Ein Verein kann sich glücklich schätzen, wenn er einen Physiotherapeuten hat. Der Alltag im Amateurfußball aber sieht anders aus. Außer bei unseren überkreislichen Teams. Ein Besuch.

Castrop-Rauxel

, 08.03.2019, 14:00 Uhr / Lesedauer: 5 min

Keine physiotherapeutische Betreuung am Spielfeldrand, mangelhafte bis nicht vorhandene Mittel zur Erstversorgung von Verletzungen - oder man findet erst gar keinen Freiwilligen, der sich bereit erklärt das Spielfeld zu betreten, um seinen Teamkollegen zu helfen: Das ist die raue Realität im Amateursport. Anders bei den Bezirksliga-Fußballern der Spvg Schwerin. Sie werden von einem Experten auf seinem Gebiet betreut: von Christian Sehlhorst.

Mit heilenden Händen: Welche Rolle Physiotherapeuten im Amateurfußball spielen

© ATH

„Er hat Wunderhände. Er verzaubert mit ihnen die Muskeln.“
Martin Kapitza, Goalgetter der Spvg Schwerin

An diesem Tage bestreiten die Schweriner in Merklinde ein Testspiel gegen den FC Castrop-Rauxel. Stürmer Martin Kapitza plagen Rückenbeschwerden. Eigentlich mag er nicht auflaufen. Aber Christian Sehlhorst ist da und weiß eine Lösung. Er holt eine Liege aus dem Auto und legt los.

Schwerins Trainer Marco Gruszka kennt Sehlhorst noch aus seiner Zeit beim SuS Merklinde, als er dort Coach und Spieler war. „Ich hatte schon da ein gutes Verhältnis zu ihm und weiß, dass er ein Guter in seinem Fach ist. Deshalb hatte ich ihn gefragt, ob er mich auch in Schwerin unterstützt.“

Gruszka selbst hatte in Merklinde nur wenige muskuläre Probleme, sagt er, und lag daher nicht oft auf der Pritsche von Sehlhorst. Der einstige Profikicker, der für den FC St. Pauli spielte, profitierte aber dennoch vom Fachwissen seines Physiotherapeuten. Er sagte „Er hat mich bei meinem Problem-Knie immer gut beraten. Bei meinen Spielern weiß ich darum, dass alles Hand und Fuß hat, was Christian macht.“

Während sich seine Teamkameraden warmlaufen, ist Martin Kapitza noch in der Kabine. Dort dreht Sehlhorst ihn auf der Liege hin und her. Er legt seine rechte Hand an Kapitzas Schlüsselbein und verhindert, dass sich die Schulter mitdreht.

Christian Sehlhorst ist Physiotherapeut der Bezirksliga der Spvg Schwerin. Vor dem Spiel in Merklinde stellte er seine Liege in der Kabine auf und brachte den Rücken von Stürmer Martin Kapitza in Ordnung.

Christian Sehlhorst ist Physiotherapeut der Bezirksliga der Spvg Schwerin. Vor dem Spiel in Merklinde stellte er seine Liege in der Kabine auf und brachte den Rücken von Stürmer Martin Kapitza in Ordnung. © Volker Engel

Ein leises Stöhnen kann sich der Kicker nicht verkneifen. Ganz ohne Schmerzen geht die Behandlung nicht. Deshalb hat Martin Kapitza Christian Sehlhorst den Spitznamen „Knochenbrecher“ gegeben. Im Spaß. „Er hat Wunderhände“, sagt Kapitza. „Er verzaubert mit ihnen die Muskeln.“

Der 55-jährige Christian Sehlhorst selbst sieht seine Aufgabe nicht nur darin, Verletzungen zu beheben oder bei einem Notfall auf den Platz zu eilen. Er sagt selbst: „Die Prävention, die Vorbeugung von Verletzungen, ist wichtig.“ Daher ist er bei Trainingszeiten der Spvg Schwerin am Grafweg, die dienstags und donnerstags stattfinden, zumindest einmal pro Woche anzutreffen. Dann sorgt er dafür, dass sich Kapitza und seine Mitspieler regenerieren. Die Lockerung der Muskulatur steht auf dem Programm.

