Montagabend machte ein Wettschein die Runde in den sozialen Medien. Innerhalb von wenigen Minuten tausendfach geteilt. Gerade spielten Frankreich und die Schweiz um den Einzug in das Viertelfinale der Europameisterschaft. Die Equipe Tricolore führte mit 3:2, die Schweiz drängte auf den Ausgleich.
Und es schien so, als würde das Internet mit diesem Wettschein mitfiebern. Zwei Euro waren dort als Einsatz verzeichnet. Der Tipp war so unrealistisch, wie verrückt: 3:3 als Ergebnis nach der regulären Spielzeit in beiden Spielen, die am Montagabend stattfanden. Im ersten Achtelfinalspiel zwischen Spanien und Kroatien war dies bereits der Fall gewesen.
Dieser Artikel ist bereits 2021 erschienen
Wir haben diesen Artikel bereits im am 1. Juli 2021 veröffentlicht. Wegen unserer aktuellen Berichterstattung zum Thema Sportwetten im Amateurfußball, haben wir uns dazu entschlossen, diesen Artikel erneut zu veröffentlichen.
Tipico: Milliarden-Umsatz jedes Jahr
Die Schweiz traf spät zum 3:3 und machte den Tipper um 42.000 Euro reicher. Für den berühmtesten Wettanbieter Deutschlands, Tipico, ein kleiner Betrag im Vergleich zum Jahresumsatz von rund vier Milliarden Euro, welches das Unternehmen mit Sportwetten macht.
Europas größter Wettanbieter bietet zig Sportarten, unzählige Länder und vor allem sehr viele Ligen zur Auswahl an. Auf alles Mögliche kann hier gesetzt werden. Spielausgänge, konkrete Ergebnisse und Torschützen, wie viele Tore geschossen werden. In einzelnen Wetten, Kombinationen aus unterschiedlichen oder leicht komplizierteren Systemwetten. Im Bereich der Sportwetten erscheint nichts unmöglich.
Tipico verzichtet auf Wetten im Amateurbereich
Bis vor ein paar Jahren ließ sich hier auch noch auf die Oberliga Westfalen tippen. Auch auf andere Amateurligen. Mittlerweile verzichtet Tipico darauf, auch auf Wetten im Jugendbereich.
„Tipico ist drauf angewiesen, dass so viele Spiele wie nur möglich da sind“, erklärt Rafael Buschmann. Er ist Journalist, war jahrelang beim „Spiegel“ und ist ein Fachmann, wenn es um die Strukturen im Hintergrund des Fußballs geht. Buschmann schrieb die beiden Bücher „Football Leaks“, enthüllte zahlreiche Hintergrundgeschäfte in der professionellen Fußballwelt.

Neben Tipico gibt es unzählige andere Wettanbieter, die miteinander konkurrieren. Um Spielangebote, Quoten und Einsatzmöglichkeiten.
„Ich halte es für relativ einfach, jedes Fußballspiel dieser Welt zu manipulieren“, sagt Buschmann. Ein Innenverteidiger würde dafür ausreichen. Spiele dieser 89 Minuten gut, macht dann aber in letzter Minute den entscheidenden Fehler, kann das Spiel in eine ganz andere Richtung laufen.
„Je professioneller der Bereich, desto mehr Kameras hast du. Dann wird es umso schwieriger, Einfluss zu nehmen. Im Amateurfußball ist die Tür geöffnet, du musst nur die Anbieter finden“, sagt Buschmann.
Wenige Jahre ist es her, da war das im Amateurbereich vom Papier her eine relativ leichte Sache. Ende 2013 ließ sich in Nordrhein-Westfalen unter anderem auf die Kreisliga in Münster und die Bezirksliga in Essen wetten. Ohne größere Probleme. Wetten auf das unterste Fußballniveau. Ausgang bei vielen Spielen - komplett ungewiss. Die Quoten zu den Duellen sind anhand der Tabellenstände ausgerechnet worden. Laut einem Bericht der „Welt“ machte die Staatsanwalt Bochum damals darauf aufmerksam, dass die asiatische Wettmafia den Markt der Amateurspiele für mögliche Manipulationen im Visier hat.
Wie das funktionieren kann, hat Fußball-Deutschland ein Jahr später in Hamburg erlebt. Dort platzte die Wettblase im Amateurfußball vorläufig. Spieler gestanden Manipulationen. „Mein höchster Gewinn lag bei 2000 Euro mit einem Spiel“, sagte ein Spieler anonym in einer Video-Reportage bei „Elbkick.tv“. Ein anderer verriet: „Das machen viele Spieler, sogar regelmäßig.“
Verdachtsfälle von Spielmanipulation in Bremen
Aktuelle Entwicklungen zeigen, dass dieses Thema nicht nur in Hamburg relevant war. Laut einem Bericht von „buten un binnen“ gab es 2022 auch in Bremen mehrere Verdachtsfälle von Spielmanipulation im Amateurfußball. In der Bremen-Liga wurden rund 40 Prozent der Spiele für Live-Wetten angeboten, obwohl Sportwetten im deutschen Amateurfußball verboten sind. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft liefen jedoch ins Leere, da der Nachweis von Manipulationen in diesem Bereich äußerst schwierig zu führen ist. Der Bremer Fußballverband war über diese Ermittlungen nicht informiert und fordert, dass solche Wetten in Zukunft nicht mehr möglich sein sollten.
Im Hamburger Amateurfußball sind Sportwetten „ein heikles Thema“
Niklas Heiden weiß bestens über die Amateurfußball-Szene in Hamburg Bescheid. Er betrieb jahrelang das Amateurfußball-Portal „Amateur Fußball Hamburg“, kennt die Vereine, die Spieler und vieles von dem, was hinter den Kulissen abläuft. „Sportwetten sind ein heikles Thema“, sagt Heiden. „Darüber wurde bereits lange vor 2014 geredet. Dann gab es diesen großen Skandal, aber alles war vorher schon bekannt. 2014 hat ein bisschen dafür gesorgt, dass darüber gar nicht mehr geredet wird.“
Der Verband hatte im Anschluss die Regeln verschärft, das Thema flachte ab. Laut Heiden ist es mittlerweile keine große Sache mehr im Norden. „Seit diesem Fall 2014 ist es für viele Spieler deutlich heikler geworden“, sagt Heiden.
Hinzu kommt: An so gut wie jedem Sportplatz sind ab einem gewissen Niveau, meist Landesliga aufwärts, Scouts, Reporter und auch Kameras für Live-Übertragungen vor Ort, die einen Betrug mehr als schwierig gestalten.

