Die Aula in Herbern ist am Donnerstagabend (21. Mai) gut gefüllt. Deutlich mehr als 100 Bürger sind zur Infoveranstaltung über die geplante Flüchtlingsunterkunft gekommen. Sie wollen nicht nur Informationen erhalten, sondern auch ihre Sorgen äußern. Und schnell wird dabei klar, was an dem Vorhaben die größten Zweifel hervorruft: die Größe der Einrichtung - und die damit verbundenen möglichen Folgen.
Den Satz „100 Menschen sind viel zu viel für unseren Ort“ hört man an diesem Abend mehrfach. Wenn man so viele Leute unterschiedlicher Kulturen zusammen in eine Einrichtung zwänge, dann seien Streit und Lärm vorprogrammiert, heißt es unter anderem - und dass Integration so nicht gelingen könne. Einige haben die Befürchtung, Herbern könne zu einem „sozialen Brennpunkt“ werden, die Kriminalitätsrate deutlich steigen und der dörfliche Charakter durch einen großen Neubau verloren gehen. Die stärksten Bauchschmerzen scheinen die direkten Anwohner zu haben.
Warum muss die Einrichtung gerade bei uns gebaut werden? Warum muss sie so groß sein? Gibt es keine Alternativen? Und wie wollen die Verantwortlichen die Sicherheit der Bürger und den Dorffrieden gewährleisten? All dies sind Fragen, die Bürgermeister Thomas Stohldreier beantworten muss. In den meisten Fällen gelingt ihm das - was freilich nicht bedeutet, dass auch alle Anwesenden mit den Antworten zufrieden sind.
Bürgermeister Stohldreier gibt Versprechen
„Ich möchte nicht alles schönreden. Ich kann Ihnen auch nicht versprechen, dass immer alles super laufen wird. Aber ich verspreche Ihnen, dass wir uns kümmern werden“, sagt Stohldreier. Vor allem der letzte Teil dieser Aussage kommt dem Bürgermeister an diesem Abend immer wieder über die Lippen. Und mit jedem Mal wirkt er ein bisschen energischer.

Grundsätzlich sei die Infoveranstaltung lediglich ein Auftakt. Man werde die Bürger bei den Planungen weiter mitnehmen, umfassend aufklären und ihre Sorgen ernst nehmen, betont der Bürgermeister. Und er liefert Argumente, die besagte Sorgen eindämmen sollen.
So wisse man beispielsweise aus eigener Erfahrung, dass Integration durchaus auch in größeren Unterkünften gelingen könne. Wenn es zum Streit komme, dann sei das in der Regel sogar eher in kleineren Unterkünften der Fall. Sprich in angemieteten Wohnungen, in denen einzelne Familien untergebracht sind.
Polizei und Ordnungsamt im Einsatz
Man könne auch nicht pauschal davon ausgehen, dass mit einer steigenden Zahl der Flüchtlinge die Kriminalität steigt, erklärt daraufhin Polizeihauptkommissar Stefan Gohlke. In den bestehenden vier Herberner Unterkünften habe es bislang nur wenige Einsätze gegeben. In lediglich drei Fällen habe man eine Anzeige geschrieben, eine davon wegen Körperverletzung.
Die Bezirksdienstbeamten würden die neue Unterkunft „im Rahmen ihrer Möglichkeiten bestreifen und Präsenz zeigen“. Stohldreier meint hierzu, dass die Gemeinde außerdem das Ordnungsamt um zwei Mitarbeiter aufgestockt habe: „Spätestens wenn es zu Problemen kommt, werden wir nah dran sein.“

