Auf solch eine Vita wäre wohl so mancher Fußballfreund stolz: Erst war die Dortmunderin jahrelang Top-Schiedsrichterin, nun trainiert sie beim FC Schalke 04.
Autorität kann auch nett sein. Wenn eine Dortmunderin freundlich, aber bestimmt Klartext sprach, gehorchten Dortmunder Fußballer artig. Heute hören ihr kleine Kicker in der „Knappenschmiede“ zu, bald auch junge Erwachsene in der Schule.
Jasmina von Gratowski-Günoglu wird am kommenden Dienstag 29 Jahre alt. Ihre Vita aber liest sich schon, bevor sie in einem Jahr die Dreißigergrenze knackt, ziemlich beeindruckend. Dementsprechend lang dürfte die Reihe der Gratulanten sein.
In Dortmund ist sie als eine der Unparteiischen bekannt, die von allen Seiten Lob ernteten. Ihre verheißungsvolle Schiedsrichterinnenkarriere legte sie aber bereits 2019 ad acta. „Gut, aber trotzdem tut mir Lob immer gut. Wenn jemand sagt, ich habe das ordentlich gemacht, freut mich das auch heute noch.“
Als Schiedsrichterin geriet sie nie in echte Schwierigkeiten. „Klar, einverstanden waren bestimmt nie alle mit meinen Entscheidungen. Wir sind aber übrigens auch Menschen, die mal Fehler machen. Aber mich hat nie jemand bedroht.“
In ihrer aktuellen Stelle kommen Drohungen erstens nicht vor, zweitens fielen sie auch nicht schwer ins Gewicht. Jasmina von Gratowski-Günoglu trainiert mittlerweile nämlich die U8 des FC Schalke 04. Der Umgang mit Kindern liegt ihr. Und Kindern spüren so etwas.

Jasmina von Gratowski-Günoglu - damals noch Schiedsrichtern. © Hennig (KSA)
Dass aus der ehemaligen aktiven Fußballerin des Hombrucher SV und der SG Lütgendortmund erst eine Schiedsrichterin und dann eine Trainerin in einem großen Vereins wurde, verdankt sie – da ist sie sehr ehrlich – „Zufallsbegegnungen“. Dazu aber sollte jeder wissen, dass solche Zufallsbegegnungen nur einen Karriereschritt nach sich ziehen, wenn eine Grundsympathie, aber auch Überzeugung von Charakter und Fähigkeiten zwischen den Personen vorhanden ist.
Weniger zufällig war ihr erster Schritt in die Fußballerinnenwelt. „Ich habe schon immer gerne gekickt, auch auf der Wiese hinter unserem Haus mit den Nachbarskindern. Ich hatte übrigens auch Fußball im Sport-Abi. Ich bin zum Hombrucher SV, später zur SG Lütgendortmund gegangen. Beide Vereine hatten Mädchenmannschaften.“
So weit, so gewöhnlich. Dann aber breitete ein befreundeter Schiedsrichter die Schirikarten auf dem heimischen Tisch aus. Er erzählte ein wenig. Und Jasmina von Gratowski, damals noch ohne Günoglu, war Feuer und Flamme: „Eine andere Sicht auf das Spiel zu bekommen, aber auch auf Menschen einzuwirken, schien mir sehr reizvoll. Und dann war ich als 16-Jährige schon im Lehrgang.“
Wenn sie über ihre ersten Auftritte als Unparteiische spricht, klingt es schon so, als hätte sie damals ihr Lehramts-Studium Sport und Sonderpädagogik bereits begonnen: „Ich habe immer den Menschen in seiner Gesamtheit gesehen, nicht nur den situativ vielleicht falsch handelnden Sportler. Dieser ganzheitliche Ansatz hat mir den Umgang mit Menschen sehr erleichtert.“
Was eine gute Schiedsrichterin mitbringen muss
Jasmina von Gratowski-Günoglu muss nicht lange überlegen, was eine gute Schiedsrichterin braucht: „Klar, muss ich mich durchsetzen können. Dabei habe ich keine laute Stimme. Dann muss ich die Regeln beherrschen. Und eine gute Schiedsrichterin benötigt unbedingt Menschenkenntnis. Sie ermöglicht eine angemessene Kommunikation. Und ich denke, dass gute Schiedsrichterinnen oder Schiedsrichter auf die Spieler eingehen.“
Die Menschenkenntnis hat sie, daher tanzten auch die Männer nach ihrer Pfeife. Ob es auch daran lag, dass sie eine der wenigen Schiedsrichterinnen war, lässt sie ebenfalls entwaffnend ehrlich offen: „Ich weiß es nicht. Ich bin ja kein Mann, der das beantworten kann.“
Genauso wichtig wie die fachliche Bestätigung, sie ermöglichte ihr Spiele als Linienrichterin in der zweiten Frauen-Bundesliga, in der Männer-Oberliga und als Schiedsrichterin der Landesliga – ist die verbale Anerkennung. „Natürlich tat es mir gut, wenn die Spieler mir Komplimente machten. Die Resonanz war mir schon sehr wichtig. Auf der einen Seite ist es schwierig, so im Fokus zu stehen, auf der anderen Seite bedeutet es auch große Entwicklungschancen als Mensch.“
„Phasenweise habe ich nichts gesehen“
Jasmina von Gratowski-Günoglu war mittlerweile so gereift, dass sie auch ihre erste Oberliga-Partie mit guten Kritiken und freier Lunge überstand. Ihre erste Aufgabe war das Aufeinandertreffen der Traditionsklubs Sportfreunde Siegen und SV Lippstadt.
