Eine der Straßen mit nationalsozialistischem Hintergrund, die möglicherweise umbenannt werden soll, ist die Friedrich-Castelle-Straße in Legden.

© Markus Gehring

Castelle und Wagenfeld: NS-belastete Straßennamen in Legden vor dem Aus?

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Friedrich Castelle und Karl Wagenfeld waren Nazis. Dennoch tragen Straßen in Legden ihren Namen. Jetzt ist die Debatte entbrannt, ob sie umbenannt werden müssen. Der Ausgang ist offen.

Legden

, 11.02.2022, 04:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Muss der Lönsweg in Legden umbenannt werden? Dürfen Friedrich Castelle und Karl Wagenfeld, die beide im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus eine besondere Rolle spielten, noch Namensgeber für Straßen in Legden sein? Diese Fragen hat der Schul- und Kulturausschuss am Mittwochabend kontrovers diskutiert.

„Mir läuft ein Schauer über den Rücken, wenn ich mir die Biografien und Schriften dieser vielfach als ,Heimatdichter‘ verehrten Männer von nationalistischer oder nationalsozialistischer Gesinnung vor Augen halte.“ Mit diesen Worten hat 2020 eine gebürtige Legdenerin eine Umbenennung der Friedrich-Castelle-Straße, des Lönsweges und der Wagenfeldstraße in Legden beantragt.

Die Antragstellerin, die seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht mehr in Legden lebt, scheibt weiter: „Ich selbst bin in meiner Kindheit im direkten Umfeld dieser Straßen aufgewachsen, ohne zu wissen, nach wem sie benannt wurden.“ Heute weiß sie es besser.

  • Karl Wagenfeld (1869-1939) war westfälischer Mundartschriftsteller mit nationalistisch-rassistischer Grundhaltung. Er war Verfechter einer stammhaft-landschaftlich fundierten Volksgemeinschaft. „Aus dieser Überzeugung und aus politischer Opportunität stellte er sich nach 1933 den Nationalsozialisten zur Verfügung“, so heißt es in der Datenbank des des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) zu NS-Straßenbenennungen.
  • Friedrich Castelle (1879-1954) aus Münster war ein völkischer deutscher Journalist und Schriftsteller und Parteigänger des NS-Regimes. Schon vor 1933 leistete Castelle den Nationalsozialisten publizistische Unterstützung. Im Entnazifizierungsverfahren wurde er als „a strong Nazi“ beurteilt.
  • Hermann Löns (1866-1914) war Journalist und „Heidedichter“ mit nationalistischer Prägung. Er wurde posthum von den Nationalsozialisten vereinnahmt, wohl auch, weil er sich zu Lebzeiten sozialdarwinistisch und rassisch-völkisch geäußert hatte.

CDU: „Belastete Straßennamen können Denkanstöße im Alltag sein“

„Da sind wir uns doch alle einig: Keine dieser drei Personen würde heute mit einem Straßennamen geehrt werden“, erklärte der sachkundige Bürger Bernhard Laukötter am Mittwochabend für die CDU-Fraktion. „Aber der Rat hat damals die Straßennamen vergeben. Das können wir nicht einfach auslöschen und ungeschehen machen.“

"Heidedichter" Hermann Löns starb schon 1914, also lange vor den Nationalsozialisten, von denen er aber verehrt wurde. Er hegte nationalistisches und sozialdarwinistisches Gedankengut.

„Heidedichter" Hermann Löns starb schon 1914, also lange vor den Nationalsozialisten, von denen er aber verehrt wurde. Er hegte nationalistisches und sozialdarwinistisches Gedankengut. © Markus Gehring

Bernhard Laukötter sieht in dem Erhalt der Straßennamen mit kritischen Zusatzschildern sogar eine Chance für mehr Geschichtsbewusstsein im Alltag: „Wir lassen Geschichte stehen und machen deutlich, dass wir heute anders entscheiden würden und dazugelernt haben. Da stoßen Menschen jeden Tag drauf, das bringt sie zum Nachdenken.“ Diese Lösung habe vor zehn Jahren auch die Stadt Ahaus gewählt. Burgsteinfurt, Metelen und Ochtrup und etliche andere Städte entschieden sich in den vergangenen Jahren für eine Umbenennung.

UWG: „Wir müssen die Straßen umbenennen“

Dafür ist auch die Legdener UWG. „Es ist unfassbar, dass diese Straßenamen in den 1950er- und 1960er-Jahren noch vergeben wurden“, erklärte Bruno König (UWG). „Wagengeld hat sich für ,Rassenhygiene‘ ausgesprochen. Castelle glorifizierte Hitler. Das dürfen wir nicht ignorieren. Das können wir nicht stehen lassen. Wir müssen die Straßen umbenennen“, so Bruno König. Die Kosten der Umbenennung, die den Anwohnern entstehen würden, müsse die Gemeinde übernehmen.

„Ein erklärendes Zusatzschild reicht nicht“, erklärte auch Gerd Heuser (UWG). Schließlich würde auf Briefen, Postkarten oder auch im Navigationsgerät keine kritische Zusatzinformation zur Adresse hinzugefügt. Heuser: „Das ist ein sehr sensibles Thema, für das wir eine gut begründete Lösung finden müssen.“

SPD: „Straßennamen sollten an die Opfer, nicht an die Täter erinnern“

Auch Tobias Ebbing (SPD) sprach sich dafür aus, eine Entscheidung „nicht übers Knie zu brechen“. Es müsse eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit und mit den Anwohnern geben. „Wir müssen die Menschen miteinbeziehen.“ Tobias Ebbing selbst hat für sich schon seine Position geklärt: „Ich bin grundsätzlich dafür, dass Straßenamen an die Opfer und nicht an die Täter erinnern sollten.“

Weiter gab er zu bedenken: „Die Straßen werden noch in 200 Jahren so heißen, wie wir das jetzt beschließen werden.“ Es gebe doch andere Dichter, die bessere Namensgeber wären, als diese drei.

Eine Anwohnerbefragung findet nicht statt

Und was denken die Anwohner? Die Verwaltung hatte in ihrer Sitzungsvorlage auch die Option einer Anwohnerbefragung ins Spiel gebracht. Bruno König vertrat eine klare Position: „Wir sind dafür gewählt, das müssen wir alleine entscheiden“. So sahen es auch die anderen Ausschussmitglieder. Damit, so Bürgermeister Dieter Berkemeier, sei eine Befragung vom Tisch: „Wir müssen uns eine Befragung nicht antun, wenn sie am Ende doch für die Katz ist.“

Gabi Uppenkamp (CDU) berichtete, das Thema werde in den Nachbarschaften stark diskutiert. „Ich habe mit einer Nachbarschaft gesprochen. Die Anwohner wären mit der Beibehaltung des Namens und einem Zusatzschild einverstanden.“

Am Ende fand der Verwaltungsvorschlag, die Namenänderung abzulehnen, keine Mehrheit im Kulturausschuss. Die CDU stimmt dafür, der Anregung der Bürgerin nicht zu entsprechen und stattdessen Zusatzschilder zu installieren. UWG und SPD stimmten dagegen. Die Abstimmung endete bei einer Stimmenthaltung mit einem Patt: fünf zu fünf Stimmen. Eine Entscheidung steht nun auf der Tagesordnung der Gemeinderatssitzung am Montag, 21. Februar.