In weißes Leinen gebunden liegt das DIN A5 Heft auf dem Tisch. In roten Buchstaben prangen die Worte „Mein Merkbuch“ auf dem Umschlag. Gestochen scharf, wie gedruckt, sind über 50 Seiten mit einem Füller in Sütterlinschrift beschrieben. Bei dem Heft handelt es sich um das Berichtsheft einer hauswirtschaftlichen Auszubildenden aus den Jahren 1944 bis 1945.
Im letzten Jahr des Zweiten Weltkriegs verbrachte die damals 18-jährige, aus Coesfeld stammende Paula Kösters ihr zweites Lehrjahr auf dem Hof Schulze Beikel in der gleichnamigen Legdener Bauerschaft Beikelort. Elisabeth Schulze Beikel hat sie damals auf dem Hof zur Hauswirtschafterin ausgebildet. Regelmäßig schrieb Kösters ihre Eindrücke, was sie gelernt hatte und Haushaltstipps in das Schulheft. Ihre Tochter, Annelie Sierp, hat dieses im Nachlass ihrer Mutter gefunden.

In gut 40 ausführlichen Berichten beschreibt die damalige Auszubildende anschaulich, wer sie ist, stellt den Hof genau vor, erklärt, was sie gelernt hat und gibt Tipps, die über die Haushaltsführung weit hinaus gehen. „Mitten aus Laub- und Nadelwäldern hebt sich der hufeisenförmige Beikelsche Hof hervor“, ist beispielsweise zu lesen.
Dabei vergisst sie nicht, regelmäßig auf die Widrigkeiten und Einbußen durch den Krieg hinzuweisen. „Der Mangel an Lebensmitteln und allen Haushaltswaren ist der Lehrfrau und dem Lehrherrn nicht zu vergessen.“ Trotz dieser Erschwernisse seien Haus und Hof gut verwaltet, schreibt die 18-Jährige anerkennend.

Ihre Beschreibungen der unterschiedlichen Arbeitsabläufe sind mitunter so ausführlich und detailreich, dass der Leser das Gefühl bekommt, sich mitten in der Szene zu befinden. Besonders die Kapitel über das Waschen der Wäsche und Schlachten eines Schweins übermitteln, wie viel Arbeit und Aufwand in den 40er-Jahren hinter sauberer Wäsche oder einem Stück Wurst steckten.
Tagelang nahm die Wäschepflege damals noch in Anspruch. Paulas Beschreibungen beginnen mit dem Einweichen. Gutes Einweichen sei schon das halbe Waschen, notiert sie. Die genauen Abläufe mit mehrmaligem Waschen sehr verschmutzter Wäsche und dem frühen Schüren des Feuers sind so ausführlich und präzise beschrieben, dass die Erfindung der Waschmaschine direkt einen noch größeren Stellenwert erhält.

Doch Paula Kösters begnügt sich nicht damit, nur die Abläufe der einzelnen Arbeiten zu beschreiben. In ihrem Merkbuch notiert sie auch Tipps zur Fleckentfernung, dem Obst- und Gemüseanbau, notiert Rezepte, und schreibt wertvolle Ratschläge im Umgang mit den Tieren auf.
Sehr genau geht sie auch auf das Schlachten eines Schweins ein. Sie beschreibt die Vorbereitungen, die Verarbeitung des Fleisches unter anderem zu unterschiedlichen Würsten sowie die Konservierung des Fleisches. Denn, 1944 war der Kühlschrank noch kein übliches Haushaltsgerät in Deutschland, sondern ein Luxusartikel.

Annelie Sierp erinnert sich noch gut an die Erzählungen ihrer Mutter aus besagter Zeit. „Meistens wenn wir meine Großeltern in Coesfeld besucht haben, kam das Thema auf“, sagt sie. Die Familie Sierp wohnt heute in Georgmarienhütte. Annelie Sierp ist mit ihren vier Geschwistern in der Nähe aufgewachsen.
Ihre Mutter beschreibt sie als bodenständige Frau, die bis zuletzt großen Wert darauf gelegt hat, Obst und Gemüse im Garten anzubauen. Bei einem Bauern habe die Familie ein Stück Feld gepachtet und dort das Gemüse für die siebenköpfige Familie angebaut. „Als Kinder mussten wir immer helfen“, schildert sie.

Paulas akribische Schreibarbeit hat sich gelohnt. Das Werk wird am 15. März 1945 mit der Note „gut“ bewertet. Der Hof Schulze Beikel wird heute vom Enkel der damaligen Lehrherrin Elisabeth Schulze Beikel geführt. Er wohnt mit seiner Lebensgefährtin und Mutter auf dem Hof.