„Phasenweise habe ich nichts gesehen und musste kurz die Luft anhalten , weil die Fans zahlreiche Bengalos gezündet hatten. Dazu kam durch die Sprechchöre echte Fußballatmosphäre auf.“ Der Oberliga-Novizin schlotterten nicht die Beine: „Nein, ich fand’s super. Diese Stimmung macht den Fußball doch aus.“
Die Fußballerin und Schiedsrichterin fand vielleicht auch deswegen immer den passenden Ton, da sie bereits eine dritte Perspektive kannte: die der Trainerin. Beim TSC Eintracht kümmerte sie sich um die jüngeren Jahrgänge, in der Regel Kinder im Grundschulalter, von den Minikickern bis zu den D-Junioren. „Jede Altersklasse hat ihren Reiz.“
Auch die Kinder schätzten ihre offene, kommunikative Art. Wieder kommt die angehende Pädagogin durch: „Ich sehe doch in erster Linie das Kind. Ich möchte natürlich, dass es sich fußballerisch entwickelt. Aber ein Siebenjähriger muss unbedingt das Spielerische am Fußball entdecken. Denn ob Talent oder weniger Talent: Es bleibt ein Siebenjähriger.“
Wahrscheinlich war es neben dem guten Fußball, den ihre Jungs versuchten, zu spielen, auch diese Ausstrahlung, die Sam Farokhi aus der Schalker Knappenschmiede imponierte. „Nach der 4:7-Testniederlage gegen Schalke klingelte mein Telefon. Und es ging nicht, wie von mir erwartet, um einen Spieler, sondern um mich.“
Keine Rivalitätsgedanken als Dortmunderin auf Schalke
Die Dortmunderin musste nicht lange überlegen, nach Gelsenkirchen zu wechseln: „Meine Vorliebe im Profifußball hat damit überhaupt nichts zu tun. Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Ich hatte aber ohnehin keine großen Rivalitätsgedanken.“
Schalke nahm sie auf, zunächst als Assistenztrainerin der U8, jetzt als Chefin. Trotz des Meilensteins in ihrer Trainerkarriere bleibt sich Jasmina von Gratowski-Günoglu treu: „Ich wiederhole es gerne. Ich habe Jungs, die früh Talent erkennen lassen. Und sie sollen schon lernen und erfolgreich spielen.“
Sie sei auch immer wieder verblüfft, wie schnell ihre Spieler neue Dinge umsetzen. „Das ist einfach toll. Sie bleiben aber kleine Jungs mit alterstypischen Bedürfnissen.“ Daher muss die Trainerin ihre selbst so bezeichnete „leise Stimme“ nicht strapazieren. Der ganzheitliche Ansatz kommt zur Geltung.
„Das heißt nicht, dass ich auch mal deutlich werde. Aber die Kinder sollen auch gerne zu mir kommen.“ Und so ereignete sich in einer Situation, dass die etwas strengere von Gratowski-Günoglu spontan ein Kind auf Englisch aufforderte „Sit down, please“, um zu sehen, ob der Junge auch ohne Englischkenntnisse wusste, was er zu tun hatte. Er entgegnete: „Ich wusste gar nicht, dass du so gut Spanisch sprichst.“ Jasmina von Gratowski-Günoglu hatte auch ihren Spaß.
Vor zwei Jahren bemerkte sie, dass sie diesen als Schiedsrichterin nicht mehr zu 100 Prozent hatte. „Und dieser Job funktioniert nur für mich, wenn ich komplett überzeugt bin.“ Konsequent wie sie ist, beendete sie ihre Laufbahn als Unparteiische. „Vielleicht hätte ich noch höher pfeifen können, aber wenn ich nicht voll dahinter stehe, leidet das Spiel, aber auch ich.“
Also tanzt sie auf zwei Hochzeiten weiter: „Ich lasse mir offen, in welcher Intensität ich Trainerin bleibe. Ich schließe jetzt aber erst einmal mein Studium ab. Es läuft schon darauf hinaus, dass ich Lehrerin am Berufskolleg werde.“ Ganz egal, wo ihr Fokus liegt: Spieler und Schüler dürfen sich freuen, von ihr als Menschen respektiert und auch so behandelt zu werden.
Korrektur zum Absatz zuvor: Jasmina von Gratowski hat auch auf einer echten Hochzeit getanzt, auf ihrer eigenen. Ihr Gatte Sercan Günoglu teilt mit ihr nicht nur das Hobby Fußball, sondern jetzt auch den Namen. Liegt nahe, dass es eine Zufallsbegegnung beim TSC Eintracht war, schließlich ist das einstige große Talent mittlerweile selbst Trainer beim TSC Eintracht.
Der Zufall schlug aber nicht an der Flora zu: „Ich weiß nicht, ob Sercan das lesen möchte, aber ich habe ihn damals im Schulchor kennengelernt.“ Sie lacht und erlaubt offiziell, dass dieser Hinweis im Text stehen bleiben darf. Da muss der Ehemann nun durch. Eigentlich aber logisch: Auch bei ihrem Gatten wählt sie den ganzheitlichen Ansatz.
Dortmunder Jung! Seit 1995 im Dortmunder Sport als Berichterstatter im Einsatz. Wo Bälle rollen oder fliegen, fühlt er sich wohl und entwickelt ein Mitteilungsbedürfnis. Wichtig ist ihm, dass Menschen diese Sportarten betreiben. Und die sind oft spannender als der Spielverlauf.
