Früher schauten hier bis zu 6000 Menschen Amateurfußball.

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Traurige Bilder: Das ist aus traditionsreichen Fußballplätzen Dortmunds geworden

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Der Amateurfußball in Dortmund verändert sich, genau so wie die Anlagen der Vereine. Einige Plätze von damals gibt es mittlerweile gar nicht. Sie sind zugewuchert, Supermärkte oder Wohnhäuser.

Dortmund

, 21.06.2021, 16:00 Uhr / Lesedauer: 5 min

Heute stehen Einkaufswagen, parkende Autos oder Wohnhäuser da, wo es einst richtig hoch herging. Die alten Sportplätze waren eng und zumeist sehr speziell.

Schweiß lag in der Luft. Vereine zogen um und verließen ihre traditionsreichen Sportstädten. In der Regel gewollt, da die Klubs modernere Plätze erhielten.

Erster Halt im Dortmunder Westen

Was bleibt, sind aber Erinnerungen an eine Zeit, in der nicht nur die Plätze enger waren, sondern laut Erzählungen auch die Bindung der Fußballer zueinander. Fahren wir also durch Dortmund und sehen uns an, was da heute ist, wo sie früher um Punkte kämpften und sich anschließend wieder vertrugen.

Die Reise beginnt ganz im Westen unserer Stadt, wo sich die Lütgendortmunder Fußball-Emotionen jenseits der Provinzialstraße entluden. Heute kickt die SG an der Idastraße, Hellweg und Urania teilen sich den Platz an der Limbecker Straße.

Traditionsreichster Ort war das Rauhe Holz. Heute macht der Fleck Erde dem Namen wieder alle Ehre. Gras und Sträucher wuchern, die Größe des Platzes lässt sich nur noch erahnen. Das Vereinsheim ist eine Ruine. Die Natur holt sich den Platz zurück. Aber bald gibt sie ihn zurück an die Menschen. Dann wohnen Menschen da, wo Peter Tomaschewski vor Jahrzehnten seine schönste Zeit im Fußball mit Hellweg erlebte. „Das kann sich heute keiner mehr vorstellen, dass fast 6000 ins Rauhe Holz kamen, um uns gegen Erkenschwick spielen zu sehen. Ich weiß wirklich nicht, wie die da alle hingepasst haben. Jedenfalls saßen viele in den Bäumen. Und wir als Spieler sind kaum auf den Platz gekommen.“

Kaum zu glauben, dass auf diesem Fleckchen zugewucherte Erde mal über 5000 Menschen Fußballspiele sahen. Die Bäume, in denen viele von ihnen saßen, stehen noch.

Kaum zu glauben, dass auf diesem Fleckchen zugewucherte Erde mal über 5000 Menschen Fußballspiele sahen. Die Bäume, in denen viele von ihnen saßen, stehen noch. © Nähle

In der Tat benötigt der heutige Besucher der Anlage viel Phantasie, um sich 6000 Menschen hier vorzustellen. Aber es ging. „Und viel war anders als heute. Selbst zu Oberliga-Zeiten, wir kratzten fast an der Vormachtstellung des in die 2. Liga abgestiegenen BVB, blieben wir nach den Spielen mit vielen Leuten zusammen. Die Handys haben viel Leben am Platz beendet.“

Als Tomaschewski Anfang der Achtziger ging, kam Eckehard Eigenwillig. Und er brachte Torlaune mit. Mit dem Rauhen Holz verbindet Eigenwillig generell „tolle Erinnerungen“ und im Besonderen ein Highlight seiner Karriere: „Gegen die Sportfreunde Siegen traf ich fünfmal. Das vergesse ich natürlich nie.“

Seit 2018 ist für die Lütgendortmunder dort Schluss

Langsam aber näherte sich Mitte der Achtziger die große Hellwegzeit dem Ende. Vier Trainer erlebte Eigenwillig in vier Jahren: Reinhold Mathes, den großen Lothar Emmerich, Werner Kötter und Mustapha Mahyoub. Lang ist es her.

