur Borussia. Sie identifizieren sich nicht mehr damit, weil sie nicht das Gefühl haben, dass sich die Profis zerreißen.“

Und da komme der Amateurfußball ins Spiel. Gegen Urania Lütgendortmund waren es zu Beginn des Jahres 500 Zuschauer, am 8. April lädt Westrich zum absoluten Topspiel mit dem Hauptrivalen BSV Fortuna. Da könnten es noch mal mehr werden, wenn der Tabellenerste den direkten Verfolger empfängt.

An einem Samstagabend staunten Verantwortliche und Besucher des Landesliga-Derbys SV Brackel 06 gegen Hombrucher SV über 300 Zuschauer. Beide Vereine haben schon treue Zuschauer, aber eben nur wenige. Ein anderes, lebendigeres Bild am Hallenbad. „Wir waren im Aufwärtstrend, Hombruch ist ein Titelanwärter. Das hat die Leute neugierig gemacht. Am Samstag zu spielen, war die richtige Entscheidung“, freute sich Brackels Vorsitzender Olaf Schäfer. Was die Zahlen in der Zukunft angeht, bleibt der 06-Macher eher skeptisch: „Es bleibt schwierig, die Leute zu gewinnen. Bei unserem Sommerturnier haben wir guten Zuspruch und bei interessanten Derbys auch. Aber sonst? Wäre schön, wenn das Werbung für unseren Verein war.“

Dass er eine Mannschaft mit vielen jungen Leuten habe, die der innovative Trainer Giovanni Schiattarella entwickle, schaffe durchaus Identifikation. „Wir haben auch viel in unsere Anlage investiert. Unseren fleißigen Helfern gönne ich den gelungenen Derbyabend. Gute Zuschauerzahlen sind Anerkennung für ihre Arbeit.“

Dankbarkeit, Hoffnung, aber auch Skepsis – diesen Gefühlsmix kennen sie auch beim einstigen Zuschauerkrösus ASC 09 Dortmund. Gegen Westfalia Rhynern fühlten sich viele „alte“ Aplerbecker in die guten Hannes-Wolf-Zeiten zurückversetzt. 650 Zuschauer verfolgten das Verfolgerduell der Oberliga. Der Sportliche Leiter Samir Habibovic glaubt aber, dass das abgesagte BVB-Spiel in Mainz den Blick der Fußballfreunde frei für den Amateursport gemacht habe. „Ganz klar, die noch nicht volle Auslastung bei Heimspielen und jetzt der Ausfall kommen uns zugute.“

Der Sportliche Leiter sieht aber schon wieder eine gestiegene Lust auf „ehrlichen Fußball. Die Leute bewerten den großen Fußball zunehmend kritisch. „Wir spielen bald eine WM in Katar. Es geht doch nur noch ums Geld.“ Sein Fazit: „Daher freuen sich die Fußballfreunde auf unseren Sport. Sie sind ganz nah dran.“ Dazu sei ein Aspekt, dass die Menschen für 90 Minuten Ablenkung von den aktuellen Krisen dieser Welt suchen. „Es hat sich aber gelohnt. Das war ein intensives Spiel gegen Rhynern. Ich ärgere mich zwar über das Ergebnis, aber freue mich über die Resonanz.“

400 Zuschauer in Schüren zum Derby

Das war auch in Schüren so: Denn ein paar Kilometer weiter begeisterte sich Gemütsmensch Peter Seifert an 400 Besuchern des Derbys seines BSV gegen Zugpferd TuS Bövinghausen, das durch sein Promi-Ensemble aus den generellen Trends ohnehin nach oben herausragt.

Seifert sagt: „Natürlich spielt uns das Wetter in die Karten, dann ein tolles Derby. Ich habe mich gefreut, dass die vielen Menschen nicht nur wegen Großkreutz und Co. kamen. Unsere Leute haben unsere Mannschaft mit Erfolg angefeuert und so auch einen Anteil am 2:2.“

Die Amateurfußball-Enthusiasten pilgern wieder zu den Spielen der Klubs. © Stephan Schütze

Vielen geht es wie Seifert, die nach Corona-Einschränkungen und tristem Wetter „endlich wieder hinter dem Ofen hervorkommen“. Sie hätten einfach Lust auf Gesellschaft und Fußball. Das spüre er deutlich. „Wir freuen uns doch alle, dass wir unbeschwert zum Platz kommen dürfen. Ich hoffe, dass wir bald auch die Einlasskontrollen nicht mehr benötigen.“ An dem Sonntag mussten die Ordner, die 3G kontrollierten, drei Damen abweisen. „Im zweiten Anlauf aber hatten sie die Nachweise dabei.“

Happy End in Schüren, Beginn eines neuen Aufschwunges allerorten? Schwierig, da der BVB auch wieder richtig „sexy“ werden könnte und da noch immer nicht klar ist, ob Corona nicht doch noch Wellen über das Land schickt. Wenigstens, und da sind sich alle einig, besteht jetzt die Chance, eine Aufbruchstimmung zu kreieren und dauerhaft sportlich und drumherum attraktiv zu bleiben. Sexy darf der Amateursport gerne sein, muss er aber gar nicht. Er kann jetzt mit seinen bodenständigen Vorteilen für sich werben und die Stimmung nutzen.

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