Mit heilenden Händen: Welche Rolle Physiotherapeuten im Amateurfußball spielen
„Bei meinen Spielern weiß ich, dass alles Hand und Fuß hat, was Christian macht.“
(Marco Gruszka, Trainer der Spvg Schwerin)

Selhlhorst selbst spielte 30 Jahre Fußball beim SuS Merklinde. Dort betreute er während des Sportstudiums zudem die B- und C-Junioren sowie später die 2. Seniorenmannschaft. Ein Jahr lang war er auch Coach der Spvg Schwerin II, danach für zweieinhalb Jahre beim VfB Habinghorst II in der Senioren-Kreisliga A und B. Mittlerweile hat er im Sport selbst umgesattelt: Er ist Langstreckenläufer. Zweimal hat Christian Sehlhorst am New-York-Marathon teilgenommen.

Zurück auf den Platz: Die schöne, moderne Kunstrasen-Welt, in der die meisten Fußballer heutzutage auflaufen, sieht Sehlhorst kritisch. Durch das stumpfe Geläuf werden Muskeln und Sehnen oft überbeansprucht. Muskelfaserrisse kämen häufiger vor.

Bei den Gegnern der Spvg Schwerin sind eher selten Berufskollegen von Sehlhorst mit dabei. Der Castrop-Rauxeler urteilt nicht zu hart, wenn er Einwechselspieler auf das Spielfeld eilen sieht, die mit einer Eisspray-Flasche ihren Kameraden helfen wollen. Der Physiotherapeut der Spvg erklärt: „Das sollte heutzutage nicht mehr so sein. Besser zur Kühlung ist ein Schwamm mit Eiswasser.“ Oft werde das kalte Wasser auch aus einer Spitze aufgetragen.

Aber dass er da ist, hilft auf Schwerin: An seinen Spielern schätzt er, dass sie seine Ratschläge beherzigen. Er hat ihnen erfolgreich vermittelt, dass der Besuch im Fitnessstudio für Kraft und Ausdauer sowie die Regeneration nicht allein wirkt. Zumal die Laien hier überwiegend Arme und Brust trainieren. Sehlhorst: „Dabei steht bei den Fußballern der Rumpf und die Beinkette inklusive Knie im Vordergrund der Belastung. Deren Training wird stiefmütterlich gemacht.“ Bei den Torhütern hingegen werden spezielle Muskelgruppen beansprucht. Hier fruchtete die Zusammenarbeit mit Blau-Gelb-Torwarttrainer Klaus Musielak gut, Verletzungen vorzubeugen.

Im vergangenen Jahr litt Christian Sehlhorst mit zwei Spielern mit, die er nach dem „Worst Case“ – Kreuzbandriss im Knie – im Aufbautraining begleitete: Niklas Neumann und Suri Ucar. Neumann hat wieder den Anschluss gefunden, er feierte zuletzt sein Comeback.

Mit heilenden Händen: Welche Rolle Physiotherapeuten im Amateurfußball spielen

© Volker Engel

„Die Prävention, die Vorbeugung von Verletzungen, ist wichtig.“
Christian Sehlhorst, Physiotherapeut beim Bezirksligísten Spvg Schwerin.

Ein kleines Wunder hat Sehlhorst aber bei Martin Kapitza vor dem Testspiel in Merklinde bewirkt. Der Rücken ist nach der Behandlung wieder in Schuss. Der Offensivspieler atmet erleichtert durch, als er von der Liege steigt. Seine Mitspieler sind bereits auf dem Platz. Als Kapitza die Umkleidekabine verlässt, hört er den Anpfiff. Er eilt zu seinem Trainer Marco Gruszka. Dieser hat ihm den Platz in der Start-Elf freigelassen und beordert seinen Schützling direkt auf den Platz.

Martin Kapitza bedankt sich Sekunden später mit dem Tor zum 1:0 – auch bei Christian Sehlhorst, der gerade erst seine Liege im Auto verstaut hat und auf dem Weg zurück zum Spielfeldrand ist.

Bei allen vier Castrop-Rauxeler Fußball-Mannschaften, die in überkreislichen Spielklassen auflaufen, sind durchweg Physiotherapeuten mit am Start. Ein Überblick über die anderen drei Clubs:

Bei den Bezirksliga-Kickern der SG Castrop legt eine Frau Hand an: Lisa Kühne. SG-Trainer Marco Taschke sagt: „Im Sommer 2017 haben wir im Internet nach einem Physiotherapeuten gesucht. Leider sind wir so nicht fündig geworden.“ Spieler Jannis Harwig war zu dieser Zeit selbst in Behandlung und fragte bei seiner Praxis nach. Dort empfahl man ihm Lisa Kühne. Taschke: „Daraufhin haben mein Trainerkollege Dennis Hasecke und ich uns mit ihr getroffen und uns unterhalten. Wir haben schnell gemerkt, dass es passt - und hatten das Glück, dass Lisa uns unterstützen wollte.“

Laut Taschke sei Lisa Kühne enorm zuverlässig und habe großes Interesse am Sport. Sie selbst war als Rudererin beim RV Rauxel vor Jahren im Leistungssport aktiv. Marco Taschke meint: „Daher kann Lisa sich voll mit dem identifizieren, was und wie wir trainieren.“ Zudem gebe sie wertvolle Tipps zum Aufwärmtraining. Auch sei sie Expertin dafür, wie hoch die Belastung für einen Spieler nach einer Verletzung sein sollte.

