Paul Helfer (37) und Eving Selimiye Spor schrieben schon einige Kapitel einer Erfolgsgeschichte. Momentan hakt es beim Elften der Bezirksliga aber mächtig. Das aktuelle Kapitel mit einem Punkt aus vier Spielen trägt die Überschrift „Einstellungsproblem“. Das ist nämlich die Erkenntnis des Trainers, wie er in einem bemerkenswerten Interview kundtut.
Paul, die Frage, woran es hakt, lässt sich in wenigen Worten wohl kaum beantworten. Was aber war genau beim 0:5 gegen Lohauserholz passiert?
Ich hätte gerne mit einer Phrase geantwortet, dass dies ein Tief ist, das eine Mannschaft im dritten Bezirksliga-Jahr mal haben darf. Ich sehe das aber, um ehrlich zu sein, als Mentalitätsgeschichte.
Du warst schon immer ein Mann klarer Worte. Führe deinen Gedanken doch gerne aus...
Die naheliegende Erklärung ist, dass die Mannschaft die Spiele zu sehr auf die leichte Schulter nimmt. Aber die Liga ist stärker geworden, selbst wenn wir dachten, dass dies mit dem Abschied von TuS Eichlinghofen und Kirchhörder SC nicht so kommen würde. Dann haben wir nur einen Absteiger. Das spielt in den Hinterköpfen auch eine Rolle, wobei das doch kein Anlass sein dürfte, so in die Spiele zu gehen.
Wenn wir bei auf den ersten Blick naheliegenden Erklärungen sind, könnte der Abgang eures Torjägers vom Dienst Anil Can Mert eine Rolle spielen.
Auch das wäre zu einfach. Aber was Can gemacht hat, war auch im Angriff zu verteidigen. Er war nicht nur Torjäger, sondern hätte jetzt gegen Lohauserholz mit dafür gesorgt, keine fünf Gegentore zu kassieren. Aber die Jungs aus dem aktuellen Kader wissen das auch, wie das geht. Wir waren so auch lange erfolgreich.
Heißt das also, die Mannschaft setzt auf die falschen Tugenden?
In solchen Spielen definitiv. Ich bin mir sicher, im letzten Spiel des Jahres gegen den SC Osmanlispor sieht das anders aus. Die Spieler kennen sich, da fahren sie hoch und kämpfen. Meine Mannschaft aber meint derzeit sonst, alles spielerisch lösen zu können. Ich habe das sogar gefördert. Das funktionierte in der Kreisliga A wunderbar, die vergangenen Jahre mit dem fünften und siebten Rang waren auch gut, aber in solchen Spielen muss das anders laufen. Ich sage doch auch nicht: Ihr müsst das zwingend spielerisch lösen.
Also sollen die Jungs ‚dreckig‘ spielen?
Ja, ich weiß auch, wie abgedroschen das klingt: Aber wir müssen Gras fressen. Früher war das nicht nur ein Bild, sondern da hattest du manchmal wirklich Halme im Mund. Und wir müssen nicht mit Pass-Spiel Tore verhindern, sondern indem wir den Ball auch mal rauskloppen. Ich habe immer in Erfolgszeiten gesagt, dass wir Fußball auch spielen und dabei auch Spaß haben wollen. Aber wir müssen lernen, mit anderen Gegebenheiten umzugehen. Dann gilt es eben auch mal, zu kratzen und zu beißen. Am Ende ist Fußball eben doch ein Ergebnissport.

Bekommst du das in die Köpfe deiner Jungs?
Das ist schwierig. Ich will jetzt nicht über alle jungen Spieler herziehen. Vielleicht spielte auch Corona eine Rolle, als die Fußballer nicht auf den Platz durften. Für mich ist das ein bisschen eine Generation FIFA. Sie will spielen wie ihre Figuren auf der Playstation. Sie wollen wie Barça auftreten, können es aber nicht. Denn sie bringen die Voraussetzungen nicht mit. Das ist ja auch gar nicht schlimm, aber dann müssen sie eben so spielen, wie es mit ihren Fähigkeiten möglich ist. Und da ist der einfache Weg eben der bessere.
Welche Rolle spielt die Trainingslehre?
