Diese Gaststätte kennt jeder, der zwischen Werne und Herbern unterwegs ist: „Zum .,letzten Wolf“, ein langgestrecktes rotes Fachwerkhaus an der Straße mit rückwärtigem Anbau. Davor und danach: jede Menge Feld und Flur. Und auf der anderen Straßenseite: die Ausläufer des Waldes, in dem sich fast genau 189 Jahre zuvor eine unvergessliche Jagd abgespielt hat. An sie erinnern nicht nur der Name der Gaststätte, sondern auch ein Gedenkstein.
„Am 14. Januar 1835 wurde hier vom Gastwirt Josef Hennemann Herbern der letzte Wolf in Westfalen zur Strecke gebracht“, ist darauf zu lesen. Das Denkmal war 2017 rundum restauriert worden. Die leer stehende Wirtschaft gegenüber dämmert indes vor sich hin, ohne dass Bauarbeiter die historische Bausubstanz für die Zukunft sichern. Dabei hat der Eigentümer eigentlich Großes vor.
„Wir überlegen derzeit, ob dort nicht Wohnbebauung entstehen könnten.“ Das hatte Ende Januar 2022, also vor zwei Jahren, Stefan Grünert gesagt. Er arbeitet seit fast 30 Jahren als Rentmeister für den Grafen von Merveldt und damit für eines der ältesten Adelsgeschlechter des Münsterlandes. Zu den Besitzungen gehören neben 700 Hektar Wald unter anderem der Drostenhof in Wolbeck, Schloss Lembeck und Schloss Westerwinkel - und die Gaststätte „Zum letzten Wolf“, die ursprünglich ein landwirtschaftlicher Betrieb war. Die damals von Grünert angedeuteten Überlegungen, Wohnraum zu schaffen, haben sich längst konkretisiert.
Vier Wohneinheiten
Vier Wohneinheiten könnten in dem einstigen Ausflugslokal entstehen, sagt Grünert: geräumige Wohnungen, die Platz für Familien bieten. Die Erschließung würde von hinten erfolgen. Da, wo noch vor einigen Jahren die Außenterrasse war, sollen Gärten entstehen. Die Wohneinheiten im Obergeschoss bekommen Balkone. Aber egal, ob aus dem Garten oder vom Balkon: In jedem Fall würden die Bewohnerinnen und Bewohner einen schönen Ausblick in die unverbaute weite Landschaft der Bauerschaft Horn haben. Um den Straßenlärm von der anderen Seite draußen zu lassen, werde mit Schallschutzmaßnahmen gearbeitet. Eine gefragte Wohnlage trotz der Nähe zur Bundesstraße, ist der Rentmeister überzeugt. Doch so weit ist es noch lange nicht.
„Die Genehmigungsbehörde tut sich schwer“, sagt der Rentmeister. Mehr als eineinhalb Jahren liege die Bauvoranfrage dort schon vor. Grünert würde das lange Zögern verstehen, wenn der Graf von Merveldt das Ortsbild prägende Gebäude abreißen lassen wollte, um etwas ganz Neues zu erreichten. „Aber wir wollen es ja erhalten.“ Das betagte Mauerwerk solle die Außenhaut für Modernes Wohnen nach aktuellen Standards bieten. Dennoch ist das Ansinnen bislang nicht auf Gegenliebe in der Kreisverwaltung gestoßen. Das hat mit der Lage zu tun. Denn das Bauprojekt befindet sich im Außenbereich.
„Was nicht muss, darf nicht“
Die Regeln für Bauvorhaben im Außenbereich formuliert der Kreis Coesfeld so: „Was nicht sein muss, darf nicht sein.“ Denn: „Neubauten im Außenbereich stellen einen Eingriff in Natur und Landschaft dar.“ Durch die Bauwerke werde Boden ganz oder teilweise dauerhaft versiegelt und stehe somit Pflanzen und Tieren nicht mehr als Lebensraum zur Verfügung. „Die Fläche für die Versickerung von Regenwasser verringert sich, das Landschaftsbild erfährt im allgemeinen eine Beeinträchtigung“, heißt es auf der Homepage des Kreises. Viel Spielraum bleibt da nicht.
Er könne es verstehen, dass es für das Bauen im Außenbereich besonders strenge Vorgaben gebe, um eine Zersiedelung der Landschaft vorzubeugen, sagt Grünert. „Das ist auch ein vernünftiges Ziel.“ Aber der einstige Bauernhof mitsamt Gaststätte existiere ja bereits so lange, dass er die Geschichte des Ortes geprägt habe. Es gehe also nicht darum, etwas Neues zu schaffen, sondern das Alte in die Zukunft zu retten. Die Alternative dazu: ein ersatzloser Abriss.
Metalldiebe unterwegs
Dass das Gebäude nicht mehr als Gastwirtschaft genutzt werden kann, steht für die gräfliche Verwaltung schon lange außer Frage. 2011 hatten die ehemaligen Pächter, die Familie Hammwöhner, das Tagesgeschäft dort aufgegeben und war in das Hotel Zum Wolfsjäger im Herberner Zentrum gewechselt. Die Suche nach einem andern Pächter für „Zum letzten Wolf“ war daraufhin erfolglos geblieben - auch wegen der veralteten Haustechnik, insbesondere der Wasserver- und -entsorgung. „Daraufhin hatten wir uns entschieden, die Sache selbst in die Hand zu nehmen“, sagt der Rentmeister.
Zumindest planerisch. Die Handwerker müssen weiter warten. So lange sind andere im „Zum letzten Wolf“ aktiv: nicht nur die freiwillige Feuerwehr, die dort etwa im Sommer 2021 Übungen absolviert hat. „Viermal haben uns schon Metalldiebe die Dachrinnen und Fallrohre abmontiert“, sagt Stefan Grünert.
Noch hofft Grünert, schließlich doch noch grünes Licht für das Wohnprojekt im Grünen zu bekommen. Damit das rote, lange Fachwerkhaus an der Straße zwischen Werne und Herbern nicht verschwindet und mit ihm die Erinnerung an den damals letzten Wolf Westfalens.

