Über ein Jahrzehnt war Richard Schmidt fester Bestandteil des Deutschlandachter- wurde Europameister, Weltmeister und Olympiasieger. Im Jahr 2021 dann schließlich das Karriereende. Schon während seiner aktiven Zeit lebte er mit seiner Familie in Dortmund. Seit 2022 arbeitet er bei dem Dortmunder Unternehmen Wilo. Im Interview erzählt er, was ihn an Dortmund begeistert und wie es mit Blick auf Olympia 2024 um den deutschen Rudersport steht.
Gebürtig kommen Sie aus Trier. Durch den Spitzensport sind Sie nach Dortmund gekommen. Warum sind Sie nach Ihrem Karriereende in Dortmund geblieben und nicht in Ihre Heimat zurückgekehrt?
„Anfangs habe ich nicht gedacht, dass ich in Dortmund bleibe. Das war eher ein Prozess. Es ist richtig, dass ich durch den Spitzensport hierhergekommen bin, habe dann hier studiert und Freunde gefunden. Man sagt den Menschen aus dem Ruhrgebiet nach, dass sie alle sehr offen und ehrlich sind. Das kann ich nur so bestätigen. Außerdem sind meine drei Kinder in Dortmund geboren. Dadurch ist die Verbindung zur Stadt nochmal stärker geworden. Zudem habe ich bei Wilo einen sehr guten Job gefunden, der mir Spaß macht. Deswegen bin ich in Dortmund geblieben.“
Sie haben an der TU Dortmund Wirtschaftsingenieurwesen studiert. Warum haben Sie sich 2022 dafür entschieden, nach ihrer Karriere bei dem Unternehmen Wilo zu arbeiten?
„Das Spannende war die Möglichkeit, sich im Rahmen eines neuen Geschäftsbereichs mit Wasserstoff auseinanderzusetzen. Da wollte ich mitgestalten. Die Möglichkeit habe ich jetzt und bin sehr froh darüber. Ich kannte durch meine Praktika, die ich im Laufe meines Studiums bei Wilo absolviert habe, schon viele Leute. Dadurch und durch Wilos Engagement im Rudersport hatte ich bereits eine enge Verbindung zum Unternehmen. Für mich war es ein Glücksfall hier einen komplett neuen Geschäftsbereich im Bereich Wasserstoff aufbauen zu können.“
Das Dortmunder Unternehmen Wilo ist seit 2010 offizieller Sponsor des Team Deutschland-Achter. Dortmund ist Olympiastützpunkt. Wie sehen Sie Dortmund als Sportstadt aufgestellt?
„Wenn man an Dortmund denkt und nicht Dortmunder ist, denkt man immer an den BVB. Ich habe Dortmund aber auch anders kennengelernt. Die Stadt darf sich meiner Meinung nach zurecht Sportstadt nennen. Ich glaube, es ist nicht weitläufig bekannt, dass es in Dortmund viele Sportarten auf sehr hohem Niveau gibt. Ganz wenige wissen, dass das Ruderleistungszentrum im Männerriemenbereich in Dortmund ist. Viele Schwimmerinnen und Schwimmer mit Kaderstatus kommen aus Dortmund. Auch die Leichtathletik ist sehr gut aufgestellt. Es gibt viele Sportarten in Dortmund und Umgebung, die sehr gut gefördert werden. In anderen Städten sticht eine einzige herausragende Sportart heraus und das war´s, aber Dortmund hat sehr viele verschiedene Sportarten auf Weltklasseniveau zu bieten.“
Im Laufe Ihrer Karriere sind Sie mit dem Deutschlandachter sechsmal Weltmeister, neunmal Europameister und in London 2012 Olympiasieger geworden. Was macht für Sie den Rudersport aus?
„Es ist ein absoluter Teamsport. Beim Rudern musst du für den Erfolg sehr viel trainieren. Du musst auch im Winter sehr viel rudern, was nicht immer Spaß macht. Aber mit dem Ziel vor Augen geht man durch solche Täler. Das gemeinsam als Team zu schaffen und nachher den Erfolg zu feiern, macht den Sport einfach besonders. Besonders ist auch die Verbindung zur Natur. Wenn du um 6:00 Uhr morgens bei aufgehender Sonne auf dem Boot sitzt, kann das sehr schön sein. Das Boot läuft, man gleitet über das Wasser. Das macht schon Bock.“
Welche Möglichkeiten sehen Sie, gemeinsam mit Ihrer Arbeit bei Wilo, dem Rudersport auch nach der aktiven Karriere erhalten zu bleiben?
