Legdener Verein rettet Existenzen „Die Katastrophe im Ahrtal hat uns alle verbunden“

Legdener Verein rettet Existenzen in Zeiten der Katastrophe
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Es ist die Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021. Innerhalb von 24 Stunden fallen mehr als 100 Liter Regen pro Quadratmeter in Teilen von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Menschen werden von den Ausmaßen des Hochwassers überrascht. Häuser werden überflutet. Viele haben alles verloren. Über 180 Menschen hat die Flut das Leben gekostet. Eine der schwersten Naturkatastrophen der letzten Jahrzehnte.

Ein Tag, der auch das Leben des Legdeners Christof Hintemann und der beiden Velener Claudia Großer und Christian Weßeling verändern soll. „Wir haben den Fernseher damals nicht mehr ausgemacht“, sagt Claudia Großer. Besonders das Ahrtal stand damals im Fokus der Medien. Die Erinnerungen an die Bilder aus dem Katastrophengebiet sind lebendig. Und auch das Gefühl der Hilflosigkeit, das einfach nicht gehen wollte.

Für die beiden Velener war klar, dass sie etwas tun müssen. Claudia Großer arbeitet im Einzelhandel, Christian Weßeling ist eigentlich Lkw-Fahrer. Im Katastrophengebiet wird jede Hilfe gebraucht. Etwa zwei Wochen nach dem Unglück geht es für die beiden dorthin, wo die Flut alles mit sich gerissen hat.

Verein aus Hilflosigkeit

Etwa einen Monat gründet sich die Katastrophenhilfe Münsterland. Freiwillige aus dem Kreis Borken packen mit an. Das Ziel: Menschen zu helfen, die keine Hoffnung finden können und eigentlich Fremde sind. „Die Katastrophe im Ahrtal hat uns alle verbunden“, sagt Christian Weßeling.

Das ist mittlerweile über drei Jahre her. „Seitdem sind wir im Schnitt alle zwei Wochen heruntergefahren“, schätzt der Velener. Fremde aus dem Ahrtal wurden zu Freunden. Und die Vereinsarbeit zum Alltag.

„Am Anfang ging es erstmal um Aufräumarbeiten“, sagt der Legdener Christof Hintemann. In den Katastrophengebieten musste erst einmal Ordnung geschaffen und aufgeräumt werden. Und dann wurde Schritt für Schritt die gesamte Infrastruktur wiederaufgebaut. Dabei hat auch die Katastrophenhilfe Münsterland geholfen.

„Das Steckenpferd unseres Vereins sind die Spielplätze.“ Insgesamt hat der Verein seit Anfang 2022 sechs Spielplätze im Ahrtal wiederhergestellt. Und einiges an Baumaterial geliefert.

Claudia Großer mit Schaufel beim Aufbau eines Spielplatzes im Ahrtal
Das Steckenpferd der Katastrophenhilfe Münsterland ist der Wiederaufbau von Spielplätzen. Seit Anfang 2022 konnte der Verein insgesamt sechs Spielplätze, die durch das Hochwasser zerstört wurden, wiederherstellen. © Privat

Schnelle Hilfe in Katastrophen

Drei Jahre nach dem Hochwasser ist das Ahrtal immer weiter aus dem Blick der Medien gerutscht. Gründungsmitglieder und ehemalige Helfer haben den Verein verlassen. „Sie waren auch irgendwann müde“, sagt Christof Hintemann und nickt leicht. Zwei Jahre nach der Katastrophe hat der Gründungsvorstand die Verantwortung in andere Hände gelegt und den Sitz des Vereins nach Legden verlegt. Der Legdener selbst ist durch eine Großspende im Dezember 2021 auf den Verein aufmerksam geworden und dann beigetreten.

Trotz schwindender Medienaufmerksamkeit ist für die momentan neun Mitglieder noch lange nicht Schluss: Die Katastrophenhilfe hat sich mittlerweile auf den Transport von Haushaltswaren und Einrichtungen spezialisiert. Liefern im Prinzip auf Bestellung das, was Menschen in Katastrophengebieten benötigen. „Wenn jemand eine Küchenuhr braucht, dann organisieren wir das über Sachspenden“, sagt Christof Hintemann. Und natürlich sammeln sie weiterhin Geldspenden.

Claudia Großer steht vor Transporter mit Sachgütern
Die Mitglieder des Vereins helfen durch Sach- und Geldspenden. Aber auch durch emotionale Unterstützung. Für Menschen wie Claudia Großer eine enorme Verantwortung – aber die Dankbarkeit der Betroffenen sei unbezahlbar. © Privat

Neben der laufenden Versorgung im Ahrtal und anderen Flutgebieten engagiert sich der Verein in Ukraine-Hilfen. Und auch lokal im Kreis Borken rund um Spontanhilfen. Flachpumpen und Sandsäcke liegen im Fall der Fälle bereit.