Eine sehr große! Diese ganze Tiki-Taka-Verherrlichung schadet dem Amateurfußball, weil wir eben nicht Barcelona oder Madrid sind. Ich habe einen Spieler, der bei RW Ahlen und Westfalia Herne im Nachwuchsbereich war. Der spielt Eins-zu-Eins-DFB-Lehrgang. Aber im Abstiegskampf jetzt fällt ihm alles schwer. Die Trainingslehre, die du ansprichst, ging jahrelang in eine für Amateure auf Bezirksliga-Niveau falsche Richtung. Ich habe selbst während DFB-Schulungen erlebt, wie Trainer lernen sollen, Laptop-Fußball zu vermitteln. Da soll am besten auf dem Platz nichts dem Zufall überlassen werden. Und plötzlich höre ich: Wir brauchen wieder Straßenfußballer. Die gibt es in dieser Generation aber natürlich kaum, weil wir ja taktisch perfekt geschulte Talente wollten. Und der Instinkt, den fast alle Fußballer haben oder entwickeln könnten, bleibt auf der Strecke. Ich finde ja auch, dass sich Fußballer auch in unteren Ligen entwickeln und intelligent spielen sollen. Aber das geht viel zu weit.
Bist du als Kind einer Sportlerfamilie, die damals aus der DDR geflüchtet war, da nicht beides? Denn du bist im Nachwuchsbereich der SG Wattenscheid groß geworden und hast nur wegen einer Verletzung nicht höher als Westfalenliga gespielt.
Ich will mich hier bestimmt nicht rühmen. Aber ja, ich habe früher auf Garagenhöfen und Bolzplätzen gekickt und bin dazu auch zum Training gegangen. Aber die Trainingslehre war zu meiner Juniorenzeit eben auch noch eine andere. Wir haben Taktik gelernt, wussten aber, dass wir in bestimmten Situation nur kämpfen und den Ball rauskloppen mussten. Alles mag ja seine Zeit haben. Aber wenn sich jetzt Leute wundern, dass wir keine Straßenfußballer mehr haben, dann sollten sie einfach mal einen Lehrgang mit moderner Trainingslehre besuchen und sehen, dass genau dieser Straßenfußball nicht gefordert wird. Ich habe gelernt und gebe es auch weiter, dass Fußball ein Ergebnissport ist. So sollen meine Mannschaften dann spielen.
Wie gehst du damit im Training um?
Die Jungs spielen in der Bezirksliga. Wir haben zwei Trainingseinheiten während der Woche. Ich habe da keine Zeit, den Spielern die Grundlagen des Fußballs zu erklären. Wenn sie diese nicht von der Pike auf gelernt haben, dann ist es auch zu spät. Wir arbeiten an der Fitness und wollen das in der Jugend gelernte weiterentwickeln. Aber jetzt müssen wir uns auf die aktuelle Situation einstellen und einfach auf Ergebnis spielen. Dann kommen wir noch vor der Winterpause, auf die ich mich übrigens sehr freue, aus dem Gröbsten heraus. Serkan Erdogan kommt dann zurück. Volkan Yildirim, unser Neuzugang aus Körne, ist endlich gesund und wie ein Neuzugang. Wir werden die Kurve dann wohl auch kriegen.
Das ist überhaupt nichts gegen Eving Selimiye Spor, einen Verein, der sich bemerkenswert entwickelt. Aber bist du nicht ein Mann für höhere Ligen?
Zunächst möchte ich vorwegschicken, dass ich immer zu meinem Wort stehe. Und das fällt mir in Eving auch sehr leicht. Die vergangenen drei Jahre war ich sehr gerne hier. Der Verein gab mir immer das Vertrauen, eine Mannschaft zu entwickeln. Ich mag den Klub mit seinen engagierten Menschen sehr, aber mein Arbeitskollege Mutlu Kocagöz, der mich ja nach Eving geholt hatte, weiß wie einige andere im Verein, dass ich schon Angebote hatte. Weil ich immer früh meine Zusage gegeben hatte, um dem Verein Planungssicherheit zu geben, wäre es für mich nie infrage gekommen, zu wechseln. Nur kommt für mich irgendwann auch der Zeitpunkt, mich in Richtung ambitioniertere Ligen zu entwickeln. Eving stößt irgendwann an Grenzen, weil der Verein nichts Verrücktes macht. Aber ich kann mir durchaus vorstellen, höher zu trainieren.
Von welchem Zeitrahmen sprechen wir?
Ich werde in diesem Winter nicht früh verlängern, aber wir werden gemeinsam eine erfolgreiche Rückserie anpeilen. Alles andere ist noch offen.
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