„Für Wilo ist das weniger ein Sponsoring als vielmehr eine Partnerschaft. Wir versuchen, den jungen Sportlern die duale Karriere zu ermöglichen. Wir möchten als Unternehmen den Ruderern die Möglichkeit zu geben, ihren Sport auf Weltklasseniveau zu betreiben aber gleichzeitig einer Ausbildung nachzugehen. Ich bin sehr froh, dass ich sie in meiner Rolle bei Wilo begleiten darf. Wenn ich jetzt bei Wettkämpfen am Rand stehe, bin ich nervöser als zu meinen aktiven Zeiten, weil ich nicht mehr in das Geschehen eingreifen kann.“
Inwiefern sind Sie noch mit Ihren ehemaligen Teamkollegen des Deutschlandachter oder jüngeren Nachwuchstalenten verbunden?
„Ich bin oft am Stützpunkt, denn als ehemaliger Leistungssportler kann man nicht einfach mit dem Sport aufhören, sondern muss abtrainieren. So sehe ich die ehemaligen Teamkameraden und jüngere Nachwuchsathleten regelmäßig. Meist habe ich dann noch Zeit, mit ihnen zu sprechen und zu fragen, wie es läuft. Wenn ich Tipps habe, gebe ich die gerne. Mich interessiert es da, am Ball zu bleiben und den Leuten eine Möglichkeit zu geben, sich weiterzuentwickeln. Auch, um etwas zurückzugeben. Dadurch, dass ich im Präsidium des Ruderverbands tätig bin, kann ich als Athletenvertreter zudem die Entscheidungen des Verbandes ein bisschen mit beeinflussen.“
Rudern Sie auch noch ab und zu?
„Ich versuche, jeden Tag Sport zu machen, wenn ich gesund bin. Dass ich auf dem Wasser rudere, ist leider selten geworden, weil es so viel Zeit in Anspruch nimmt, die ich aktuell nicht habe.“
Der Deutschlandachter gilt als Garant für internationale Medaillen. Was meinen Sie ist der Grund, dass Deutschland im Rudersport international so stark ist?
„Wir haben allein in Berlin 54 Rudervereine. In Hamburg ist der zweitälteste Ruderclub der Welt beheimatet. Wir haben also eine große Rudertradition in Deutschland und früh angefangen, viele Dinge richtig zu machen. Deshalb ist Dortmund auch so ein wichtiger Standort geworden. Bereits vor der Wende 1989 hatte man früh damit angefangen, den Achter zu zentralisieren und in Dortmund ein professionelles System aufzubauen. Viele international beachtete Impulse bezüglich der Professionalisierung des Sports und neuer Trainingsmethoden kamen aus Deutschland. In den neunziger Jahren hatten wir das Glück, dass dann Gesamtdeutschland eine Mannschaft gestellt hat. So kamen viele Top-Athleten aus den neuen Bundesländern, aber auch Trainer wie Ralf Holtmeyer hinzu. Das hat das Gesamtsystem weiter verbessert.“
Der Deutschlandachter geht bei den anstehenden Olympischen Spielen in Paris als Außenseiter in das Rennen. Wie steht es aktuell um den deutschen Rudersport?
„Im Rudersport müssen wir sicherstellen, dass wir langfristig weiterhin mit den mittlerweile großen Nationen wie zum Beispiel Niederlande oder Rumänien mithalten können. Das sind Nationen, die man vor 20 Jahren nicht auf dem Schirm gehabt hätte. Zur großen Konkurrenz zählen auch die angelsächsischen Länder. Vor allem Großbritannien, Kanada und die USA, die über die Universitäten auch im Frauenbereich sehr stark sind. Ich denke, dass wir in Deutschland unsere Sportförderung dementsprechend anpassen müssen. Ich sehe hier Verbesserungspotenzial in vielen Bereichen des Spitzensports, nicht nur im Rudern, damit wir zum Beispiel bei Olympischen Wettkämpfen als Nation dauerhaft konkurrenzfähig sind.“
Was müsste in der gesamtdeutschen Sportförderung aus Ihrer Sicht besser laufen?