„Früher war es immer mal wieder ein Thema. Im Moment, natürlich auch wegen Corona, ist es nicht mehr der Fall“, erklärt Heiden.
Unsere Redaktion fragte vier Spieler in Hamburg an, die für drei unterschiedliche Vereine in der Oberliga spielen und bereits 2014 in Hamburg aktiv waren. Keiner wollte reden, alle lehnten ein Gespräch sofort ab.
„Der Fußball verlangt den Spielern sehr, sehr viel ab“, sagt Rafael Buschmann, „zeitlich und existenziell.“ Oberliga-, aber auch Regionalliga-Spieler trainieren auf professioneller Basis, verdienen aber nicht dementsprechend wie die Profis aus den höchsten Ligen. Die Regionalligen teilen sich dabei auf in Ligen mit Zweitvertretungen, Traditionsmannschaften, semiprofessionellen und Amateur-Teams.
Buschmann sieht dort viele Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen für sogenannte Match fixer, die Spiele manipulieren wollen, um auf den Ausgang zu wetten, da Spieler auf Geld angewiesen sind.
Niklas Heiden findet das schwierig. Er sagt: „In der Regionalliga sind viele Spieler, die Ambitionen haben, höher zu kommen.“ Sollten diese dabei erwischt werden, Spiele manipuliert oder sich an Sportwetten im eigenen Spielbetrieb bereichert zu haben, drohen Sperren von mehreren Jahren.
Zudem weist Heiden auf Sportradar hin. Ein Unternehmen aus der Schweiz, welches mit seinem Frühwarnsystem auf mögliche manipulierte Spiele aufmerksam machen soll.
Entwickelt wurde das System 2005. Nach dem größten Wettskandal Deutschlands im professionellen Fußballs, als um Schiedsrichter Robert Hoyzer zahlreiche Spiele im DFB-Pokal und der 2. Bundesliga manipuliert worden sind.

Staat nimmt fast zwei Milliarden Euro durch Sportwetten ein
Sportradar analysiert, wo Quoten sich verändern, Einsätze in die Höhe schießen und warnt Verbände sowie Ligen vorzeitig, wenn es Unregelmäßigkeiten bei einer Partie gibt.
„Sportradar ist ein problematisches System“, sagt hingegen Buschmann. „Das Unternehmen arbeitet für die Verbände, aber auch die Wettanbieter.“ Interessenkonflikte seien möglich.
Welche Sportwetten im Amateurbereich weiterhin angeboten werden, ist noch ungewiss. Das hängt von den jeweiligen Anbietern ab. Der Markt der Sportwetten boomt aber mehr denn je, die Möglichkeiten sind groß. Jede Firma möchte den Konkurrenten mit noch mehr Möglichkeiten übertrumpfen.
Wettbüros durften trotz Lockdown offen bleiben
Welchen Stellenwert die Wettstuben haben, die es in vielen Städten teils an jeder Ecke gibt, ist während des Coronavirus-Lockdowns deutlich geworden. Während beinah alle Geschäfte wegen der Coronavirus-Pandemie zu waren, durften Wettbüros weiterhin aufhaben. Sie sind eine wichtige Steuereinnahmequelle in Deutschland. Beinah zwei Milliarden Euro waren es allein im Jahr 2019.
Übrigens waren die rund 42.000 Euro am Montagabend nicht der höchste Gewinn des Tages. Ein weiterer Wettschein machte im Anschluss an die beiden Achtelfinalspiele die Runde über Facebook, Instagram und Twitter. Die gleichen Tipps, dieses Mal fünf Euro Einsatz.
Der Gewinn: Mehr als 100.000 Euro.