Am 2. Oktober waren bundesweit bereits viele Arztpraxen geschlossen. Am 15. November (Mittwoch) protestieren die Hausärzte abermals, landesweit in Nordrhein-Westfalen sowie in einigen anderen Bundesländern im Westen und Südwesten Deutschlands – zum ersten Mal zusammen mit den Apothekern.
Ab 10 Uhr bleiben viele Hausarztpraxen zu, darunter beide in Legden und die meisten in Ahaus. Aus Sicht der Mediziner gibt es gute Gründe, so schnell wieder ein Zeichen zu setzen.
„Das hat nichts mit einem Streik zu tun“, ordnet Hausarzt Bernd Balloff aus Legden, Vorstandsmitglied des Gesundheitsnetzes Westmünsterland, ein. „Es handelt sich um einen Protest, bei dem wir die Patienten mitnehmen wollen. Es geht nämlich um ein Thema, das alle Menschen betrifft – ob jung oder alt, ob Stadt oder Land.“
„Wahrheit nicht wahrgenommen“
Die Reaktion der Politik, insbesondere des Gesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD), auf die bislang letzte Aktion Anfang Oktober habe wohl niemandem gereicht. Lauterbach hatte den Protest der Ärzte kritisiert und sich vor allem auf die Forderung der Mediziner nach einer höheren Vergütung bezogen.
„Der Eindruck vieler ist, dass die verantwortlichen politischen Kräfte die aktuelle Wahrheit nicht wahrnehmen“, so Balloff weiter. Die wohnortnahe Versorgung der Menschen mit ambulanten ärztlichen Leistungen werde immer schwieriger. „Praxen werden geschlossen, weil Ärzte in den Ruhestand gehen und es keine Nachfolger gibt. Die Patienten wissen dann nicht mehr, zu welchem Arzt sie gehen müssen.“

Das Problem sei, dass nicht erkannt werde, dass gerade Hausarztpraxen wirtschaftlich arbeiten müssten, um eben diese wohnortnahe Versorgung sicherzustellen. „Wir sind eben auch Wirtschaftsbetriebe. Unsere Praxis würde zum Beispiel ohne unser Team, unsere Mitarbeiterinnen, nicht laufen. Das sind sehr gute Leute, die auch ordentlich bezahlt werden müssen“, erklärt Balloff. „Wir tun viel, um sie zu halten, stecken zum Beispiel Geld in Weiterbildungen. Dass die teuer sind, ist natürlich klar.“
Balloff wünscht sich Kommunikation
Er und sein Team hätten trotz Arbeit an der Belastungsgrenze Spaß an ihrem Job. „Wir haben einen tollen Beruf“, sagt er. Nur käme bei vielen Mitarbeitern zunehmend Frust dazu, zum Beispiel aufgrund der vielen bürokratischen Herausforderungen (Balloff: „60 Arbeitstage im Jahr verwenden wir nur dafür!“) oder Schwierigkeiten mit der Praxissoftware, die nicht immer funktioniere.
Am Ende erwarte er sich vor allem eine bessere Kommunikation seitens der Politik und ein gemeinsames Handeln, um hausärztliche Versorgung zukunftsfähig auszurichten. „Wir hätten Konzepte“, stellt Balloff fest. „Es findet aber zu wenig zusammen statt.“ Als Reaktion wünsche er sich vom Gesundheitsminister zunächst einmal ein Statement, „dass er auch die ambulante Versorgung der Menschen als wichtig erachtet und dass sie zukunftsfähig gemacht werden muss.“
Noch etwas deutlicher in seinen Worten wird Dr. Dr. Heinz Giesen, der als Hausarzt in Wüllen arbeitet. Er ist Delegierter des Hausärzteverbandes auf Landes- und Bundesebene sowie in der Ärztekammer. „Wir erleben gerade eine extrem heikle Situation“, sagt er.
Als zentrale Adressaten des Protests sieht er nicht einmal unbedingt die Politiker selbst, sondern als Zwischenschritt zunächst die Patienten. „Sie müssen erkennen, dass das System vom Grundsatz her krank ist“, sagt er, verbunden mit der Hoffnung, dass sich auch viele „normale“ Bürger an den Protesten beteiligen und den Kontakt zur Politik suchen.
Geld sollte nicht im Zentrum stehen
Zwar gehe es bei der Kritik am System auch um die angemessene Vergütung von Ärzten und Apothekern, allerdings sagt Giesen: „Wir glauben, dass das Gerede ums Geld der Sache insgesamt schadet.“
Ärzte seien nicht grundsätzlich schlecht bezahlt. „Vor allem in der Corona-Zeit habe Ärzte sogar sehr gut verdient. Einige Sachen sind da vielleicht sogar überbezahlt gewesen“, glaubt der Allgemeinmediziner.
Inzwischen gebe es das Virus zwar immer noch. „Doch man bekommt den Eindruck, das jetzt versucht wird, das Geld wieder einzusparen.“ Dies schlage sich schließlich in fehlender Zeit für die einzelnen Patienten nieder, die diese eigentlich bräuchten, um gut behandelt zu werden.

Mit den aktuellen Budgets der gesetzlichen Krankenversicherung sei ein Patient spätestens nach dem zweiten Arztkontakt pro Quartal für die Praxis unwirtschaftlich. „Als Konsequenz daraus erhält der Patient seinen nächsten Termin beim Facharzt erst im nächsten Quartal. In jeder Praxis kann die Wirtschaftlichkeit nur dann sichergestellt werden, wenn pro drei Monate möglichst viele Patienten nur eine einzige oder zumindest so wenig Leistung wie möglich erhalten. Eine Katastrophe“, befindet Giesen.
„Der Bürger muss sich beschweren“
Als konkretes Beispiel führt er ein psychosomatisches Gespräch an. Dafür habe der Arzt, sofern er wirtschaftlich arbeiten wolle, lediglich sieben bis neun Minuten Zeit. Angedacht sei aber grundsätzlich eine Dauer von 15 Minuten. „Selbst das ist ja nicht wirklich viel“, so Giesen.
„Ich möchte gerne, dass sich ein Patient fragt, ob diese Zeit wirklich ausreicht“, sagt er weiter. „Wenn nein, dann muss sich der Bürger beschweren.“ Aufgrund der Gesamtlage rutsche man sonst in eine „systematische Unterversorgung.“
Für ihn sei der Beruf des Arztes weiterhin der schönste der Welt. „Ich meine das ernst“, fügt Giesen hinzu. Aber ich sehe, dass die Motivation schwindet, in die Medizin zu gehen. Probleme, einen Job zu finden, hätten Mediziner nicht. „Aber sie gehen dann vielleicht ins Ausland. Eine Hausarztpraxis übernehmen die jungen Leute nicht mehr.“