Fußballerin Dilara (14) ist depressiv Ihr Traum: Ein Assistenzhund wie „Hanni“ aus Dortmund

Dilara (14) ist depressiv : Ihr Traum: Ein Assistenzhund wie „Hanni“
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Ungläubiges Staunen allerorts, wenn Toto - mit bürgerlichem Namen Thorsten Habel - seine Krankengeschichte erzählt. Vor knapp 20 Jahren erlitt der Dortmunder plötzlich anaphylaktische Schocks. „Zuerst kribbeln Lippe, Zunge und Hals, dann schwellen sie an. Ich drohe, jederzeit zu ersticken“, erzählt der 45-Jährige.

Weil die Allergieschocks meist nachts auftreten, war viele Jahre an einen guten Schlafrhythmus nicht zu denken. Denn die Angst, keine Luft mehr zu bekommen, begleitete Thorsten Habel bei jedem Versuch, einzuschlafen. Eine Ursache für diese Schocks haben Mediziner bislang nicht gefunden. „Ich bin einer von zehn Menschen in Deutschland, die diese Krankheit haben“, erzählt Toto bei einem Treffen am Sportzentrum Nord in Waltrop. Sebastian Rottmar, Jugend-Fußballtrainer von Teutonia SuS Waltrop, hatte ihn eingeladen. Auch damit die an Depressionen erkrankte junge Waltroper Fußballerin Dilara Toto kennenlernen kann. Natürlich mit dabei an diesem Nachmittag: Hanni.

Assistenzhündin Hanni im BVB-Stadion und mit Karl Lauterbach
Bei Borussia Dortmund ist Assistenzhündin Hanni willkommen. Sie dürfte Toto auch zu Spielen begleiten, doch das lehnt ihr Herrchen ab, weil es zu viel Stress für sie bedeuten würde. Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach lernte Hanni 2022 kennen. © Privat

Bei dem Versuch, ein geregeltes Leben mit dieser Krankheit führen zu können, stellte sich der Dortmunder die Frage: „Es gibt Assistenzhunde für Epileptiker und für Diabetiker. Vielleicht auch für Menschen, die an Anaphylaxie leiden?“

Thorsten Habel stieß bei seinen Recherchen auf die im März 2015 in Amsterdam geborene Labrador-Retriever-Hündin Hanni. „Eigentlich sollte sie ein Blindenhund werden. Dafür war sie aber zu wuselig.“ Totos großes Glück: Er traf auf Fachleute, die es schafften, Hanni zu einem „medizinischen Assistenzhund - Anaphylaxie-Warnhund“ - wie es offiziell heißt - auszubilden.

Thorsten Habel musste ein T-Shirt bis zu seinem nächsten Allergieschock tragen. Diese treten im Schnitt alle zwei Monate auf. „Dieses T-Shirt wurde dann vakuumiert. Hanni wurde darauf ausgebildet, diese Geruchsstoffe, die bei den Schocks freigesetzt werden, frühzeitig zu erkennen“, erzählt der 45-Jährige.

Wenn dies der Fall ist, holt Hanni die mit einer dicken Kordel umwickelte, für Herrchen lebenswichtige Spritze. Legt sie ihm auf den Körper. „Wenn ich das Anstoßen mit der Tatze nicht mitbekomme, leckt sie mir durch das Gesicht. Dann bin ich wach und setze mir die Spritze.“ Seitdem Hanni bei ihm ist - seit dem 12. Dezember 2016 - war Thorsten Habel nicht mehr auf fremde medizinische Hilfe angewiesen.

Hanni erkennt beginnenden Schock 16 Minuten früher

Ein von Medizinern vorgeschlagener Versuch zeigt, wie sensibel Hanni auf ihr Herrchen reagiert. „Ich war gebeten worden, einmal abzuwarten, wie lange es dauert, dass Hanni mich weckt und das erste Symptom - das Kribbeln in der Lippe - anfängt. Das waren 16 Minuten. So viel eher bekommt sie mit, dass ein Schock bevorsteht“, erzählt der Telekom-Mitarbeiter.

Seitdem führe er ein weitaus normaleres Leben, erzählt Toto, dabei streichelt er dankbar seine Hündin. Natürlich bedeutet das aber auch: Hanni muss überall hin mitkommen. Thorsten Habel will das Thema publik machen, kooperiert eng mit dem Verein „Pfotenhilfe“.

