BVB-Kapitänin über Missbrauchsvorwürfe – „In diesem Ausmaß war es mir nicht bewusst“

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Alina Grijseels ist die Kapitänin der Handballerinnen von Borussia Dortmund – und der Deutschen Nationalmannschaft. Im Interview spricht die 26-jährige Rechtshänderin über die anstehende Europameisterschaft, ihre Rolle beim BVB und DHB – sowie über die Vorwürfe gegen Ex-Trainer André Fuhr.

Sie befinden sich aktuell in der Vorbereitung in Großwallstadt auf die am 4. November startende Handball-Europameisterschaft. Wie läuft’s?

Wir hatten schon intensive Einheiten und drehen gerade an den Stellschrauben, um die EM möglichst erfolgreich zu gestalten. Da hat man schon in den Frankreich-Spielen gesehen, wo wir nachbessern müssen.

Woran genau?

Ein großes Thema ist das Rückzugsverhalten nach Ballverlust. Da haben wir zuletzt zu viele einfache Gegentore bekommen, die uns sehr wehgetan haben. Im Angriff müssen wir uns taktisch noch erweitern und in der Abwehr bessere Absprachen treffen und den Gegner noch mehr unter Druck setzen.

Kann das DHB-Team diese Dinge schon bis zum Start des Drei-Nationen-Turniers in Ungarn am 31. Oktober umsetzen oder ist dieses Vorbereitungsturnier genau dafür gedacht?

Das ist eine Mischung aus beidem. Wir sind froh, dass wir jetzt die Woche noch hier sind und viele Trainingseinheiten haben. In den Testspielen können wir diese Dinge dann noch einmal ausprobieren. Es wird auch darum gehen, Selbstbewusstsein zu tanken und top vorbereitet in die EM zu gehen.

Was ist bei der EM möglich? Gibt es ein internes Ziel?

Wir wollen die Vorrunden-Phase gut überstehen, um uns eine gute Ausgangslage für die Hauptrunde zu verschaffen und müssen dann schauen, welche Gegner dort auf uns warten. Wir arbeiten uns aber klar von Spiel zu Spiel vor. Alles andere ergibt wenig Sinn. Bis jetzt sind wir immer ganz gut damit gefahren, nur auf uns zu schauen.

Gegen welche Mannschaften wird es besonders schwer?

Die üblichen Verdächtigen werden oben mitspielen – also Frankreich, Norwegen, Dänemark, Schweden und die Niederlande. In der Vorrunde treffen wir direkt auf Spanien – das ist sicherlich auch ein Top-Gegner. Wenn man weit kommen will, muss man gegen die alle schon etwas holen.

Helfen könnten Sie dabei, wenn Sie Ihre starken Leistungen beim BVB auch wieder im DHB-Trikot bestätigen. Mit 41 Toren führen Sie die Torjägerliste der Bundesliga an.

Das habe ich auch gelesen. (lacht) Das ist aber gar nicht etwas, das ich so in den Vordergrund stellen möchte. Beim BVB werfe ich die Siebenmeter, da kommen dann noch einige Treffer hinzu. Aber sicherlich ist auch das meine Rolle – Torgefahr auszustrahlen.

Alina Grijseels wirft im BVB-Trikot aufs Tor.
Beste Torschützin aktuell des BVB: Alina Grijseels. © Ludewig

Wann sind Sie zufrieden mit sich nach einem Spiel?

Ich bin eher der Typ: selbstkritisch und unzufrieden. Ich will mich immer verbessern. Es kommt sicherlich darauf an, was meine Aufgabe gerade ist. Es geht darum, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Das ist sehr komplex. Damit ich rundum zufrieden bin, muss schon einiges passieren.

Unterscheidet sich Ihre Rolle bei Borussia Dortmund von der im DHB-Team?

Es geht auch bei der Nationalmannschaft um das spielerische Element und das Tempo. Hier haben wir aber vielleicht noch mal eine andere Qualität und Breite im Kader, wodurch wir nicht immer zwangsläufig spielerische Lösungen zu finden. Bei mir ist es der Mix aus Torgefahr ausstrahlen und die Struktur erhalten.

Beim BVB treffen Sie nach der EM auf einen alten Bekannten. Der ehemalige Bundestrainer Henk Groener ist dann Ihr Trainer bei Borussia Dortmund. Was zeichnet ihn aus?