Für eine weitere Ära standen SG Lütgendortmunds später erfolgreiche Frauen, die nach der Jahrtausendwende als Zweitligist zwar nicht annähernd die Zuschauerzahlen der Hellweger erreichten, aber einen Hauch von bekannten Namen ins Rauhe Holz holten. Gegner hießen Tennis Borussia Berlin oder Turbine Potsdam. 2018 war hier für alle Lütgendortmunder Schluss.

Wohnungen entstehen, woanders sind sie längst fertig. Wer nicht ganz ortskundig ist und den Harpener Hellweg Richtung Westen nimmt, fragt sich mehrere Kilometer: „Bin ich in Dortmund oder Bochum?“ Die Straße führt durch beide Städte, ehe sie da ankommt, wo heute keiner mehr einen ehemaligen Sportplatz vermutet hätte, wenn er nicht die „Holte Kreta“ von früher kannte. Die Strukturen des Sportplatzes sind nicht mehr erkennbar.

Früher fürchteten die Gäste die Holte Kreta, heute freuen sich Besucher über Gastgeber, die in schicken neuen Häusern wohnen.

Früher fürchteten die Gäste die Holte Kreta, heute freuen sich Besucher über Gastgeber, die in schicken neuen Häusern wohnen. © Nähle

„Das war ein besonderes Völkchen da zwischen BVB und VfL, aber auf Dortmunder Boden“, hilft Tomaschewski ehemaligen Besuchern des Platzes auf die Sprünge. „Wer zur Holte Kreta hochkam, musste richtig arbeiten. „Toma“ muss es wissen, hatte er die hier beheimatete Urania mehrere Jahre in den neunziger Jahren heißgemacht. Die Zuschauer fühlten sich besonders unter dem Dach vor und neben dem Vereinsheim wohl.

Rekord zur Tomaschewski-Zeit waren 900. „Toma“ und „Ecki“, unter diesen Namen kannte sie jeder, avancierten zu populären Trainern im Dortmunder Fußball. Eigenwillig erinnert sich an heiße Derbys mit seinem späteren Verein TuS Eving-Lindenhorst bei Urania, einmal ging es um den Aufstieg. „Oh ja, da war richtig Pfeffer drin.“

Heute: Keine Enge mehr unter dem Flutlichtmasten! Wo Stürmer Atacan Erciyas einst nach Belieben traf, wohnen Leute, die – wollen sie die Urania sehen - auf die „Dorf“-Seite zur Limbecker Straße laufen oder sogar fahren, vorbei an VfL- und BVB-Fahnen.

Im Dortmunder Osten hingen Eckballschützen im Zaun

Wir verlassen den Dortmunder Westen. Auch im Osten wechselten Vereine die Seiten, allerdings die des Hellwegs. Kickten TuS Körne und Westfalia Wickede früher nördlich der alten Handelsstraße, zogen sie vor einiger Zeit weiter südlich.

Was der TuS Körne an der Stuttgartstraße anzubieten hatte, war nicht nur einzigartig, sondern von den Verhältnissen her so schlecht, dass es schon wieder Kult war. Rasen in einigen Ecken, sonst Uraltasche, hinter einem Tor führte eine Mauer her, auf der Gegengerade standen die Zuschauer auf einem Hügel. Absolutes Highlight aber war die Nordostecke des Platzes. Hier hingen die Eckallschützen im Zaun, sollten sie keine kurze Ecke aus dem Stand schießen wollen. Der Platz war da schlichtweg zu Ende.

Hier ungefähr an der Stuttgartstraße muss der Punkt gewesen sein, wo die besten Eckballschützen Probleme wegen mangelnden Anlaufplatzes bekamen.

Hier ungefähr an der Stuttgartstraße muss der Punkt gewesen sein, wo die besten Eckballschützen Probleme wegen mangelnden Anlaufplatzes bekamen. © Nähle

„Für uns“, erinnert sich der Vorsitzende Andreas Langner, „war der Platz natürlich ein echter Heimvorteil.“ Einige Gastmannschaften fielen offenbar sogar vom Glauben ab.