„Da gibt es viel Potenzial. Entbürokratisierung wäre eine Sache. Eine andere ist nicht nur die Förderung der Athletinnen und Athleten, sondern auch die der Trainerinnen und Trainer. Wenn man als Trainer nicht genug verdient, weil die Stelle halbiert oder geviertelt ist, werden wir irgendwann Probleme haben, gute Trainerinnen und Trainer zu finden, die das machen wollen. Außerdem funktioniert derzeit sehr viel über das Ehrenamt und die Vereine. Aber auch da geht das Engagement zurück, weil immer weniger Menschen bereit sind, ihre Freizeit zu opfern. Es gibt dahingehend meines Erachtens auch einen gesellschaftlichen Umschwung, dem man entgegenwirken sollte. Ich bin sicher: Eine Vielfalt an Sportmöglichkeiten tut der Gesellschaft gut.“
Verfolgen Sie das Rennen des Deutschlandachter bei den diesjährigen Olympischen Spielen live in Paris?
„Ich werde für Wilo vor Ort sein und das Team Deutschland-Achter unterstützen. Bei Wettkämpfen sind wir als Sponsor immer vor Ort und drücken dem Team von der Tribüne aus die Daumen.“
Heute verfolgen Sie die Rennen von der Tribüne aus oder vor dem Fernseher. Juckt es da nicht manchmal in den Fingern, doch nochmal in das Boot zu steigen?
„Klar hat man Lust. Ich fiebere mit und weiß, wie alles abläuft. Natürlich denke ich mir oft: Naja, hätte ich doch nochmal. Aber es ist alles gut, so wie es ist. Ich bin glücklich mit der Entscheidung. Jetzt haben andere die Chance, sich zu beweisen.“
Im Jahr 2012 wurden Sie mit dem Deutschlandachter Olympiasieger. Was ändert sich nach einem Olympiasieg?
„Nach dem Olympiasieg 2012 habe ich drei, vier Wochen gebraucht, um das zu realisieren. Rudern ist ein toller Sport, aber eben nicht so populär wie andere Sportarten. Zu Olympia steigen das Interesse und die Aufmerksamkeit für den Rudersport. Für die Athleten ist das sehr schön, allerdings flacht das nach Olympia dann auch schnell wieder ab. Für mich persönlich war der Olympiasieg 2012 ein Erlebnis, das für immer bleibt. Von den Erinnerungen zehrt man ein Leben lang. Das ist wirklich eine einmalige Erfahrung.“
Wie ist der Alltag bei Olympia und im olympischen Dorf?
„Olympia geht zweieinhalb Wochen lang, und die Wettkämpfe im Rudern sind immer in der ersten Woche. Dadurch hatten wir in der zweiten Woche immer Zeit, uns alle anderen Wettkämpfe anzuschauen. Also von Leichtathletik über Basketball bis hin zu Handball. Das Olympische Dorf ist eben ein Dorf, in dem 10.000 bis 11.000 Athletinnen und Athleten aus allen verschiedenen Nationen leben. Man trifft sich dann in der Mensa und spricht miteinander. Besonders beeindruckend ist es dann, wenn man die Stars aus den anderen Sportarten kennenlernt. Für mich war es eins der prägendsten Erlebnisse in meinem Leben.“
Wie schätzen Sie die Aussichten des Team Deutschland-Achter in Paris ein? Das junge Team zählt nicht zu den Favoriten.
„Sie haben diesmal nicht den Druck, gewinnen zu müssen. Das kann ein Vorteil sein. Aber es wird schwer. Die Engländer sind sehr stark. Die Niederländer sind in Topform. Ich bin trotzdem zuversichtlich. Die deutsche Mannschaft ist jung, und sie wird auf jeden Fall angreifen, egal ob sie Favorit ist oder nicht. Ich hoffe, für die Jungs, dass sie eine Medaille gewinnen. Sie hätten es sich verdient.“