Henk ist sehr ruhig und sehr kommunikativ und offen. Er legt sehr viel Wert auf Eigenverantwortung und Eigeninitiative. Das wird spannend, weil das Vereinstrainer-Dasein für ihn auch noch mal etwas anderes sein wird. Wir freuen uns aber alle darauf, dass wir nach den zuletzt unruhigen Wochen wieder einen Cheftrainer an der Seitenlinie haben.

Alina Grijseels und Neu-BVB-Coach Henk Groener, damals noch DHB-Trainer, sitzen auf der Bank am Spielfeldrand und unterhalten sich.
Kennen sich aus der gemeinsamen Zeit bei der Nationalmannschaft: Alina Grijseels und Neu-BVB-Coach Henk Groener. © imago images/wolf-sportfoto

Nach den Vorwürfen gegen Trainer André Fuhr und dessen Freistellung lag der Fokus beim BVB nicht nur auf dem rein Sportlichen. Wie schwierig waren die vergangenen Tage und Wochen?

Ehrlich gesagt, sehr schwierig. Bis zum Buxtehude-Spiel haben wir es sehr gut hinbekommen, es dann aber nicht mehr geschafft, das umzusetzen, was wir uns vorgenommen haben. Wir hätten gerne gewonnen und wären ohne Punktverlust in die EM-Pause gegangen. Ansonsten haben wir das sportlich aber schon gut gelöst. Ich glaube, das war unsere Aufgabe. Es war nicht einfach, weil so viele unschöne Dinge ans Tageslicht gekommen sind.

Viele ehemalige Mitspielerinnen haben mittlerweile zum Teil schwere Vorwürfe gegen André Fuhr erhoben. Es geht unter anderem um psychische Gewalt und Machtmissbrauch. Haben Sie vorher nie etwas mitbekommen?

Viele Dinge waren mir so nicht bekannt. Da muss ich mich auch hinterfragen, warum das so ist. Es gab auch Situationen, die ich mitbekommen habe und mit den Spielerinnen oder auch André Fuhr darüber gesprochen habe. Jetzt kommt alles raus, und ich finde schlimm, was passiert ist. In diesem Ausmaß war es mir nicht bewusst – ich selbst war aber auch nicht betroffen und habe diese Erfahrungen mit André Fuhr nicht gemacht.

Sie sind die Kapitänin und eine absolute Führungsspielerin auf dem Feld. Wünschen Sie sich, dass die betroffenen Spielerinnen Sie mehr mit ins Boot genommen hätten?

Beim letzten Lehrgang mit der Nationalmannschaft gab es ein Gespräch mit Amelie Berger und Mia Zschocke. Man kann es aus beiden Perspektiven betrachten: Ich könnte sagen, dass sie eher auf mich hätten zukommen müssen. Die zwei könnten aber auch sagen, dass ich als Kapitänin sie eher hätte fragen müssen. Es ist schwierig, die Situation ist komplex. Jeder macht sich seine Gedanken. Ich reflektiere auch, wie ich vielleicht anders mit dieser Situation hätte umgehen können oder müssen. Da ist es dann aber auch eine Sache der Abteilungsverantwortlichen (Anm. d. Red.: BVB-Handballchef Andreas Heiermann ist am Donnerstag zurückgetreten), anders zu reagieren. Jetzt kann man die Sache nur noch aufarbeiten und dafür sorgen, dass so etwas nie wieder vorkommt.

Hat der Verein Borussia Dortmund die Spielerinnen genug geschützt?

Ich war nie betroffen, deswegen kann ich dazu nichts sagen. Die Frage ist eben auch, wer wann was wusste. Ich kann daher auch nicht beurteilen, wie es im Speziellen bei Mia Zschocke oder Amelie Berger war.

Haben oder hatten Sie Kontakt zu André Fuhr seit seiner Freistellung?

Nein.

Und zu den ehemaligen Mitspielerinnen?

Nein, auch zu ihnen hatte ich keinen intensiven Kontakt mehr.

Wie sehr hat die Thematik die Mannschaft abgelenkt?

Natürlich beschäftigt sowas eine Mannschaft. Das kann man nicht wegdiskutieren oder wegschieben. Wenn solche Vorwürfe öffentlich werden, spricht man natürlich erst recht drüber. Trotzdem sind wir sportlich sehr, sehr professionell damit umgegangen. Ich habe es als meine Aufgabe angesehen, dass wir als Mannschaft weiter erfolgreich Handball spielen. So ist es jetzt auch bei der Nationalmannschaft. Am Ende wollen wir den Fokus schnell aufs Sportliche legen und weiterarbeiten.

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