Schiedsrichter mit Behinderung an der Seitenlinie Verwunderte Gesichter, aber kaum Diskussionen

Vier Schiedsrichter mit Behinderung an der Seitenlinie
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Es ist ein ganz besonderes Pilotprojekt. Anfang 2022 startete das „I-Gespann“ (das I steht für Inklusion) im Fußballkreis Ahaus-Coesfeld und leitete bis heute gleich zehn Kreisliga-Partien. In ihrer ersten Winterpause als Schiedsrichter-Assistenten lohnt sich der Blick zurück.

„Es war eigentlich nur eine Schnapsidee“, erinnert sich Daniel Banken. Er war der Initiator und der Grund dafür, dass da am 7. Januar in Gescher erstmals vier Menschen mit Behinderung an der Seitenlinie standen. Alle vier haben eine geistige Behinderung und wohnen deshalb in der Einrichtung „Haus Hall“, sind körperlich aber voll in der Lage, über 90 Minuten das Spiel zu führen. Der Auftakt Anfang Januar war dabei nur der Beginn einer tollen Geschichte, knapp zwölf Monate später ist längst ein gefestigtes Team von Unparteiischen daraus zusammengewachsen.

„Ich hole sie immer mit dem Auto ab und danach bereiten wir uns genauso auf das Spiel vor, wie es bei anderen Schiedsrichtern der Fall ist. Auch im höherklassigen Bereich“, erzählt Banken. Die Fußball-Fachmänner tauschen sich dann über die vergangenen Ergebnisse der Teams und die Tabellensituation aus, ob vielleicht ein Spieler zuletzt negativ aufgefallen ist oder was das Gespann sonst noch so im Kreisliga-Alltag erwarten könnte.

Alle fünf, egal ob mit oder ohne Behinderung, vertrauen sich. „Wenn sie das Tornetz oder die Kleidung gecheckt haben und sie mir sagen, dass alles passt, muss ich da auch gar nicht weiter nachschauen“, sagt der Initiator, der seit mittlerweile 18 Jahren Unparteiischer beim FC Ottenstein ist.

Im Januar 2022 war das „I-Gespann“ zum ersten Mal im Einsatz.
Im Januar 2022 war das „I-Gespann“ zum ersten Mal im Einsatz. © Privat

Und wenn die Kugel dann endlich rollt, steht das vierköpfige „I-Gespann“ an der Seitenlinie und hebt die Fahne, sobald der Ball im Aus ist. Dass das alles andere als einfach ist, hat die vergangene Fußball-Weltmeisterschaft in Katar gezeigt. Das Siegtor der Japaner über Spanien, welches maßgeblich für das deutsche Ausscheiden verantwortlich war, folgte einer äußerst strittigen Szene, in der der Ball nur noch Zentimeter im Feld zu sein schien.

Sogar im Spiel der deutschen Mannschaft gegen Costa Rica gab es eine Situation, in der die DFB-Elf einen offensichtlichen Eckball durch die Linienrichterin nicht zugesprochen bekam. Vielleicht hätte das „I-Gespann“, in dem alle Schiedsrichter zwischen 16 und 60 Jahren alt sind, diese Szenen besser einschätzen können. Immerhin stehen sie ja sogar zu viert am Platz.

„Für Außenstehende kurios“

„Das ist natürlich für Außenstehende erstmal kurios, wenn da zwei mehr als sonst sind“, sagt der 32-jährige Daniel Banken. „Aber wir merken, dass das Projekt sogar deeskalierend wirkt. Es gibt weniger Diskussion und auch der Kartenschnitt ist deutlich geringer, als bei anderen Kreisligaspielen.“

Es gab dazu schon einen großen echten Höhepunkt, als die Schiedsrichter beim B-Liga-Spitzenspiel im Fußballkreis Ahaus/Coesfeld eingesetzt wurden. „Wir haben ein Spiel der ersten Mannschaft der SF Graes geleitet. Also ein Team, an dem ein ganzer Verein hängt. Und wir haben sie in einem Liga-Spiel gepfiffen, das ist eine tolle Wertschätzung“, freut sich der Ottensteiner. Fußball sei hier in der Umgebung sehr wichtig und deshalb sollte auch jeder Mensch die Möglichkeit haben, sich in dem Spiel integrieren zu können.

Generell seien die Geschichten rund um die Referees nicht mit dem Abpfiff am Kreisliga-Nachmittag beendet. „Wenn es eine Strafstoßentscheidung oder eine Rote Karte gibt oder etwas ganz Besonderes passiert, reden die Vier da noch die ganze Woche von“, sagt Banken lachend.

Dass sie dann wirklich irgendwann mal komplett alleine an der Pfeife stehen, ist allerdings eher unwahrscheinlich. „Sie haben Probleme damit, Wechsel und Karten aufzuschreiben, weil sie eben nicht schreiben können. Außerdem haben wir einmal versucht, dass sie zusätzlich Abseits anzeigen, aber dafür ist das Spiel einfach zu schnell.“ Das sei alles auch überhaupt nicht schlimm, erzählt der Ottensteiner und freut sich, dass das Pilotprojekt mittlerweile sogar erweitert wurde.

Projekt soll sich vergrößern

Im Fußballkreis Münster fand zuletzt an der Maximlian-Kolbe-Schule in Nordkirchen ein Schiedsrichterkurs für Menschen mit Förderbedarf statt. Die 17- bis 19-jährigen Schüler pfiffen sogar bereits das erste Spiel gemeinsam. In Herne und Rheine gibt es ebenso schon Interessenten. „Wir wollen das Projekt in ganz Nordrhein-Westfalen bekannt machen und dafür sorgen, dass es überall solche Projekte gibt. Wir werden nun noch ein Jahr lang Erfahrungen sammeln und uns dann, zum Beispiel in Zusammenarbeit mit dem DFB, vergrößern“, sagt Daniel Banken.

Daniel Banken (l.) organisierte in Nordkirchen auch schon einen zweiten Lehrgang. Danach unterstützte das „I-Gespann“ Michael Schmid (2.v.r.).
Daniel Banken (l.) organisierte in Nordkirchen auch schon einen zweiten Lehrgang. Danach unterstützte das „I-Gespann“ Michael Schmid (2.v.r.). © Nico Ebmeier

Allerdings ist klar, dass der 32-Jährige das nicht alleine schafft. „Auch wenn es mir sehr viel Spaß macht. Es würde mich wirklich freuen, wenn es in anderen Fußballkreisen weitere Schiedsrichter gibt, die ein solches Projekt auf die Beine stellen wollen.“ Vielleicht gibt es dann bald sogar in ganz Westfalen „I-Gespanne“, die an der Seitenlinie stehen.

Pilotprojekt in Ahaus/Coesfeld: Menschen mit Behinderung künftig an der Seitenlinie