Langner muss nicht lange in seinem privaten im Gehirn gespeicherten Anekdotenarchiv suchen: „Wir empfingen als Bezirksliga-Aufsteiger Union Lüdinghausen. Die fragten uns dann, wo denn das Spiel angepfiffen würde. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass sie bereits auf dem Feld standen.“

Langner erinnert sich an die Tage, an denen sich das Wasser in zwei Ecken staute. „Aber wir haben fast alle Spiele immer ausführen können. Und die Leute standen gerne auf dem Berg. Ich glaube, viele fühlten sich da sehr wohl.“

Der Dortmunder Kult-Fußballer und -Trainer Axel Schmeing, der gerne immer wieder von sich behauptet, keiner hätte den Titel in der Halle so verdient wie er, hatte als Spieler der Wickeder und Trainer der Körner auch so seine Erinnerungen an beide Plätze im Freien. „Wenn ich als Gast zum TuS kam, wusste ich nie, welche Schuhe ich anziehe, die für Asche oder die für Rasen. Als ich dann Trainer da war, spielte der TuS ja schon am Zippen.“

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Den Heimvorteil nahe am Hellweg und mit Grün umgeben genießen jetzt Körner, die hier in neuen Häusern leben. Wer vom Parkplatz hinter dem Ärztehaus am Hellweg nach unten blickt, hätte sich zu Füßen die Südseite des Platzes.

Es war einfach damals überall eng. Am Zippen kickten die Körne zunächst auf Asche, ehe sie vor einigen Jahren Kunstrasen erhielten. Im Übrigen ist auch der neue Platz verhältnismäßig eng.

Ungemütlich für Gastmannschaften

Ganz im Osten gab es dann noch solch einen Hexenkessel. An der Eichwaldstraße hatte die Westfalia ihr Domizil. „Eingepfercht zwischen Kirche und Jugendtreff“, erinnert sich Schmeing, „der hier immer gerne gerohrt hat“. Heute kaufen die Wickeder da, wo Amateurfußball pur lebte, der Schweiß und so manches Bierchen floss, in zwei großen Supermärkten ein.

Im neuen Pappelstadion kann es heute noch wegen der emotionalen Atmosphäre für Gastmannschaften ungemütlich sein. Wenn sich diejenigen, die nie im alten Stadion waren, nun vorstellen, wenn dieses Publikum noch enger am Platz stand, wissen sie in etwa, dass Wickede nur für die Spaß war, die genau solch eine Atmosphäre brauchen, um sich zu pushen.

Früher bestach das alte Pappelstadion durch eine gemütliche Enge, heute stehen hier an der Eichwaldstraße große, moderne Supermärkte.

Früher bestach das alte Pappelstadion durch eine gemütliche Enge, heute stehen hier an der Eichwaldstraße große, moderne Supermärkte. © Nähle

Schmeing war als Spieler so einer, er profitierte als langjähriger Westfalia-Kicker auch von der Stimmung. „Für mich war das eine tolle Zeit damals. Wir sind da auf-, aber auch abgestiegen. Gefeiert haben wir oft und ausgiebig. Das Schöne war: Wenn du über die Bande sprangst, warst du fast schon im Vereinsheim. Das war richtig gemütlich.“

Auch heute hebt die Westfalia ihr Ehrenamt gerne hervor. Schon früher hatte Schmeing diese Einstellung der Wickeder zu ihrem Klub beeindruckt. „Da liefen ja mehr Betreuer als Spieler rum.“

Auch die vielen Helfer nehmen die Erinnerungen mit und denken, wenn sie mal an den Häusern oder Geschäften vorbeikommen, wo sie früher Erfolge feierten und bittere Tränen weinten, an die Zeiten, als Kinder keine Alternative zum Fußball auf Asche und in ihrem Verein sahen. Sie wurden dann praktisch vor der Haustür mit dem Fußball groß. Heute ließe sich wohl kein Kind und auch ambitionierter erwachsener Fußballer mehr auf solch einen Platz locken. Aber die Alten werden ihnen sagen: „Wir haben hier den Fußball gelebt und geatmet.“