Mit Blick auf die Standortfrage sei das Grundstück an der Münsterstraße eine gut geeignete Fläche - nicht zuletzt aus baurechtlichen Gründen und weil sich das Grundstück wohl gut erschließen ließe. Sollte man den Neubau irgendwann nicht mehr als Flüchtlingsunterkunft benötigen, bestehe zudem die Möglichkeit, ihn in günstigen Wohnraum umzuwandeln.
Dass die Gemeinde dringend weitere Unterbringungsmöglichkeit benötigt, wird beim Blick auf die Zahlen deutlich. Aktuell sind in Ascheberg 244 Flüchtlinge untergebracht, in Davensberg 135 und in Herbern 121. Insgesamt stehen in der Gemeinde nur noch 30 freie Plätze zur Verfügung. Es sei absehbar, dass dies nicht mehr lange ausreicht, betont Stefan Feige, Leiter für den Fachbereich Finanzen und Soziales. Einen Aufnahmestopp könne man maximal für sechs Wochen beantragen: „Das würde uns langfristig also nicht weiterbringen.“
Turnhallen-Lösung würde Millionen kosten
Die 100 neuen Plätze auf mehrere kleinere Standorte aufzuteilen, sei ebenfalls keine gute Option. In den Immobilien, die der Gemeinde gehören, leben derzeit 334 Flüchtlinge. Die übrigen 166 sind in angemieteten Objekten untergebracht. In Wohnraum also, den man dem freien Markt quasi entreißt. Eine komplett neue, zentrale Unterkunft zu errichten, sei der daher der beste Weg.
Turnhallen-Lösungen habe man verworfen, da man die Sportstätten weiterhin den Schulen und Vereinen zur Verfügung stellen wolle. „Sporthallen sind auch nicht dafür gemacht, dass Menschen dort leben. Wir müssten sie anschließend für viel Geld sanieren“, sagt Feige. Weil es in den Hallen keine Küchen und nicht ausreichend Sanitäranlagen gebe, kämen außerdem weitere Kosten für Catering und Toilettenwagen hinzu: „Das würde uns pro Jahr etwa eine Million Euro kosten.“

Was die neue Einrichtung kosten und wie genau sie aussehen wird, ist noch nicht klar. Man stehe noch am Anfang der Planungen und müsse unter anderem noch mit einem Architekten sprechen, erklärt Stohldreier. Das Gebäude solle allerdings eine Art Mehrfamilienhaus mit acht bis zehn Wohnungen werden, die sich im Idealfall auch nur auf zwei Etagen verteilen. Bis zur Fertigstellung dürften wohl mindestens zwei Jahre vergehen. Übergangsweise werden weitere Flüchtlinge daher bekanntlich in den ehemaligen Räumen des Altenheim St. Lambertus in Ascheberg untergebracht.
Dass es den künftigen Anwohnern der neuen Herberner Flüchtlingsunterkunft nicht nur um den Dorffrieden geht, wird im Verlauf der Diskussion ebenfalls deutlich. Zum Beispiel, als einer von ihnen darauf verweist, dass sich der Wert seines Grundstücks durch den Bau der Unterkunft verringern würde. Oder als ein anderer seine Sorge kundtut, der ohnehin schon bestehende Lehrermangel würde durch die Aufnahme weiterer Flüchtlinge noch verschärft.
Applaus für positive Kommentare
Zudem sei es nicht nachvollziehbar, dass beispielsweise die Kinder der Kita Abenteuerland in Containern betreut würden, während Flüchtlinge einen Neubau bekämen. Man könne doch einfach eine neue Kita bauen und die Flüchtlinge in den Containern unterbringen, heißt es. Die Antworten des Bürgermeisters: Für eine neue Kita gebe es derzeit kein Baurecht. Grundsätzlich sei man verpflichtet, weitere Flüchtlinge aufzunehmen - und natürlich hätten dann auch geflüchtete Kinder ein Recht auf den Schulbesuch.
Zum Ende der zweistündigen Diskussion melden sich dann immer mehr Menschen aus dem Publikum, die von ihren positiven Erfahrungen mit Flüchtlingen berichten. „Man muss auf die Leute zugehen, dann klappt es auch mit der Integration“, sagt eine Herbernerin. Das sind Aussagen, für die es an diesem Abend reichlich Applaus in der Aula gibt.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 22. Mai 2024.