Der Vorteil: „Wir können unheimlich schnell reagieren“, sagt Christof Hintemann. Das ist auch dem Partnerkreis Breslau in diesem Herbst zugutegekommen. Nach dem Oder-Hochwasser hat die Katstrophenhilfe Münsterland innerhalb kürzester Zeit Erstmaterial nach Polen in den Partnerkreis des Kreises Borken geliefert. Binnen weniger Tage haben sich Claudia Großer und Christian Weßeling auf den Weg gemacht, nachdem Landrat Dr. Kai Zwicker um Transport gebeten hatte. „Das ist schon ein tolles Gefühl, wenn der Landrat selbst oder andere Städte auf uns aufmerksam werden.“

Opfer für den Verein

Wochenenden, freie Tage, Jahresurlaub – alles für den Verein und Menschen, die Hilfe benötigen. Und wieso? Ganz einfach: „Weil wir von Herzen gerne helfen.“ Für Claudia Großer und Christian Weßeling keine große Sache. „Wenn das hier passieren würde, hätten wir auch gerne Hilfe“, sagt Claudia Großer.

Menschen in Not werden von dem Verein nicht nur körperlich, sondern auch emotional unterstützt. Für die Vereinsmitglieder nicht immer leicht. „Das war damals im Ahrtal auch eine gedankliche Katastrophe“, erinnert sich Christian Weßeling.

Claudia Großer und Christian Weßeling stehen vor Anhänger mit Sachgütern
Einen Großteil ihres Privatlebens widmen die beiden Velener der Katastrophenhilfe Münsterland. Weil Claudia Großer und Christian Weßeling einfach von Herzen gerne helfen. Und, weil aus den einst Fremden im Ahrtal schon lange Freunde geworden sind. © Privat

„Die Eisenbahnschienen haben sich wie im Film zu Spiralen gebogen“, Claudia Großer schüttelt leicht den Kopf. In ihren Gedanken leben die Bilder von abgerissenen Häusern, herrenlosen Kinderbetten und einer unterspülten Schule wieder auf. „Diese Dimensionen konnte man sich gar nicht vorstellen.“ Sie blickt einen Moment ins Leere und schiebt diese Gedanken dann wieder beiseite, lächelt.

„Wir haben das alles mit Herzblut gemacht“, sagt ihr Partner. Dass der Jahresurlaub statt am Strand im Containerdorf des Katastrophengebiets verbracht wurde, scheint nur ein geringes Opfer für die Velener darzustellen. Auch sprechen sie in höchsten Tönen von ihrem Vereinskollegen Klaus Fischer, der sich sehr engagiere.

Erfolge der Katastrophenhilfe

In über drei Jahren hat die Katastrophenhilfe Münsterland zahlreichen Menschen und Familien geholfen, ihre verlorenen Existenzen wieder aufzubauen. Im Fokus liegt, komplizierte Strukturen und Behördengänge für die Betroffenen zu vermeiden. „Die öffentlichen Behörden vor Ort sehen das in ihrer Hand und nicht in der von Freiwilligen“, sagt Christof Hintemann. Grund sei, dass alles zentralisiert und organisiert ablaufen soll.

Doch diese komplizierten Wege wolle man den Betroffenen ersparen. „Bei uns kommt ein Anruf oder eine Nachricht, dass die Leute etwas Bestimmtes brauchen, und dann bekommen sie das“, sagt Christof Hintemann. So unkompliziert, wie es eben geht. Über die Arbeit und Spendenmöglichkeiten informiert der Verein unter anderem auf Facebook.

Egal, wo es für die Helfer hingeht – vor Ort begegnet ihnen Dankbarkeit. Ein unbeschreibliches Gefühl. „Und wenn man dann nach Hause kommt, weiß man erstmal zu schätzen, was man eigentlich hat“, sagt Claudia Großer und lacht.

Zum Jahresende geht es für die beiden Velener vielleicht nochmal ins Ahrtal. Die letzten Tage des Jahres wollen Claudia Großer, Christian Weßeling und Christof Hintemann ganz entspannt ausklingen lassen. „Wenn nicht gerade das nächste Starkregenereignis einläutet.“

Auf dem Bild steht Klaus Fischer neben Claudia Großer vor einer Lieferung mit Sachspenden in ein Katastrophengebiet.
Einen großen Beitrag zum Verein leistet auch Klaus Fischer. Er engagiert sich besonders für die Organisation der Sachspenden. Auf dem Bild steht er neben Claudia Großer vor einer Lieferung mit Sachspenden in ein Katastrophengebiet. © Privat