SG-Physiotherapeutin Lisa Kühne behandelte beim Hallenstadtmeisterschafts-Endspiel gegen den FC Frohlinde auch dessen Keeper Felix Goliasch.

SG-Physiotherapeutin Lisa Kühne behandelte beim Hallenstadtmeisterschafts-Endspiel gegen den FC Frohlinde auch dessen Keeper Felix Goliasch. © Volker Engel

Taschke: „Sie passt charakterlich hervorragend zum Team. Weshalb sie auch von den Spielern sehr geschätzt wird. Sie ist ein großer Gewinn für den Verein.“ Lisa Kühne wird dabei noch unterstützt von Gerd Holtkamp, den in der in der Mannschaft alle „Papa Holtkamp“ rufen. Er steht ihr mit Rat und Tat zur Seite. Taschke sagt: „Er verfügt über einen riesigen Erfahrungsschatz. Dafür können wir ihm nur sehr danken.“ Die SG-Betreuerin ist mittwochs und freitags zwischen 18 und 19.30 Uhr während der Trainingseinheiten am Platz. An den Spieltagen investiert sie weitere vier Stunden ihrer Zeit.

Und sie bewirkt „Wunder“. Marco Taschke erinnert sich: „Unser Torwart Cedric Niemeyer hatte Probleme mit seinem damals am Meniskus operierten Knie – und er befürchtete, dass er erneut operiert werden musste. Lisa hat mit ihm ein Aufbautraining absolviert und er war nach kurzer Zeit wieder fit.“

Auch beim Landesliga-Aufsteiger SV Wacker Obercastrop kümmerte sich zuletzt eine Frau um die kleinen und größeren Wehwehchen der Kicker. Kristy Köhler, Tochter des ehemaligen Wacker-Trainers Andreas Köhler, war mit dem Arztkoffer zuletzt bei der Hallenstadtmeisterschaft dabei. Obercastrops Coach Aytac Uzunoglu berichtet über die junge Frau, die in der Saison 2016/17 begann: „Leider ist sie beruflich sehr eingespannt. Dadurch hat sie nicht mehr die Zeit, die Spieler zu betreuen.“ Weshalb nur noch Frederic Meinert vom bisherigen Physio-Duo übrig geblieben ist.

Kristy Köhler kümmerte sich zuletzt um die Wehwehchen der Kicker des SV Wacker Obercastrop.

Kristy Köhler kümmerte sich zuletzt um die Wehwehchen der Kicker des SV Wacker Obercastrop. © Volker Engel

Uzunoglu erzählt: „Generell sind der Dienstag und der Sonntag vor den Spielen bei uns für Behandlungen vorgesehen.“ Die Betreuung durch einen Spezialisten sei sehr wichtig für die Sportler: „Nur dadurch kann ich die Spieler immer voll belasten.“ Zudem profitierten die angeschlagenen Kicker mit muskulären Problemen oder auch muskulären Dysbalancen im Körper davon, von einem Therapeuten behandelt zu werden. Uzunoglu meint: „Dann werden sie schneller wieder fit und weisen auch durch Präventionstraining Verbesserungen auf.“

Ein Mann mit Bundesliga-Erfahrung behandelt die Fußballer des Landesliga-Spitzenreiters FC Frohlinde: Jan Hürster: Er ist seit knapp einem Jahr beim Verein von der Brandheide aktiv. Zuvor war er Betreuer bei der Jugend des VfL Bochum. Von hier kennt ihn FCF-Coach Michael Wurst, der dort auch Stadionsprecher ist. Seit Jahresbeginn ist Hürster Physiotherapeut beim Nachwuchs von Bayer 04 Leverkusen. Wurst betont: „Jan ist ein Profi, auf dessen Urteil man sich blind verlassen kann. Er ist verlässlich, hat ein gutes Verhältnis zu den Jungs und leistet eine Toparbeit.“