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Ellen Wessinghage wurde mit Talent und Willensstärke zur Weltklasse-Leichtathletin
Was macht eigentlich...?
In den 1970er-Jahren war Ellen Wessinghage in der Leichtathletik-Weltspitze im 1500-Meter-Lauf. Doch heute hat sich der Leichtathletik-Sport für die Castrop-Rauxelerin zu sehr verändert.
Reportage aus dem Juli 2019: Die Erfolgsliste der heute 70-jährigen Ellen Wessinghage (früher Ellen Tittel), die in Mühlbach in Sachsen geboren wurde, aber in Castrop-Rauxel aufwuchs, ist eindrucksvoll: Siegerin des 1500-Meter-Laufs beim Europacup-Finale 1970, Bronzemedaillen-Gewinnerin bei den Europameisterschaften 1971, Studenten-Weltmeisterin über 3000 Meter 1974, Teilnahme an den Olympischen Spielen 1972 und 1976, 38-fache Deutsche Meisterin.
An alle diese Erfolge war natürlich nicht zu denken, als die junge Ellen Wessinghage während ihrer Turnstunde den ersten Schritt zur Leichtathletik machte: „Es war reiner Zufall. Die Leichtathleten des TuS Ickern mussten wegen schlechten Wetters in der Halle trainieren, wo ich meine Turnstunde hatte. Zwischen den Wartezeiten an den Geräten lief ich immer mit und der Trainer bot mir an, einmal auf den Sportplatz zum Training zu kommen. Von Anfang an begeisterte mich das Lauftraining“, erinnert sich Ellen Wessinghage.
Zwei Trainer stellten die Weichen für die Leichtathletik-Karriere
Ihr erster Trainer beim TuS Ickern, Paul Hase, war es, der ihr Talent entdeckte und sie drei Jahre langsam aufbaute. Zunächst allerdings stufte der Deutsche Leichtathketik-Verband „little Tittel“, wie sie aufgrund ihrer Körpergröße oft genannt wurde, als nicht entwicklungsfähig ein. Ihr späterer Trainer Gerd Osenberg vom TuS 04 Leverkusen, der vor allem ihre Willensstärke bewunderte, half ihr dann, eine Weltklasse-Athletin zu werden.
Warum fiel die Wahl gerade auf die Mittelstrecken? „Als ich 14 Jahre alt war, waren 600 Meter die längste erlaubte Laufstrecke für Mädchen und in meinem ersten Wettkampf, den Westfalenmeisterschaften, lief ich Deutschen B-Jugend Rekord. Da waren die Weichen gestellt“, erklärt Ellen Wessinghage.

Ellen Wessinghage im Mai dieses Jahres in Shanghai - sie genießt ihre Freizeit. © Ellen Wessinghage
Die Wahl zur Sportlerin des Jahres 1975 war dann die Krönung ihrer Laufbahn. Zusammen mit dem Ruderer Peter-Michael Kolbe bei den Männern und Borussia Mönchengladbach als Mannschaft des Jahres wurde Ellen Wessinghage im Baden-Badener Kurhaus geehrt. „Die Auszeichnung bedeutete mir sehr viel. Noch heute genieße ich es jedes Jahr wieder, in Baden-Baden alte Kollegen zu treffen, und dabei zu sein, wenn die neuen Sportler gekürt werden“, so Ellen Wessinghage. Kontakt zu Sportlerinnen ihrer aktiven Zeit hat sie dagegen kaum noch.
Auch zu ihrer Heimatstadt Castrop-Rauxel hat sie kaum noch eine Beziehung. Hier verbrachte sie die ersten 18 Jahre ihres Lebens. Zunächst schloss sie eine Lehre als Chemielaborantin ab, holte ihr Abitur in Leverkusen nach und studierte Jura. Ihren Lebensmittelpunkt fand sie mit ihrem damaligen Ehemann Thomas Wessinghage, dem 5000-Meter-Europameister von 1982, im rheinland-pfälzischen Ingelheim. Dort entdeckte sie auch ihre Liebe für den Tennissport: „Mein jüngster Sohn Markus wollte unbedingt Tennisspieler werden - es war die Zeit des Becker-Booms.“
Ellen Wessinghage verfolgt den Leichtathletik-Sport nicht mehr regelmäßig
Neben den tennissportlichen Aktivitäten engagierte sich Ellen Wessinghage aber auch im Klubvorstand des TC Boehringer Ingelheim, wo sie nach dem Rücktritt des damaligen ersten Vorsitzenden das Amt übernahm und den Verein aus den roten Zahlen führte. Zudem engagierte sich Ellen Wessinghage in weiteren Ehrenämtern, wie zum Beispiel als Referentin des Ressorts „Frau im Sport“ beim Landesssportbund Rheinland-Pfalz. Tennis gehört heute noch zu ihren sportlichen Aktivitäten neben Joggen, Rennradfahren und der Besuch im Fitnessstudio.
Die Wettbewerbe in der Leichtathletik verfolgt sie heute eher selten, zuviel hat sich dort verändert: „Das allgemeine Interesse an der Leichtathletik hat stark nachgelassen. Zu meiner Zeit hatte sie einen großen Stellenwert in der Gesellschaft. Es wurden alle Länderkämpfe, sogar Vorläufe bei Großveranstaltungen im öffentlich rechtlichen Fernsehen übertragen. Wir bekamen nicht nur Fanpost, sogar Blumen oder Kuchen geschickt. Das wäre heute nicht mehr so möglich.“
In Castrop-Rauxel geboren und in der Heimatstadt geblieben. Schätzt die ehrliche und direkte Art der Menschen im Ruhrgebiet. Besonders interessiert am Sport und den tollen Radwegen im Revier.
