Wir treffen Henk Groener in einem kleinen Café im Kreuzviertel, das er selbst ausgesucht hat. Auf die Frage, ob dies sein Lieblingsbistro in Dortmund sei, antwortet der Niederländer mit einem Lächeln: „So viele kenne ich in Dortmund noch nicht. Aber die Spielerinnen haben es mir empfohlen.“
Der ehemalige Nationaltrainer der deutschen und niederländischen Frauenhandball-Nationalmannschaft hat beim BVB die Nachfolge von André Fuhr angetreten, der wegen psychischer Missbrauchsvorwürfen zuerst freigestellt und dessen Vertrag später aufgelöst wurde. Viele BVB-Spielerinnen kennt Groener noch aus seiner Zeit als Nationalcoach. Mit dem Dortmunder Kader sei etwas möglich – auch wenn es an Balance fehlen würde, wie er im Interview betont.
Interview mit Henk Groener
Herr Groener, wie lief Ihr erster Kontakt zur BVB-Mannschaft?
Damit wir uns besser kennenlernen, habe ich mit den Spielerinnen bereits erste Gespräche geführt. Dabei waren die vergangenen Wochen und Monate natürlich auch ein Thema. Wenn ich die Geschichten der betroffenen Spielerinnen höre oder lese, sind Dinge angedeutet worden, weswegen sich viele Menschen fragen müssen, ob nicht eher etwas hätte auffallen können.
Stellen Sie sich diese Frage auch selbst?
Als ich bei der Vorbereitung und zu Beginn der EM 2020 wegen Corona nicht als Trainer der deutschen Nationalmannschaft dabei sein konnte, gab es, wie mir berichtet wurde, bereits Spielerinnen, die wegen des Vorhabens André Fuhr als Unterstützung in den Trainerkader reinzunehmen, Bedenken geäußert haben.
Dieses Thema ist damals vor Ort mit dem Mannschaftsrat besprochen worden. Es gab danach zwar immer wieder mal Gerüchte aus der Liga, aber nur wegen Gerüchten kann ich leider nichts machen. Als mir dann etwas Handfesteres zugetragen wurde, habe ich das sofort weitergeleitet. Ich bin auch auf Amelie (Berger, Anm. d. Red.) und Mia (Zschocke, Anm. d. Red.) sehr stolz, dass sie so mutig gewesen sind, ihre Geschichte trotz Widerstands an die Oberfläche zu tragen.
Wie kann der Einsatz der Beiden auch langfristig gewürdigt werden?
Was Amelie und Mia aufgedeckt haben, ist definitiv ein Systemfehler und ein Problem von Macht und wie man damit umgeht. Und das über den Sport hinaus. Wo Erfolg entstehen soll, darf die Moral nicht leiden.
Deswegen ist die Causa André Fuhr nur ein Beispiel für Machtverhältnisse, die aus den Fugen geraten sind. Wir müssen uns für die Zukunft Gedanken machen. Im Sport muss zum Beispiel das Trainerideal vom „harten Hund“, dem man Respekt entgegenbringt, überdacht werden.
Zwischen der Enthüllungen und der Freistellung von André Fuhr und Ihrem Start beim BVB liegen ein paar Wochen. Mussten Sie sich die Entscheidung wegen der aktuellen Situation lange überlegen?
Ich habe eine private Agentur, bin Dozent am Johan-Cruyff-Institut und hatte im Oktober bereits festgelegte geschäftliche Verpflichtungen. Deswegen konnte ich den Trainerposten beim BVB erst zum 1. November antreten.
Vergangenes muss verarbeitet werden, es gibt die Doppelbelastung durch die aktuell laufende Europameisterschaft, bei der einige von Ihren Spielerinnen dabei sind. Was ist diese Saison möglich?
Mit dem Dortmunder Kader ist definitiv etwas möglich. In der Liga sind Erfurt und Bietigheim sehr starke Mannschaften. Diese Saison muss jetzt das Ziel sein, das Vergangene zu verarbeiten und die Spielerinnen auf das Level zu bekommen, das mit ihnen möglich ist.
Kurzfristig wird aber natürlich wichtig sein, wie die Spielerinnen von der EM wiederkommen. So ein Turnier ist immer eine hohe physische und mentale Belastung. Wir haben im Verein im Anschluss auf der EM direkt vier Spiele in zehn Tagen. Es wird also spannend.

Welchen taktischen Ansatz verfolgen Sie und passt der Kader zu Ihrer Spiel-Idee?
Spielerisch werden wir weiterhin aus der Abwehr heraus mit schnellem Umschaltspiel nach vorne agieren. Ähnlich wie ich es mit der Nationalmannschaft gespielt habe. Das ist eine effiziente Manier, um erfolgreich zu sein. Dann geht es aber auch darum, in der Offensive nicht nur von Alina (Grijseels, Anm. d. Red.) abhängig zu sein. Sie wird ihre besondere Rolle da weiterhin spielen. So wie gerade bei der EM. Da bin ich schon sehr stolz auf sie. Aber auf Dauer brauchen wir Variation und Breite in unserem Spiel.
Ansonsten wirkt der Kader für mich zunächst noch nicht komplett ausbalanciert. Wir haben viele unterschiedliche Typen in der Mannschaft. Vielleicht müssen wir im Rückraum schauen, weil wir dort mit Sara Garovic nur eine Linkshänderin haben. Sie sucht aus privaten und verletzungstechnischen Gründen gerade noch etwas nach ihrer Form. Da haben wir aber jetzt Zeit dran zu arbeiten und ich bin zuversichtlich, dass wir sie voranbringen werden.

Wir haben gehört, Sie wollen eine besondere Kooperation wieder aufleben lassen. Was hat es damit auf sich?
Wir führen wieder Gespräche mit der TU Dortmund. Dabei geht es um Belastungssteuerung und Verletzungsprophylaxe. Mit jedem Trainer ändert sich dort auch immer die Art der Zusammenarbeit. Ich möchte nun gemeinsam etwas entwickeln. Dabei geht es grundsätzlich darum, dass der Weg einer jugendlichen Handballerin zu einer Profihandballerin professionell abläuft.
Die Bedeutung eines solchen Weges sehen wir vor allem an den vielen Muskel- und Kreuzbandverletzungen. Das betrifft auch nicht nur den BVB. Ab der B-Jugend müssen die Spielerinnen mit einem gut organisierten Programm einsteigen können, denn jede hat einen anderen Körper, ein anderes Profil. Wenn ich 15-, 16-Jährige jeden Tag nur in die Halle schicke, dann können mit 18 schon Verletzungen auftreten, die die Karriere gefährden. Das zu verhindern, davon profitieren alle. In erster Linie natürlich die Handballerinnen selbst.
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