Im regen Austausch: Daniela Ergün (l.) und Thorsten Habel mit Dilara (2.v.l.) und Semih.
Im regen Austausch: Daniela Ergün (l.) und Thorsten Habel mit Dilara (2.v.l.) und Semih. © Christine Horn

„Ich darf mit ihr zum Beispiel in den REWE bei mir um die Ecke. Selbst in der Hautklinik ist sie willkommen. Aber manche Zahnärzte sind sehr skeptisch, fürchten um die Hygiene“, bedauert ihr Herrchen zutiefst. Aber er gibt nicht auf, kämpft um die Akzeptanz von Assistenzhunden. „Dortmund ist da mittlerweile Vorreiter. Sicherlich auch wegen uns“, sagt Toto stolz.

Thorsten Habel hatte Glück, dass Hanni nicht als Blindenhund ausgebildet werden konnte. „Daher habe ich für sie nur 13.000 Euro bezahlt. Aus eigener Tasche“, erzählt der Dortmunder. Ein Umstand, der auch den heutigen Gesundheitsminister Karl Lauterbach bei einem Treffen 2022 in Dortmund sehr erstaunte. „Er konnte nicht glauben, dass ich Hanni selber bezahlen musste.“

Lebensretterin und Lebensbegleiterin: Hündin Hanni und ihr Herrchen Toto.
Lebensretterin und Lebensbegleiterin: Hündin Hanni und ihr Herrchen Toto. © Gabriele Metz

Totos Anliegen, die Öffentlichkeit für das Thema Assistenzhund zu sensibilisieren, führte ihn auf Einladung von Sebastian Rottmar nun nach Waltrop. Und hier kam es zum Treffen mit der Waltroperin Dilara.

Die 14-Jährige leidet an Depressionen. „Damit gehen wir ganz offen um“, sagt ihre Mama Daniela. Dilara spielte bis zur vergangenen Saison noch bei den Waltroper Teutonen Fußball. Jetzt kickt sie in der U17-Mädchenmannschaft des ASC Leone in Herne-Wanne.

Angstzustände sind der ständige Begleiter der Jugendlichen, die die Waltroper Gesamtschule besucht - dank eines verkürzten Stundenplans ist das möglich. Bevor Toto und Hanni durch das Tor am Sportzentrum Nord kommen, wirkt sie verschlossen, unsicher. Sie scheint sich unwohl zu fühlen.

Doch dann huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. Hanni trägt bei diesem Besuch nicht die orangefarbene Kenndecke, die sie als Assistenzhund deutlich sichtbar kennzeichnet. „Hier jetzt hat sie frei, jetzt ist sie ein ganz normaler Hund.“ Dilara fragt, ob sie Hanni streicheln darf. „Natürlich“, sagt Toto. Hanni kommt schwanzwedelnd auf Dilara zu.

Die Autogramme von Toto waren bei dem Treffen am Waltroper Sportzentrum Nord sehr begehrt.
Die Autogramme von Toto waren bei dem Treffen am Waltroper Sportzentrum Nord sehr begehrt. © Christine Horn

Es scheint, als ginge die Sonne für Dilara auf. „So einen hätte ich auch gerne“, sagt die Achtklässlerin. Der Hintergrund: „Ihre Therapeutin hat schon vor einem halben Jahr vorgeschlagen, dass ein Assistenzhund Dilara sehr gut tun würde. Sie braucht diese Nähe“, erläutert Daniela Ergün.

Unzählige Fragen hat die Familie, zu der auch Vater Arif - Jugendtrainer bei Teutonia SuS Waltrop - und die Geschwister Semih und Taylan gehören. Natürlich fallen sie vom Glauben ab, dass ein ausgebildeter Therapiehund weit mehr als 20.000 Euro kostet. Und dass die Krankenkassen diese Kosten nicht übernehmen.

Während Toto Autogramme schreibt und Hanni die interessierten Kinder, Jugendlichen und Eltern bestens unterhält, gibt der Dortmunder der Waltroper Familie wertvolle Tipps. So weiß er von einer Frau aus der Umgebung, die an Depressionen leidet, aber ihr Leben dank eines Assistenzhundes viel besser meistern kann. Toto bietet an, den Kontakt zur Familie Ergün herzustellen.

Dankbar scheinen Daniela und Arif Ergün alle Informationen aufzusaugen. Daneben sitzt Dilara. Sie lächelt, während sie Hanni streichelt.