Licht aus. Spot an. Vorhang auf für die Olympiasiegerin im Kugelstoßen. Strahlend und winkend läuft Yemisi Ogunleye im Scheinwerferlicht in die Dortmunder Helmut-Körnig-Halle, und die 3300 Zuschauer des Indoor-Meetings erheben sich applaudierend von ihren Plätzen. Eine Standing Ovation für Kugel stoßende Frauen, wann hat es das in Deutschland mal gegeben?
Die Überraschungs-Olympiasiegerin von Paris jedenfalls muss sich an die ungewohnten Beweise der Zuneigung beim Indoor Meeting am 18. Januar erst einmal gewöhnen, wie sie nach ihrem siegreich absolvierten Saisonauftakt in der Westfalenmetropole zugibt.

„Es ist einerseits ein wunderbares Gefühl, so wie hier empfangen zu werden, das habe ich lange nicht erlebt. Die plötzliche Prominenz ist natürlich eine große Veränderung. Es kann irgendwann auch zu einer Last werden“, sagte die 26 Jahre alte Leichtathletin.
Meldete sich vor ihrem Triumph unter den olympischen Ringen maximal mal der Lokalreporter des „Mannheimer Morgen“, stehen plötzlich „Spiegel“ und „Stern“ auf der medialen Matte.
Ogunleye hat sich zum Schutz vor einem „zu viel“ in ihrem Umfeld Hilfe geholt, um bei all den Anfragen „Spaß und Leichtigkeit für den Wettkampf nicht zu verlieren“, wie die 1,85 Meter große Sportsoldatin mit der positiven Ausstrahlung zugibt.
Yemisi Ogunleye siegt scheinbar mühelos
„Die öffentliche Aufmerksamkeit bringt auch viel Verantwortung mit sich. Einerseits möchte ich Leichtathletik in Deutschland wieder groß machen, andererseits darf ich meinen Fokus nicht verlieren. Bei allem Druck von außen: Ich bleibe in meinen Erwartungen realistisch.“
Dass das prima gelingt, zeigte Yemisi Ogunleye beim Auftakt ins Jahr in Dortmund, wo sie die Eisenkugel unterm Hallendach scheinbar mühelos auf 18,98 Metern wuchtete und die Konkurrenz in die Schranken wies.
Ballett, Turnen, Leichtathletik
„Im letzten Jahr habe ich die Hallen-Saison mit 19,57 Meter begonnen. Da war ich trainingsmäßig allerdings schon wesentlich weiter als heute“, sagte Ogunleye, die nach einem Trainingslager zu Jahresbeginn in Südafrika zuletzt in der Sportschule Kienbaum besonders im Kraftraum gearbeitet hat.
Fest eingeplant hat die Olympiasiegerin, die als 13-Jährige über Ballett und Turnen zum Siebenkampf und damit zur Leichtathletik fand, einen Start bei den Hallen-Europameisterschaften. Ob sie auch an den Hallen-Weltmeisterschaften in Nanjing (China) vom 21. bis 23. März 2025 teilnehmen wird, lässt sie momentan noch offen. Immerhin hatte die 26-Jährige im Vorjahr dort die Bronzemedaille abgestaubt.

Ihre Erfolge der jüngeren Vergangenheit haben nicht Ogunleyes Blick vernebelt für die Probleme des deutschen Sports, denn die Auswirkungen spürt sie direkt, wie sie vor Weihnachten dem Stern verriet: „Die Realität ist, dass der Olympiasieg nicht mal absichert, dass ich meinen Sport in den nächsten Jahren weiterhin professionell betreiben kann. Eigentlich traurig, oder?“
Mit Blick ins Portemonnaie sagte sie: „Es ist absurd: Während der Sommerspiele dreht sich alles um Medaillen, sie sind offenbar das Einzige, was zählt. Gewinnt man dann Gold, hält sich die Wertschätzung trotzdem in Grenzen“, sagte Ogunleye, die von der Sporthilfe 20.000 Euro als Prämie bekommen hatte - vor Steuern.
Die Summe, die netto übrig bleibe, „reicht nicht aus, um die strukturellen Probleme zu kompensieren. Ich muss um alles kämpfen, um jedes Trainingsgerät, um jeden Medizinball, den ich brauche.“
Sportler besser fördern
Im Land würden zwar mehr Medaillen gewollt. „Aber anscheinend nicht so sehr. Man erwartet Erfolg, aber wirklich bereit, die Sportler an diesen Punkt zu bringen, ist man nicht“, sagte Ogunleye und fordert eine grundlegende Reform.
„Im deutschen Sport haben wir kein Förder-, sondern ein Belohnungssystem. Wir sollten die Sportler fördern, wenn wir ihr Potenzial erkennen. Und nicht erst dann, wenn sie es längst einlösen.“